„Nach dem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern, um 250 vor dem nahe Basra gelegenen südirakischen Zubair-Ölfeld versammelte Demonstranten zu zerstreuen, ging die Polizei mit Schlagstöcken vor. Bei den seit elf Tage anhaltenden Protesten gegen den Mangel an Regierungsdiensten, die ausgiebigen Stromsperren und den Wassermangel in vielen Städten im Süd- und Zentralirak während der brütend heißen Sommermonate sind bislang acht Menschen getötet und 60 verletzt worden. Die Ironie dessen, dass die Proteste vor allem dort stattfinden, ist den Irakern nicht verborgen geblieben. Die Rohölexporte der irakischen Zentralregierung stammen zurzeit zu 100 Prozent aus den dortigen Öl- und Gasterminals. Im Mai brachten diese Exporte $7,55 Milliarden ein, täglich fast $250 Millionen. Und dennoch fehlen grundlegende Dienste, es gibt kaum Arbeit und die Ernüchterung sitzt tief.
Stehende Abwasserkloaken haben gesundheitliche Beschwerden verursacht, und das Leitungswasser ist mitunter mit Schlamm und Staub kontaminiert. Der Strom wird täglich für sieben Stunden abgestellt. Trotz des Ölreichtums ist das schiitische Kernland im Süden des Irak seit langem vernachlässigt worden, erst vom gestürzten Diktator Saddam Hussein und dann von den von Schiiten geführten Regierungen, die auf ihn folgten. Das gilt in den Augen vieler auch für Ministerpräsident Haider al-Abadi, gegen den sich in jüngster Zeit ein Großteil des Ärgers richtet. (…) Der Ärger richtet sich im Wesentlichen gegen die für korrupt gehaltene politische Elite. Das Misstrauen gegen die Politiker war noch nie so groß. Im Laufe der letzten Woche haben Demonstranten Regierungsgebäude und die Büros der mächtigen schiitischen Milizen angegriffen.
Von der brütenden Hitze unbeirrt breiteten die Demonstrationen sich von Basra nach Samawa, Amara, Nassiriya, Nadschaf, Kerbala und Hilla aus. Auch in Bagdad kam es zu kleineren Demonstrationen. Am Mittwoch gab es zudem kleinere Proteste in dem südöstlich von Basra Stadt gelegenen Abu Al Khasib. Gerade überraschend sind die Proteste nicht. Jeden Sommer strömen die Bewohner Basras, wenn die Temperaturen 50 Grad erreichen und die grundlegenden öffentlichen Dienste zusammenbrechen, auf die Straßen. Hinter dem Chaos der brennenden Reifen und des Tränengases verweist der Mangel an einheitlicher Führung darauf, wie schwer die Missstände wiegen, und darauf, dass sich in dem Land, in dem Politiker ihre Anhängerschaft regelmäßig aufwiegeln, um ihre politischen Gegner auszustechen, etwas verändert. Diesmal werden die Iraker nicht von politischen Parteien mobilisiert, von denen sie sich eine Gegenleitung erhoffen, sondern sie strömen spontan auf die Straßen, um ihre elementarsten Rechte einzufordern. (…)
Am Samstag entsandte al-Abadi sechs Einsatzdivisionen und drei Terrorabwehrbataillone in den Süden. Die kampfgestählten Terrorabwehroffiziere des Irak wurden zuletzt bei der Befreiung Mosuls vom Islamischen Staat eingesetzt. (…) Je größer die Differenzen zwischen den Demonstranten und der Zentralregierung, desto wahrscheinlicher ist es, dass Bagdad gegen die aufrührerische Bevölkerung energisch durchgreifen wird. Die Behörden behaupten, dass es nicht nur acht Tote gebe, sondern auch mehr als 260 Angehörige der Sicherheitskräfte verletzt worden seien.“ (Sofia Barbarani: „The leaderless protests of southern Iraq see years of neglect boil over“)