„Vor mehr als 70 Jahren kamen die ersten palästinensischen Flüchtlinge in den Libanon. Inzwischen leben sie hier in dritter oder vierter Generation – und trotzdem gelten sie noch immer als Ausländer. Der Libanon verweigert den Palästinensern die Staatsbürgerschaft, das Wahlrecht und schließt sie von bestimmten Berufen aus – etwa in der Justiz und im Gesundheitswesen. Weil sie außerdem nur in Ausnahmefällen Grundstücke kaufen können, leben die meisten Palästinenser im Libanon bis heute in Flüchtlingslagern, die sich inzwischen zu eigenen Städten beziehungsweise Stadtvierteln entwickelt haben.
Nun hat die Regierung in Beirut ihr Vorgehen gegen die Palästinenser im Land noch einmal verschärft: Arbeitsminister Camille Abousleiman startete vor wenigen Wochen eine Kampagne gegen ‚illegale ausländische Arbeitskräfte‘, die sich zum einen gegen die Hunderttausenden syrischen Kriegsflüchtlinge und zum anderen gegen die Palästinenser richtet. (…)
Seit drei Wochen protestieren Palästinenser nun gegen die neuen Regelungen. An den vergangenen Freitagen demonstrierten Zehntausende in mehreren Flüchtlingslagern gegen die Diskriminierung. Aktivisten riefen zudem zu einem Boykott libanesischer Produkte auf.
Sie werfen der Regierung Diskriminierung auf mehreren Ebenen vor: Es sei ungerecht, die Palästinenser als ‚ausländische Arbeitskräfte‘ einzustufen, da sie im Land geboren seien, heißt es etwa. Gleichzeitig verweigere ihnen der Libanon anders als anderen Ausländern das Recht, ihren Wohnsitz im Land frei zu wählen. Zudem lasse die Regierung außer Acht, dass die Palästinenser kein Heimatland haben, in das sie zurückkehren können. Schließlich lehnt Israel das ‚Recht auf Rückkehr‘ für die nach 1948 in den Libanon geflohenen Palästinenser und ihre Nachfahren strikt ab.
Kritiker sehen in der neuen Regelung einen Versuch, die Palästinenser aus dem libanesischen Arbeitsmarkt zu drängen: Die Regierung verlangt nämlich von Arbeitgebern, dass sie für palästinensische Angestellte eine Sozialversicherungsabgabe in Höhe von 23 Prozent leisten müssen. Dabei dürfen die Palästinenser laut Gesetz die Leistungen, die damit finanziert werden – etwa Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Mutterschutz – gar nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzen.“ (Christoph Sydow: „Kein Staat, keine Arbeit, keine Perspektive“)