Der palästinensische Intellektuelle und Autor Rashid Khalidi leugnet in einem ausführlichen Interview die lange Geschichte des Antisemitismus in der muslimischen Welt.
Ben Cohen
The Neck and the Sword, so lautet der Titel eines ausführlichen Interviews mit dem prominenten palästinensischen Historiker Rashid Khalidi in der neuesten Ausgabe der in London ansässigen, marxistischen Zeitschrift New Left Review. Der Titel leitet sich von einem der Themen ab, die sein der Neuen Linken zugerechnete Gesprächspartner, Autor und Filmemacher Tariq Ali zum Anlass nahm, um seine Blütezeit als politischer Aktivist in den späten 1960er Jahren Revue passieren zu lassen.
Ali erinnerte sich, als er auf einer Reise in den Nahen Osten nach dem Sechstagekrieg von 1967 den palästinensischen Schriftsteller (und zeitweiligen Sprecher der Terrororganisation PFLP) Ghassan Kanafani gefragt hatte, ob eine Verhandlungslösung mit diesen »Bastarden«, wie er die Israelis bezeichnete, möglich sei, und die Antwort erhielt: »Tariq, erklären Sie mir, wie der Nacken mit dem Schwert verhandelt.«
Ali war natürlich begeistert von dieser Antwort, weil sie in einer poetischen Metapher eines der Schlüsselelemente des palästinensischen Selbstverständnisses zum Ausdruck brachte: »Wir sind machtlos, wir sind immer und überall die Opfer anderer, insbesondere der Zionisten, und wir leisten Widerstand, wann immer wir die Kraft dazu aufbringen können.«
So romantisch diese Vorstellung jenen westlichen Linken auch erscheinen mag, die Palästina zum Kernelement ihrer politischen Identität gemacht haben, so ist sie doch eher als Freibrief für palästinensische Terrorgruppen zu verstehen, jene Verbrechen zu begehen, deren Zeugen wir nicht zuletzt am 7. Oktober wurden, insofern die Verherrlichung durch ihre Bewunderer von außen die Terroristen in ihren Taten bestärkt, anstatt sie dazu zu bringen, die moralische Schuld zuzugeben und zu akzeptieren.
Angestachelt von der Richtung, in die Alis Frage wies, trieb der Historiker die Vorstellung von der immerwährenden Opferrolle während des gesamten Gesprächs ohne Umschweife voran. Das Interview scheint der deutlichste Ausdruck eines im Wesentlichen säkularen, palästinensisch-nationalistischen Standpunkts, der in den letzten neun Monaten erschienen ist, zu sein, und deshalb äußerst lesenswert.
Akademische Geschichtsverdrehung
Als Professor an der Columbia University und derzeit wohl einer der gelehrtesten Vertreter der palästinensischen Sache klingt Rashid Khalidi sicherlich nuancierter und historisch gebildeter im Vergleich zu den stumpfen, mit Kraftausdrücken gespickten Parolen, die von gewalttätigen, antisemitischen Gruppen wie Within Our Lifetime und Students for Justice in Palestine verbreitet werden.
Anstatt beispielsweise die Vergewaltigungen, Enthauptungen, Geiselnahmen und Massenmorde vom 7. Oktober 2023 zu leugnen – wie es genannte Organisationen immer dann tun, wenn sie diese Taten gerade einmal nicht feiern –, werden diese von Khalidi explizit benannt. Anstatt den Holocaust zu leugnen oder abzuqualifizieren, räumt er ein, dass die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten unter den Überlebenden »eine Art verständliche Gleichförmigkeit in der Unterstützung des Zionismus« hervorgerufen hat.
Aber ändert diese flüchtige Erwähnung der Menschlichkeit und der historischen Erfahrung der Juden etwas an seiner Sichtweise? Eher nicht, denn Khalidis sanfter Umgang mit diesen Fragen macht den Rest seines Interviews noch beunruhigender. Er hat die Gabe eines Historikers, sich an Daten, Namen, Orte und Zitate zu erinnern und fügt diese Informationen zu einer Erzählung zusammen, die für solche, die es nicht besser wissen, sehr überzeugend klingt. Aber jenen, die es besser wissen, fallen die vielen Auslassungen und Verzerrungen in seiner Darstellung auf.
