Bereits im dritten Jahr in Folge soll ein „Israelkritiker“ einer der Top-Acts beim Kulturfestival Ruhrtriennale sein. Nach dessen Ansicht betreibt der jüdische Staat eine schlimmere Apartheid als einst Südafrika. Eigentlich war die Intendantin der Veranstaltung wegen solcher Programmpunkte angezählt. Doch das ließ sie offenbar kalt – was Bände spricht.
Wenn das Kulturfestival Ruhrtriennale, das Mitte August beginnt, fünf Wochen später für dieses Jahr seine Pforten schließt, geht auch die dreijährige Intendanz von Stefanie Carp zu Ende. Zur Bilanz der Dramaturgin wird es dann gehören, sich trotz scharfer Proteste in jedem Jahr mit der Einladung antiisraelischer Künstler, Aktivisten und Intellektueller hervorgetan zu haben.
Nach der Posse im Sommer 2018 um das Engagement der schottischen Band Young Fathers, die zu den Unterstützern der antisemitischen und israelfeindlichen BDS-Bewegung gehört, und nach dem letztjährigen Auftritt einer israelischen Regisseurin, die Israel für einen „faschistischen Staat“ hält, hat Carp nun den kamerunischen Historiker und Soziologen Achille Mbembe damit beauftragt, in diesem Jahr die Eröffnungsrede zu halten. Mbembe sieht in Israel ein schlimmeres Apartheidregime, als Südafrika es jemals war.
Wiederholungstäterin Carp
Die Intendantin hatte vor zwei Jahren die Young Fathers zur Ruhrtriennale eingeladen, ihnen nach Protesten wegen deren BDS-Unterstützung jedoch abgesagt und diese Absage schließlich ebenfalls revidiert, woraufhin die Band von sich aus verzichtete.
Ersatzweise wurde eine Podiumsdiskussion anberaumt, um über die „Freiheit der Künste“ zu sprechen, die offenbar gefährdet ist, wenn sich Protest gegen Antisemiten regt, die bei nicht ganz unbedeutenden Festspielen eine Bühne bekommen sollen.
Stefanie Carp fühlte sich jedenfalls als Opfer einer „Hexenjagd“, während die Kultur Ruhr GmbH, die das Festival veranstaltet und dem Bundesland Nordrhein-Westfalen sowie einem Zusammenschluss der Ruhrgebietsstädte gehört, die Dinge deutlich anders sah: Sie installierte als Konsequenz einen Stellvertreter, der auf Carp und ihre Aktivitäten ein Auge haben sollte.
Die Vorsitzende des Aufsichtsrates dieser GmbH, die parteilose NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, war danach überzeugt, dass Carp „die Bedeutung des Themas nunmehr stärker im Blick hat und antisemitische Aktionen und Gruppierungen im Rahmen der Ruhrtriennale keine Plattform finden werden“.
Zumal der nordrhein-westfälische Landtag den Beschluss fasste, die BDS-Bewegung als antisemitisch einzustufen und ihr den öffentlichen Raum zu bestreiten. Auch die Tatsache, dass NRW-Ministerpräsident Armin Laschet der Ruhrtriennale ferngeblieben war und die Teilnahme an einem gemeinsamen Empfang mit Carp abgesagt hatte, erhöhte den Druck auf die Intendantin.
Doch diese zeigte sich nur mäßig beeindruckt – und schien auch davon auszugehen, dass sie entgegen anders lautenden Informationen nicht ernsthaft um ihren Job fürchten muss.
Zu Recht, wie sich zeigen sollte. Im vergangenen Jahr lud sie mit Ofira Henig eine linke israelische Regisseurin ein, die den einzigen jüdischen Staat gerne in den schwärzesten Farben malt und damit eine ideale Kronzeugin für „Israelkritiker“ in Deutschland ist. Damit kam Carp durch.
Nun soll Achille Mbembe die Eröffnungsansprache halten – und damit jemand, der ebenfalls mit radikalen Äußerungen gegen Israel aufgefallen ist. Darauf hat Lorenz Deutsch aufmerksam gemacht, der kulturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag.
Noch schlimmer als die südafrikanische Apartheid?
