Der Aufruf zum anti-israelischen Boykott ist keine förderungswürdige Meinung. Daher haben wir uns in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten des Landes NRW, Armin Laschet, die Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen sowie die Antisemitismus-Beauftragte des Landes NRW, Frau Leutheusser-Schnarrenberger gewandt.
Von WerteInitiative. jüdisch-deutsche Positionen
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet,
sehr geehrte Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen,
sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Eiskirch,
auch in diesem Jahr irritiert die Intendantin der Ruhrtriennale, Frau Stefanie Carp, mit einer Einladung, die uns sehr stark an den Ruhrtriennale-Skandal um die Musikband „Young Fathers“ im Jahr 2018 erinnert. Es darf keine Bühne für Israelhass und Antisemitismus bei der Ruhrtriennale geben; wir appellieren dringend an Sie: der Eröffnungsredner Achille Mbembe muss ausgeladen und die Intendantin Stefanie Carp abgesetzt werden.
Damals gab es Signale aus der Politik, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholen werde. Das Land Nordrhein-Westfalen verabschiedete noch im September 2018 einstimmig einen Beschluss, der sich gegen die antisemitische BDS-Bewegung richtete.
Auch der Deutsche Bundestag hat sich im Beschluss „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ aus dem Mai 2019 eindeutig gegen die BDS-Kampagne ausgesprochen und keine Zweifel am antisemitischen Charakter von Boykottaufrufen gegen den jüdischen Staat gelassen.
Die Ruhrtriennale installierte als Konsequenz einen Stellvertreter und Frau Pfeiffer-Poensgen, war überzeugt, dass Carp “die Bedeutung des Themas nunmehr stärker im Blick hat und antisemitische Aktionen und Gruppierungen im Rahmen der Ruhrtriennale keine Plattform finden werden”.
Angesichts der Einladungspolitik von Frau Carp protestieren wir heute jedoch erneut. Der Historiker und Soziologe Achille Mbembe soll in diesem Jahr die Eröffnungsrede auf der Ruhrtriennale halten.
Mbembe hat in der Vergangenheit einen Aufruf zum akademischen Boykott Israels unterzeichnet. Ende 2016 erschien ein Aufsatz mit dem Titel „The society of enmity“ („Die Gesellschaft der Feindschaft“), indem er den antisemitischen Vorwurf einer vermeintlich in Israel vorherrschenden Apartheid, sogar noch überbietet:
- „[…] Apartheid trägt […] dem spezifischen Charakter des israelischen Trennungsprojekts nicht vollständig Rechnung. […] Die apokalyptischen und katastrophalen Elemente, […] sind weitaus komplexer und entstammen einem längeren historischen Horizont als die Elemente, die früher den südafrikanischen Calvinismus unterstützten.
- Darüber hinaus sind die Auswirkungen des israelischen Projekts auf den palästinensischen Körper angesichts seines ‚Hi-Tech‘-Charakters weitaus beeindruckender als die relativ primitiven Operationen, die das Apartheidregime in Südafrika zwischen 1948 und den frühen 1980er Jahren durchgeführt hat.
- Dies zeigt sich […] in den verschiedenen Techniken der materiellen und symbolischen Auslöschung. […] auch in seinen Verfahren und Techniken der Zerstörung […] und in seiner fanatischen Zerstörungspolitik, die darauf abzielt, das Leben der Palästinenser in einen Trümmerhaufen oder einen zur Säuberung bestimmten Müllhaufen zu verwandeln. In Südafrika haben die Trümmerhaufen nie ein solches Ausmaß erreicht.“
Im selben Aufsatz vergleicht Mbembe, darüber hinaus, das ehemalige südafrikanische Apartheidsystem mit der Shoa.
Da Mbembe Israel der Apartheid bezichtigt und das ehemalige südafrikanische Apartheidsystem mit der Shoa vergleicht, führt dies zu der berechtigten Annahme, dass er die Haltung des demokratischen Staates Israel gegenüber den palästinensischen Arabern mit denen der Nationalsozialisten während der Shoa gleichsetzt. Ein antisemitisches Bild in Reinform.
Boykottaufrufe gegen den jüdischen Staat haben eine lange Tradition. Von der „Kauft-nicht-bei-Juden-Kampagne“ der Nationalsozialisten, bis hin zu Israel-Boykottkampagnen deutscher Neonazigruppierungen, wie z.B. „Der III. Weg“: Kein Staat der Welt ist in dieser Permanenz solchen Aufrufen ausgesetzt. Zufall? Nein – Das Problem heißt Antisemitismus und es verbietet sich, es z.B. durch Schlagwörter wie „Kunstfreiheit“ zu bagatellisieren.
Das Land Nordrhein-Westfalen muss sich in dieser wiederkehrenden Situation jedoch ernsthaft fragen, ob es ein Kunstfestival fördern möchte, deren Intendantin Aufrufen zu einem Boykott des jüdischen Staates nicht entschieden entgegentritt, sondern sie als Teil der Kunstfreiheit fördert und einen Redner einlädt, der sich shoarelativierend äußert.
Wir sind der festen Überzeugung, dass so etwas in Deutschland keinen öffentlichkeitswirksamen Raum haben darf.
Man kann das Agieren von Frau Carp nicht dem Zufall zuordnen. Frau Carp, die sich aufgrund des Protests im Rahmen der Ruhrtriennale 2018 schon als Opfer einer „Hexenjagd“ inszenierte, diffamiert auch dieses Jahr das ausführliche und gut belegte Protestschreiben des FDP-Landtagsabgeordneten Lorenz Deutsch als falsch und zeigte sich überzeugt, dass Mbembe die Eröffnungsrede auf der Ruhrtriennale halten wird. Auf inhaltliche Kritik ging sie dabei freilich nicht ein.
Stefanie Carp hat durch ihr Verhalten im Rahmen ihrer Intendanz dem Kunstfestival einen erheblichen Schaden zugefügt. Sie schadet mit ihren Entscheidungen nicht nur der jüdischen Gemeinschaft, indem sie durch ihre Einladungspolitik antisemitischen Bildern und Argumentationsmustern Vorschub leistet, sondern auch ihren eigenen Fördergebern und damit dem Land NRW. Mehrere hochrangige PolitikerInnen sowie der Antisemitismusbeauftragte des Bundes haben sich schon zu Wort gemeldet und den Auftritt Mbembes deutlich kritisiert.
Bitte nehmen Sie – trotz des verständlicherweise dominierenden Themas Corona – die Sache ernst. Verhindern Sie den Auftritt Mbembes und zeigen Sie Frau Carp die Grenzen auf: Die Absetzung von Frau Carp und die Einsetzung eines Interims-Intendanten ist notwendig, um den bisher entstandenen Imageschaden zu reparieren.
Wir weisen höflich darauf hin, dass wir diesen Brief und Ihre Antwort – wenn Sie es uns nicht anders auferlegen – öffentlich kommunizieren werden. Persönliche Kontaktdaten und Unterschriften würden dabei unkenntlich gemacht.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Elio Adler
– Vorsitzender –
Das Original der offenen Briefes findet sich hier.