Nirgendwo wird dies deutlicher als in seiner – unlängst auch von Sarah El Bulbeisei in einem Text für die Heinrich-Böll-Stfitung erhobene – Behauptung, dass auch Palästinenser, wenn auch »indirekte«, Opfer des Antisemitismus waren, der im Holocaust gipfelte: »Die Palästinenser zahlen für die gesamte Geschichte des europäischen Judenhasses, die bis ins Mittelalter zurückreicht«, behauptete Khalidi. »Edward I. vertrieb die Juden 1290 aus England, die französischen Vertreibungen im folgenden Jahrhundert, die spanischen und portugiesischen Edikte in den 1490er Jahren, die russischen Pogrome der 1880er Jahre und schließlich der Völkermord der Nazis. Historisch gesehen ein durch und durch europäisch-christliches Phänomen.«
Dies ist eine alte und in Misskredit gekommene Behauptung. Ich erinnere mich an ein Interview mit einem PLO-Funktionär am Vorabend des Golfkriegs 1991, der mit einem unterwürfigen Lächeln behauptete, dass »wir Palästinenser die Opfer der Opfer sind« – eine nette Formel ohne jede historische Grundlage.
Der Begriff »Antisemitismus« mag in Europa von einem deutschen Pamphletisten des 19. Jahrhunderts, Wilhelm Marr, geprägt worden sein, der den Begriff wählte, um sein wissenschaftlich auftretendes Verständnis vom religiös gefärbten Judenhass des Mittelalters abzugrenzen; aber der wütende Hass auf die Juden hat auch in der arabischen und muslimischen Welt seine Wurzeln. Wie der Historiker Bernard Lewis einmal argumentierte, mag es den Juden im Nahen Osten nicht so schlecht ergangen sein wie ihren Brüdern in Europa, aber sie hatten es auch nie so gut.
Jahrhundertelang waren die Juden, wie andere Minderheiten auch, in der gesamten Region erniedrigenden Rechtsnormen unterworfen, die sie bestenfalls zu Bürgern zweiter Klasse machten. Im 20. Jahrhundert kam es im Mandatsgebiet Palästina und in den Nachbarländern zu zahlreichen Episoden jener Massengewalt, welche die Aschkenasim, die europäischen Juden, als »Pogrome« bezeichneten. Zu den schlimmsten gehörte der Farhud im Juni 1941 im Irak, bei dem Hunderte Juden in Bagdad durch unzählige Vergewaltigungen und andere Verbrechen ermordet wurden.
Diese und ähnliche Vorfälle lässt Khalidi völlig unerwähnt, ebenso die Tatsache, dass innerhalb von etwa einem Jahrzehnt nach der Entstehung Israels als souveräner Staat fast eine Million Juden in der gesamten Region enteignet und vertrieben wurden.
Auszutreibende Gespenster
Zuzugeben, dass der Antisemitismus ein fest verankertes Merkmal in der Region war und ist, und zu erkennen, dass die Gräueltaten des 7. Oktobers ein Erbe des Farhud darstellen, scheint für Khalidi, der offensichtlich davon ausgeht, dass sein Publikum keine unabhängigen Nachforschungen über die von ihm geschilderte Geschichte anstellen wird, offensichtlich alles andere als angenehm, würde ein solches Eingeständnis doch seine Analyse ins Wanken bringen und ihn dazu zwingen, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, dass der 7. Oktober nicht nur ein Wutausbruch eines kolonisierten Volks war, das einige bedauerliche Exzesse beging, sondern ein weiterer Meilenstein in der langen Geschichte der arabischen Gewalt gegen die in ihrer Mitte lebenden Juden.
Bringt ein Gelehrter wie Khalidi nicht die Ehrlichkeit und Demut auf, sich offen mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen, kann man das von den in Keffiyeh [Palästinensertücher] gehüllten Demonstranten kaum erwarten. Doch ist dies nicht nur eine Frage der intellektuellen Integrität: Die Weigerung der Palästinenser und anderer Araber, sich mit der Verfolgung ihrer jüdischen Gemeinden auseinanderzusetzen, ist seit fast einem Jahrhundert ein unverrückbares Hindernis bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des israelisch-arabischen Konflikts.
Wie der Historiker Martin Kramer in einem Beitrag über einen anderen Aspekt dieses Problems, das Erbe des nazifreundlichen Mufti von Jerusalem, Hajj Amin al-Husseini, feststellte, ignorieren die Palästinenser weiterhin die Leichen in ihrem Keller. Der Mufti, schreibt Kramer, »verkörperte die Weigerung, Israel so zu sehen, wie es ist, und die mangelnde Bereitschaft, sich einen Kompromiss vorzustellen. Solange die Palästinenser sein Gespenst nicht austreiben, wird es sie weiterhin heimsuchen.«
Rashid Khalidis Interview mit Tariq Ali zeigt, dass auch andere, nicht weniger bedeutsame Gespenster ausgetrieben werden müssen. Solange das nicht geschieht, wenn überhaupt, haben Tariq Alis »Bastarde« – die Regierung und Bevölkerung Israels und die sie unterstützende große Mehrheit der Diaspora-Juden – keine andere Wahl, als weiterhin in Verteidigungsbereitschaft zu bleiben. Die Alternative ist ein Schwert auf unserem Nacken.
Ben Cohen ist ein in New York lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)