In einem offenen Brief an Stefanie Carp hebt er hervor, dass Mbembe in der Vergangenheit einen Aufruf zum akademischen Boykott Israels unterzeichnet hat und in einem Ende 2016 erschienenen Aufsatz für die Zeitschrift Radical Philosophy mit dem Titel „The society of enmity“ („Die Gesellschaft der Feindschaft“) die in BDS-Kreisen übliche Gleichsetzung des jüdischen Staates mit dem Apartheidsystem Südafrikas sogar noch überbietet.
In Mbembes Text heißt es unter anderem:
„Die Metapher der Apartheid trägt […] dem spezifischen Charakter des israelischen Trennungsprojekts nicht vollständig Rechnung. […] Die apokalyptischen und katastrophalen Elemente, die ihm zugrunde liegen, sind weitaus komplexer und entstammen einem längeren historischen Horizont als die Elemente, die früher den südafrikanischen Calvinismus unterstützten.
Darüber hinaus sind die Auswirkungen des israelischen Projekts auf den palästinensischen Körper angesichts seines „Hi-Tech“-Charakters weitaus beeindruckender als die relativ primitiven Operationen, die das Apartheidregime in Südafrika zwischen 1948 und den frühen 1980er Jahren durchgeführt hat.
Dies zeigt sich […] in den verschiedenen Techniken der materiellen und symbolischen Auslöschung. Es zeigt sich auch in seinen Verfahren und Techniken der Zerstörung […] und in seiner fanatischen Zerstörungspolitik, die darauf abzielt, das Leben der Palästinenser in einen Trümmerhaufen oder einen zur Säuberung bestimmten Müllhaufen zu verwandeln. In Südafrika haben die Trümmerhaufen nie ein solches Ausmaß erreicht.“
Mit anderen Worten: Die angebliche Apartheid gegenüber den Palästinensern soll in jeglicher Hinsicht noch viel übler als seinerzeit in Südafrika sein.
Eine ungeheuerliche, völlig indiskutable Aussage, eine antisemitisch motivierte Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates, eine absurde Verharmlosung der realen Apartheid in Südafrika. Wer so etwas äußert, disqualifiziert sich selbst, ganz gleich, wie viel internationales Renommee er für sich beanspruchen mag.
Zumal man ausweislich des Ankündigungstextes im Programm der Ruhtriennale – in dem es beispielsweise heißt, Mbembe werde „die globalen Praktiken von Inhaftierung und Eingrenzung kommentieren, die dazu führen, dass überall auf der Welt Mauern, Tore und Enklaven errichtet werden“ – davon ausgehen muss, dass diese Positionen in der Eröffnungsrede der Ruhrtriennale aufgegriffen und referiert werden.
Es sind Positionen, die Achille Mbembe auch in seinem Vorwort zum 2015 erschienenen Buch „Apartheid Israel: The Politics of an Analogy“ („Apartheid Israel: Die Politik einer Analogie“) vertritt. Dort schreibt er, die gegenwärtige israelische „Apartheid“ sei „weitaus tödlicher“ als die südafrikanische in der Vergangenheit.
Shoa-Relativierung und Israel-Boykott
In seinem Aufsatz in Radical Philosophy legt Mbembe sogar noch nach, indem er das südafrikanische Apartheidsystem mit der Shoa vergleicht und zu dem Schluss kommt, beide seien „emblematische Manifestationen“ einer „Separationsfantasie“.
Das wiederum ist durch die Parallelisierung mit gleichsetzendem Charakter eine Relativierung des Holocaust, während der Historiker und Soziologe „die heutigen Juden Israels in der Logik der Gesamtargumentation an die Stelle der nationalsozialistischen, weißen Verbrecher“ setzt, wie Lorenz Deutsch feststellt. Wie Recht Deutsch mit dieser Feststellung hat, bekräftigt Mbembe selbst, wenn er in seinem Vorwort für Apartheid Israel schreibt:
„Und da alles, das sie [die Besatzer Palästinas] anzubieten bereit sind, ein Kampf bis zum Ende ist; da sie bereit sind, den Weg bis an sein Ende zu gehen – Gemetzel, Zerstörung, schrittweise Vernichtung –, ist die Zeit für weltweite Isolation gekommen.“
Im Jahr 2010 hatte Mbembe überdies einen Aufruf an die Universität in Johannesburg unterzeichnet, jede Verbindung zur Ben-Gurion-Universität im Negev abzubrechen. Der akademische Boykott Israels gehört zu den Hauptaktivitäten der BDS-Bewegung auf internationaler Ebene.
