Proteste im Iran: Neue Daten deuten auf wesentlich mehr Tote hin

Protestkundgebung im Iran
Protestkundgebung im Iran (© Imago Images / ZUMA Wire)

Offizielle Daten zeigen einen Anstieg um etwa 5.000 Todesfälle im iranischen Monat Aban, der mit jenem Zeitraum zusammenfiel, im dem das Regime sein Vorgehen gegen die landesweiten Proteste verschärfte. 

Der iranische Journalist Amir-Hadi Anvari zitierte von der iranischen Nationalen Organisation für Zivile Registrierung veröffentlichte Daten, aus denen hervorgeht, dass die Zahl der registrierten Todesfälle vom 23. Oktober bis zum 21. November um rund 5.000 höher lag als im Monat davor. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Sicherheitskräfte weit mehr Menschen getötet haben, als von Menschenrechtsgruppen schätzen, die von einer Zahl von 500 zivilen Opfern in den vier Monaten seit dem Beginn der Proteste ausgehen. 

Den offiziellen Zahlen der Nationalen Organisation für Zivile Registrierung zufolge belief sich die Gesamtzahl der Todesopfer im Monat Aban, der mit einem Höhepunkt der weiter anhaltenden Proteste zusammenfiel, auf 37.488, während im vorangegangenen iranischen Monat (namens Mehr) 32.455 Menschen verstorben waren und im Monat davor 35.564. Im Jahr 2021 gab es im Monat Aban weniger Todesfälle als im vorangegangenen 30-Tage-Zeitrauma, was den sprunghaften Anstieg im Jahr 2022 noch auffälliger macht.

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Die nach Provinzen aufgeschlüsselte Zahl der Todesfälle zeigt, dass die beiden besonders stark von Protest und Repression betroffenen Provinzen Sistan-Balutschistan und Kordestan in dem genannten Zeitraum den höchsten Anstieg der Zahl der Todesfälle zu verzeichnen hatten. Auch das Regime hat bestätigt, dass es seine militärische Revolutionsgarde in den kurdischen Gebieten einsetzt, um gegen die Demonstranten vorzugehen. Die von Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten Zahlen zeigen ebenfalls, dass die meisten Demonstranten in diesen beiden Regionen getötet wurden.

Das Vorgehen des Regimes in der mehrheitlich sunnitischen Provinz Sistan-Baluchistan war im Monat Aban besonders hart. Bei der als »Blutiger Freitag« bekannt gewordene Niederschlagung der Proteste in Zahedan, der Provinzhauptstadt von Sistan-Baluchestan, töteten die Sicherheitskräfte am 30. September mehr als 80 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. Sistan-Baluchestan ist die zweitgrößte und am wenigsten entwickelte Provinz des Landes – und die sunnitische Minderheit der Belutschen gehört zu den am stärksten verfolgten Gruppen im Iran. 

Wie viele Tote?

Die in den USA ansässige Human Rights Activists News Agency (HRANA), eine der Gruppen, die tägliche Statistiken über die Proteste erstellt und veröffentlicht, erklärte am Dienstag, dass vom 17. September bis zum 23. Januar 525 Demonstranten getötet worden seien, darunter 71 Kinder. Die Zahl der verhafteten Demonstranten belaufe sich auf fast 20.000, während das Regime bisher vier Menschen hingerichtet hat und Dutzende wegen »Moharebeh« (»Kampf gegen Gott«) »Korruption auf Erden« verurteilt hat; Vergehen, auf die die Todesstrafe steht. Die Islamische Republik wendet diese auf vagen islamischen Begriffen basierenden Anklagen gegen Personen an, die bei Protesten in eine Konfrontation mit Sicherheitskräften geraten sein sollen. 

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Schon länger wird darüber spekuliert, dass die reale Zahl der Todesopfer bei der Niederschlagung der Proteste weitaus höher sein könnte. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit gibt, die Entwicklung der Zahl der Todesfälle wissenschaftlich zu untersuchen, ist der sprunghafte Anstieg um 5.000 Tote in einem Monat ein Grund zur Besorgnis, der einer weiteren eingehenden Analyse bedarf.

Proteste im Jahr 2019

Im November 2019 kam es im ganzen Iran ebenfalls zu einer Reihe von Protesten, die auch als »blutiger November« bezeichnet wird. Ursprünglich ausgelöst durch eine 50- bis 200-prozentige Erhöhung der Treibstoffpreise, gingen die Demonstrationen schnell in Forderungen nach dem Sturz der Regierung und des Obersten Führers Ali Khamenei über. Dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation zufolge wurden zwischen dem 15. und 17. November mindestens 3.000 Demonstranten von den Sicherheitskräften der Islamischen Republik getötet und fast 20.000 festgenommen. Reuters meldete damals 1.500 Tote, während die offizielle Zahl des Regimes bei etwa 300 liegt. 

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