Der Ruf nach einer sunnitischen Selbstverwaltungsregion ist im Laufe der Jahre immer wieder laut geworden, angefangen mit dem Krieg zwischen Konfessionen im Jahr 2006.
In den vergangenen Wochen haben die Forderungen nach der Schaffung einer autonomen sunnitischen Region im Irak einen noch nie dagewesenen Aufschwung erlebt. Im September soll eine Konferenz im westirakischen Gouvernement Anbar abgehalten werden, um das Thema zu diskutieren. Zahlreiche Vertreter aus den mehrheitlich sunnitischen Gouvernements Anbar, Nineveh, Diyala und Salah al-Din werden daran teilnehmen.
Das Bestreben nach einer sunnitischen Selbstverwaltungsregion ist im Laufe der Jahre immer stärker geworden, angefangen mit dem Krieg der Konfessionen zwischen Sunniten und Schiiten, der im Jahr 2006 den Irak erschütterte. Wegen verschiedener interner und externer Umstände waren diese Bemühungen jedoch nicht von Erfolg gekrönt.Diesmal geht die Initiative vom sunnitischen Politiker Thaer al-Bayati aus, dem Generalsekretär des Arabischen Stammesrats und Gründer der Irakischen Heilsfront.
Die sunnitischen Politiker sind je nach ihrer politischen Ausrichtung in Befürworter und Gegner des Föderalismus gespalten. Politiker, die mit den schiitischen Kräften verbündet sind, und solche, die der von der Türkei unterstützten Muslimbruderschaft angehören, lehnen die Idee der Schaffung einer sunnitischen Region ab. Politiker aus sunnitischen Stämmen, insbesondere solche, die über erheblichen Einfluss verfügen oder großen Stämmen in den sunnitischen Provinzen angehören, haben sich der Forderung nach einer sunnitischen Region angeschlossen.
Artikel 119 der irakischen Verfassung räumt jedem Gouvernement oder jedem Zusammenschluss von Gouvernements das Recht ein, durch ein Referendum eine eigene Region zu schaffen, was auf zwei Arten geschehen kann: »Erstens: Ein Antrag von einem Drittel der Mitglieder jedes der Provinzräte, die eine Region bilden wollen. Zweitens: Ein Antrag von einem Zehntel der Wähler in jeder der Provinzen, die eine Region bilden wollen.«
Die sunnitische Region würde fünfzig Prozent der geografischen Fläche des Iraks ausmachen und an Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien grenzen. In dieser Region würden rund elf Millionen Menschen leben, was etwa einem Viertel der irakischen Bevölkerung entspricht.
Bislang werden jene Gouvernements, welche die sunnitische Region – Anbar, Salah al-Din, Nineveh und Diyala – umfassen, als sunnitisches Dreieck bezeichnet. Al-Qaida und der Islamische Staat waren in der unbeständigen Region ebenso aktiv wie dem früheren Diktator Saddam Hussein treue Bewegungen, die sich gegen die amerikanische Präsenz im Irak wehrten, insbesondere in Falludscha, einer Stadt im Gouvernement Anbar.
Die irakische Regierung hat sich bislang nicht offiziell zu dem jüngsten Aufruf zur Gründung einer sunnitischen Region oder zu der im September in der Provinz Anbar stattfindenden Konferenz geäußert.
