Im Mena-Watch-Gespräch analysiert der Genfer Völkerrechtler die rechtliche Dimension der israelischen Militärschläge gegen den Iran.
Die jüngsten israelischen und amerikanischen Luftangriffe auf iranische Atomanlagen sorgen international für Diskussionen. Während Israel von einem Akt der Selbstverteidigung spricht, stuft der renommierte Völkerrechtler Robert Kolb von der Universität Genf die Angriffe im Interview mit Mena-Watch als völkerrechtswidrigen Präventivkrieg ein.
Präventivkrieg verboten
Kolb betont zu Beginn des Gesprächs eine methodische Trennlinie: Die Analyse müsse strikt juristisch erfolgen, losgelöst vom oft dominanten Freund-Feind-Denken in politischen Debatten. Auch wenn Kolb klarstellt, dass er persönlich keine Sympathien für die Islamische Republik Iran habe, spiele das für die rechtliche Einschätzung keine Rolle: Das Völkerrecht kenne keine Sympathien oder Feindbilder, sondern gelte gleichermaßen für alle Staaten.
Das Völkerrecht untersagt militärische Gewaltanwendung grundsätzlich, erlaubt sie aber in drei klar definierten Fällen:
- Selbstverteidigung bei einem bewaffneten Angriff,
- Mandat durch den UN-Sicherheitsrat,
- Einladung durch die betroffene Regierung.
Da Kolb die israelischen Angriffe als Präventivkrieg zur Schädigung des iranischen Atomprogramms betrachtet, liege keine dieser drei Ausnahmen vor – und Präventivkrieg sei völkerrechtlich nicht zulässig: »Eine präventive Ausschaltung potenzieller Bedrohungen öffnet Tür und Tor für missbräuchliche Gewaltanwendung durch jeden Staat.«
Ein Fall von Selbstverteidigung?
Etwas anders sieht die Sache aus, wenn Israel in seinem Brief an den Sicherheitsrat argumentiert, seine Angriffe seien Teil eines im Prinzip seit Jahrzehnten bereits laufenden Kriegs, in dem die Islamische Republik alles Mögliche unternehme, um Israel anzugreifen, von der Unterstützung von Terrororganisationen wie der Hamas und der Hisbollah bis zu den direkten Raketen- und Drohnenangriffen auf Israel im April und Oktober 2024.
Damit argumentiere man laut Kolb nicht mehr mit einem notwendigen Präventivschlag, sondern bewege sich auf »einer anderen völkerrechtlichen Schiene, nämlich jener der Selbstverteidigung, weshalb man hier in der Tat genauer hinschauen kann«. Israel müsse dann belegen, dass der Iran Terrorgruppen nicht bloß allgemein fördere, sondern Angriffe auf Israel direkt in Auftrag gegeben habe: »Unter dieser Schiene könnte man also sich vorstellen, das genauer anzuschauen, und ein Selbstverteidigungsrecht ist da nicht ausgeschlossen.« Kolb hält diese Argumentation zwar für zweifelhaft, da eine nötige Kontinuität der Angriffe fehle, die einen fortgesetzten Krieg darstellen würden, aber er schließt »Selbstverteidigung nicht aus, man müsste das genauer analysieren«.
Wie dürfte sich Israel zur Wehr setzen?
Theoretisch könnte Israel den Sicherheitsrat um Maßnahmen ersuchen, wenn es sich durch das iranische Atomprogramm bedroht sehe. Da dieser aber sehr wahrscheinlich aufgrund russischer Vetos nichts gegen den Iran unternehmen werde, habe Israel praktisch keine völkerrechtlich legale Möglichkeit, gegen die iranische atomare Bedrohung vorzugehen. Hier besteht für Kolb eine gewisse »Lücke«:
»Man geht dann vielleicht implizit davon aus, dass gewisse Staaten halt trotzdem losschlagen werden, aber man möchte das nicht völkerrechtlich legitimieren. Man wird da gewisse Verletzungen des Völkerrechts womöglich in Kauf nehmen, aber eine Regel aufzustellen, wenn ein Staat das Gefühl hat, dass ein anderer, der sich wieder bewaffnet, für ihn in Zukunft eine Bedrohung darstellen wird und dass er dann präventiv eingreifen kann, verstehen Sie, dass eine solche Doktrin mit dem modernen Völkerrecht einfach nicht vereinbar ist.«
Auch der Einstieg der USA in die militärischen Aktionen sei völkerrechtlich klar illegal. Ein Drittstaat dürfe sich nur dann militärisch beteiligen, wenn er einem angegriffenen Staat bei der Selbstverteidigung helfe. Da Israels Angriffe Kolb zufolge als Präventivkrieg illegal seien, sei auch die Beteiligung der USA völkerrechtswidrig.
Angriff auf Atomanlagen: Nicht grundsätzlich verboten
Wie auch immer es um die Legalität der israelischen Operationen bestellt ist, klar ist laut Kolb, dass die Bombardierung von Nuklearanlagen nicht per se völkerrechtswidrig ist. Entscheidend sei, ob dabei Gefahr für die Zivilbevölkerung entstehe oder die Anlagen direkt militärischen Zwecken dienen.
Da in den angegriffenen Anlagen keine radioaktive Freisetzung zu erwarten war und in Art 56. des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen nur von Angriffen auf Kernkraftwerke, nicht aber auf andere Nuklearanlagen (wie die Anreicherungsanlagen in Natanz und Fordo) die Rede ist, sieht Kolb hier keinen Bruch des Kriegsvölkerrechts.
Fazit
Kolb zeigt im Mena-Watch-Gespräch Verständnis für Israels Sicherheitsbedenken, bleibt jedoch juristisch strikt: Die israelischen und amerikanischen Luftschläge seien ein klarer Bruch des Völkerrechts. Wer eine Regel einführe, die Präventivkriege erlaube, riskiere globale Instabilität: »Das wäre der Weg in den Dritten Weltkrieg.«
Das Völkerrecht könne nicht alles verhindern, aber es setze Standards – und diese Standards dürfen nicht beliebig aufgeweicht werden, auch nicht aus nachvollziehbaren politischen Gründen.