In Tunis demonstrierten Tausende Menschen gegen die Machtübernahme durch Präsident Kais Saied und seinen antidemokratischen Führungsstil.
Am Samstag, dem 14. Januar, der den Jahrestag eines Schlüsseldatums der Revolution von 2011 darstellt, die zum Sturz des Langzeitdiktators Zine el-Abidine Ben Ali führte, demonstrierten Tausende Menschen im Zentrum von Tunis gegen die fast vollständige Machtübernahme durch den tunesischen Präsidenten Kais Saied sowie gegen die schlechte Wirtschaftslage im Land. Saieds »Putsch hat uns Hunger und Armut gebracht«, sagte einer der Demonstranten gegenüber der Agence France-Presse.
Die Opposition mag zwar das Bestreben teilen, Saied aus dem Amt zu drängen, doch ansonsten ist sie nach wie vor gespalten. So waren die Proteste vom Samstag auch von verschiedenen Gruppen organisiert worden, die laut Polizei in getrennten, festgelegten Bereichen sich bewegen sollten. Die Demonstranten erklärten jedoch, sie wollten sich den Anweisungen der Polizei widersetzen und zur zentralen Habib-Bourguiba-Allee marschieren, dem traditionellen Ort für Kundgebungen, wofür sie auch die von den Sicherheitskräften errichteten Barrikaden durchbrachen.
»Wir waren im Januar 2011 auf der Bourguiba, als Saied nicht dabei war, und heute schließt er sie für uns. Wir werden sie um jeden Preis erreichen«, sagte Chaima Issa, ein Aktivist, der an der Revolution von 2011 teilgenommen hatte, laut einem Reuters-Reporters vor Ort, und berichtete, vor dem Gebäude des Innenministeriums in der Avenue Habib Bouguiba sei ein großes Polizeiaufgebot zu sehen gewesen, das auch Wasserwerfer einsetzte.
Saied hatte im Juli 2021 das gewählte Parlament aufgelöst und begonnen, das politische System umzugestalten, was in eine Verfassungsreform mündete. Die geringe Beteiligung bei der Wahl einer neuen, größtenteils machtlosen Legislative im Dezember zeigte allerdings, dass die Öffentlichkeit nur wenig Sympathie für seine Änderungen hegt.
Gespaltene Opposition
Die wichtigsten politischen Kräfte, darunter die meisten Parteien und die Gewerkschaft, lehnen Saieds Projekt ab, viele von ihnen bezeichnen es als antidemokratischen Putsch. Es ist ihnen jedoch nicht gelungen, die tiefen ideologischen und persönlichen Gräben zu überwinden, die sie jahrelang entzweiten, anstatt eine gemeinsame Front zu bilden.
Viele Parteien lehnen noch immer eine Rolle für die größte Partei, die den islamistischen Muslimbrüdern nahestehende Ennahda, ab. Die mächtige Gewerkschaft UGTT strebt einen nationalen Dialog an, will aber keine Partei einladen, die Saied eines Staatsstreichs beschuldigt.
Die aktuellen Proteste fanden auf den Tag genau zwölf Jahre nach dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali statt. Der 14. Januar wird von den meisten tunesischen Parteien und Gruppen der Zivilgesellschaft deswegen auch als Jahrestag der Revolution betrachtet.
Saied hat das offizielle Datum jedoch im Alleingang geändert und erklärt, er betrachte den 14. Januar als jenen Moment, in dem die Revolution in die Irre gegangen sei.