Selbstverwaltung der Ressourcen
Das Mitglied des Organisationskomitees der sunnitischen Regionalkonferenz, Muwaffaq Al-Sulaiman, erklärte gegenüber der amerikanischen Nachrichtenagentur The Media Line: »Wir wollen Freiheit. Die schiitischen Parteien haben die Sunniten im Irak weitgehend an den Rand gedrängt, geben ihnen ihre Rechte nicht und behalten den größten Teil des Budgets für die schiitischen Provinzen ein.« Man wolle keine Abspaltung vom Irak, »sondern nur eine Region ähnlich der Region Kurdistan, in der wir uns selbst verwalten.«
Alle vier betroffenen Provinzen seien mit diesem Prinzip einverstanden, der Unterschied liege nur in Details. »Es sind nationale Persönlichkeiten, die diese Forderungen stellen, und wir sind diejenigen, die sie umsetzen«, fuhr Al-Sulaiman fort und fügte erklärend hinzu: »Wir erhalten keine internationale Unterstützung. Wir sind eine rein irakische Initiative und wollen keine Unterstützung aus dem Ausland. Unsere Provinzen leben wegen der schlechten Verteilung des Bundeshaushalts in Armut.«
Zu den eigentlich guten Finanzierungsquellen der Region sagte Al-Sulaiman, in Anbar, Salah al-Din, Diyala und Nineveh gebe es »viele Ressourcen, sei es Öl und andere Bodenschätze, Landwirtschaft, Tourismus, Handel und anderes«. Der Plan sei, diese Ressourcen in einer autonomen Region selbst zu verwalten statt von der schiitisch dominierten Zentralregierung in Bagdad: »Sogar die Polizei wird nicht von der Bevölkerung der Provinz ernannt, sondern von Leuten aus entfernten Gebieten, und unsere Kinder bekommen keine Arbeit.«
Was die Unterstützung für die Autonomiepläne von außen und die Meinung der Nachbarländer betreffe, so sagte Al-Sulaiman, dass vor allem der Iran keine sunnitische Region wolle, weil er seine Landverbindung nach Syrien – und weiter zur Hisbollah in den Libanon – verlieren würde: »Derzeit sind vom Iran unterstützte Milizen in unseren Gebieten, den Grenzgebieten zu Syrien, präsent, und durch diese Milizen werden Waffen und Kämpfer nach Syrien gebracht.«
Auch die Türkei wolle keine sunnitische Region, »weil sie nicht will, dass sich die Kurden Syriens der Region Kurdistan anschließen und einen kurdischen Staat gründen, was auch die Möglichkeit beinhaltet, dass sich die Südtürkei, die eine kurdische Mehrheit hat, diesem neuen kurdischen Staat anschließt«. Jordanien und die Länder des Golf-Kooperationsrats hätten wohl keine Einwände gegen die Gründung einer sunnitischen Region, schloss er seine Ausführungen, »aber wir haben noch nicht mit ihnen kommuniziert«.
Schiitische Drohungen
Der schiitische irakische Politiker Jaafar al-Mandani erklärte gegenüber The Media Line, die Versuche, eine autonome Region zu gründen, »werden auf Anweisung Israels und der USA unternommen. Sie wollen den Irak spalten, und die Sunniten sind damit nicht einverstanden.« Es gebe nur eine Region, und diese sei die Region Irakisch-Kurdistan: »Alles andere ist inakzeptabel. Die Sunniten genießen ihre verfassungsmäßigen Rechte, und wir werden die Einrichtung einer Region nicht zulassen; selbst, wenn dies eine militärische Intervention erfordert.«
Der irakische Politologe Ahmed al-Hammani meinte, die Sunniten selbst seien gespalten, weswegen es auch keine sunnitische Region geben werde. »Es wird Unstimmigkeiten über die Führung geben und darüber, wer den Vorsitz in der Region übernehmen wird. Es gibt keine echten sunnitischen Parteien.«
Auch die Nachbarländer lehnen die Pläne ab, fügte al-Hammani hinzu: »Das sind nur Versuche, die von Mohammed al-Halbousi, dem ehemaligen Parlamentspräsidenten, unterstützt werden, der Druck auf die Regierung und die Regierungsparteien ausüben will, damit er wieder ins Parlament einzieht, nachdem das Bundesgericht ihm letztes Jahr die Mitgliedschaft in der Kammer entzogen hat.«
Eine namentlich nicht genannte Quelle aus dem regierenden schiitischen Koordinationsrahmen in Bagdad erklärte, die Einrichtung einer sunnitischen Region im Irak »ist inakzeptabel und wird nicht einmal hinter verschlossenen Türen diskutiert. Der Koordinationsrahmen und alle Iraker werden dies ablehnen.« Das sei nur ein Erpressungsversuch, »um mehr Haushaltsmittel zu erhalten und die Finanzierungsanteile der Provinzen mit sunnitischer Mehrheit zu erhöhen.«
Der irakische Polit-Aktivist Omar al-Dulaimi erklärte, bei einer geplanten sunnitischen Region handle es sich »nicht um eine konfessionelle Region. Ihr offizieller Name wird ›Region Zentral- und Westirak‹ sein.« Die Gründung sei bloß ein Versuch, »das zu retten, was von den Sunniten im Irak übriggeblieben ist, und sie vor der schiitischen Flut zu schützen«.
Derzeit gebe es in den sunnitischen Provinzen große sektiererische Praktiken durch die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (Hash al-Shaabi), die zur Bekämpfung des Islamischen Staats (IS) gegründet worden waren. Diese Milizen »töten auf der Grundlage ihrer Identität und kontrollieren alle Ressourcen der sunnitischen Provinzen. Sie versuchen auch, die Religionszugehörigkeit der Menschen in der Region zu ändern, daher müssen die Sunniten im Irak durch eine Region geschützt werden«, fügte al-Dulaimi abschließend hinzu.