„Die mächtigen Prediger des Königreichs waren dabei, sich mit dem Programm [das Frauen das Autofahren erlaubt] anzufreunden. Vor einigen Wochen hatten sie gesehen, was jenen geschah, die sich weigerten. Mehr als ein Dutzend prominente Kleriker, Aktivisten und Geschäftsleute wurden verhaftet und der ‚Propagierung einer extremistischen Agenda’ beschuldigt. Unter Kronprinz Mohammed Bin Salman sucht Saudi-Arabien erneuten Anschluss an die Welt. Es öffnet seine Wirtschaft für internationale Geschäfte und seine Gesellschaft für Verhaltensweisen, die einst als unislamisch galten. Zugleich wird der begrenzte Raum, den es in dieser absoluten Monarchie einst für Kritik und Diskussion gab, gehörig eingeschränkt. Das Königreich sei ‚repressiver als zuvor’ geworden, so James Dorsey, ein Nahostexperte an der Nanyang Technological University in Singapur. ‚Es gibt einen Bruch mit der Ära von König Abdullah, der oft einen Konsensus herzustellen versuchte’, erklärt Dorsey. ‚Die Salmans tolerieren keinerlei Kritik.’ Früher haben saudische Fraktionen um Einfluss am Hof konkurriert. Die Konservativen hatten weit mehr Macht und fällten letztlich die Entscheidungen in gesellschaftspolitischen und Bildungsfragen. Die eher liberal eingestellten Kräfte wurden gelegentlich mit kleinen Reformmaßnahmen beschwichtigt. Es herrschte Stillstand. Dies begann sich zu ändern, als König Salman 2015 seinem Bruder Abdullah nachfolgte. Seitdem Salmans Sohn eine entscheidende Machtposition innehat, haben die Veränderungen sich beschleunigt und der Kreis der an der Entscheidungsfindung Beteiligten hat sich verringert.
Prinz Mohammed schwebt eine ‚dynamische Gesellschaft’ vor, in der mehr Frauen arbeiten und es mehr Unterhaltungsangebote gibt. Sein Wirtschaftsproramm beruht auf einer radikalen Umschichtung vom öffentlichen in den privaten Sektor und der Diversifizierung weg vom Öl. (…) Manche seiner Unterstützer erklären, derartig breit angelegte Veränderungen könnten letztlich nur von oben angeordnet werden. (…) ‚Saudi-Arabien war nie eine offene Gesellschaft. Doch war es auch nie ein Königreich der Furcht’, so Jamal Khashoggi, ein langjähriger Journalist und ehemaliger Regierungsberater, der inzwischen im selbstauferlegten Exil in den USA lebt. Die Verhaftungswelle sei ‚Teil eines Angriffs auf die Meinungsfreiheit’. In einem Land, in dem der Begriff ‚liberal’ oft als Schimpfort eingesetzt wird, betreffe das auch die liberalen Kräfte. (…) Prinz Mohammeds Aufbrüchen in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen entspricht auch die neue, selbstbewusstere Außenpolitik. Im Jemen und in Katar lassen konkrete Ergebnisse zwar auf sich warten, doch tut das dem patriotischen Eifer keinen Abbruch. Die Staatsmedien zeigen bei jeder Gelegenheit Bilder Prinz Mohammeds. Selbst die Orangensaftverpackungen in den Lebensmittelläden schmücken Bilder, die die Macht Saudi-Arabiens feiern: Kampfflieger, salutierende Soldaten, geballte Fäuste.“ (Vivian Nereim: „Saudi Arabia’s Revolution From the Top Has No Place for Critics“)