Erste Reaktionen
Lorenz Deutschs offener Brief hat nun zu ersten Reaktionen geführt, wie Christiane Hoffmans und Stefan Laurin in einem Beitrag für Welt Online schreiben.
NRW-Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen etwa sagt demnach, sie verurteile uneingeschränkt „jeglichen Boykott gegen Israel“ und bezweifle, dass die Einladung Mbembes im Einklang mit der Beschlusslage des Landtages zum Thema BDS steht. Als unmittelbare Reaktion hat sie den Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH einberufen.
Auch die Stadt Bochum, in deren Jahrhunderthalle Mbembe seine Rede halten soll, geht Welt Online zufolge auf Distanz zu Intendantin Carp. „Beim zweiten Mal fällt es schon schwer, an Zufall zu glauben“, wird der sozialdemokratische Oberbürgermeister Thomas Eiskirch zitiert, der damit auf die Geschehnisse vor zwei Jahren anspielt. In Bochum wolle man keine BDS-Kampagnen, und er könne und wolle sich „nicht vorstellen, dass das Land als Hauptgeldgeber der Ruhrtriennale sich dies ein zweites Mal bieten lässt“.
Der kulturpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Andreas Bialas, nennt die von Stefanie Carp ausgesprochene Einladung gar eine „bewusste Provokation“, die dem „Grundkonsens des Landes“ NRW widerspreche.
Gibt es Konsequenzen für Carp und Mbembe?
Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bezieht ebenfalls deutlich Position, wie Hoffmans und Laurin schreiben. „Jedem Versuch einer Relativierung des Holocaust muss entschieden entgegnet werden“, zitieren sie die frühere Bundesjustizministerin. Wer eine solche Relativierung unterstütze, könne „kein Redner bei der Ruhrtriennale sein“.
Stefanie Carp dagegen bezeichnet Lorenz Deutschs Darstellung laut Welt Online als falsch, ohne inhaltlich auf sie einzugehen. Als Gegenargument genügt ihr offenbar der Hinweis, dass Mbembe in den vergangenen Jahren häufig in Deutschland aufgetreten und vielfach geehrt worden sei. Er werde seine Rede auf der Ruhrtriennale jedenfalls halten.
Mbembe selbst gab gegenüber Hoffmans und Laurin an, keiner Interessengruppe oder Organisation anzugehören und keine Verbindung zur BDS-Bewegung zu haben. Er fühle sich als Wissenschaftler missverstanden und arbeite „für universale Toleranz und Versöhnung“. Deutschs Brief sei eine „Diffamierungskampagne, die nicht nur dumm und ignorant, sondern auch ein Zeichen von Rassismus gegen einen unabhängigen, freien und international anerkannten afrikanischen Geist“ sei.
Zu seiner Unterstützung des Aufrufs an die Universität Johannesburg wollte sich Mbembe dagegen genauso wenig äußern wie zur Kritik an seiner Dämonisierung Israels als Apartheidstaat und an seiner Relativierung der Shoa. Dafür kündigte er an, gegen „die Kampagne“ juristisch vorzugehen.
Übliches Verhaltensmuster
Es ist das übliche Verhaltensmuster der „Israelkritiker“: Gibt es Widerspruch gegen ihren kruden, antisemitischen Unsinn, dann gerieren sie sich als Opfer und Menschenfreunde, die nur Gutes im Schilde führen. Die Gegenseite bezeichnen sie als Rassisten, um die sich die Gerichte kümmern sollen. Inhaltlich zu erwidern haben sie nichts.
Und nun zeigt sich auch, wie falsch es war, Stefanie Carp vor zwei Jahren nicht entschlossen die Tür gewiesen zu haben: Die einstige Trotzkistin hat sich um die Kritik an ihr einfach nicht geschert und deutlich gemacht, dass sie in Sachen Israel eine Überzeugungstäterin ist – die sogar noch für eine Eskalation sorgen kann. Denn derzeit sieht es nicht so aus, dass die Verantwortlichen für die Ruhrtriennale noch einen Pfeil im Köcher haben.