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Internationaler jüdischer Protest gegen drohende Hinrichtung eines Juden im Iran

Protest gegen Hinrichtungen im Iran
Protest gegen Hinrichtungen im Iran (© Imago Images / ZUMA wire)

Wie amerikanische iranisch-jüdische Aktivisten berichten, wurde die bevorstehende Hinrichtung eines jungen jüdischen Mannes, der vom Regime zum Tode verurteilt worden war, verschoben.

Karmel Melamed 

Der zwanzigjährige Arvin Ghahramani ist Nachrichtenberichten zufolge in der Stadt Kermanshah in der Nähe der irakischen Grenze festgehalten, wo er nach einem auf der Straße ausgebrochenen Streit des Totschlags beschuldigt wird. »Wir haben von der jüdischen Gemeinde im Iran die Nachricht erhalten, dass die bevorstehende Hinrichtung dieses jungen jüdischen Mannes vorerst verschoben wurde, bis der Oberste Gerichtshof das Urteil überprüft hat«, sagte der iranisch-jüdische Aktivist und Mitbegründer der Gruppe No to Antisemitism, George Haroonian, in Los Angeles.

Ghahramani ist im Dizelabad-Gefängnis in Kermanshah inhaftiert, nachdem er vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurde, weil er vor zwei Jahren einen Muslim namens Amir Shokri während einer Straßenschlägerei getötet hatte, so ein Bericht der im Iran ansässigen Human Rights Activists News Agency.

Die freiberuflich tätige iranisch-jüdische Journalistin mit Sitz in den Niederlanden, Rosa Parto, die zu den ersten persischsprachigen Reportern gehörte, die Mitte Mai über Ghahramani berichteten, sagte, sie habe mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde im Iran gesprochen: »Sie sind sowohl schockiert als auch verärgert über die Nachricht von der bevorstehenden Hinrichtung Arvins, da sie bis jetzt darüber im Unklaren gelassen wurden.« Juden im Iran hätten ihr erzählt, dass ihre Führung sich über den Fall und darüber ausgeschwiegen hätte, ob sie sich in den letzten zwei Jahren hinter den Kulissen für die Freilassung Ghahramanis eingesetzt haben. Die Funktionäre »haben nichts unternommen, um ihm zu helfen und äußern sich erst jetzt öffentlich, da er vom Tod bedroht ist«, so die Quellen von Parto.

Zutiefst besorgt 

Die US-Sonderbeauftragte für die Überwachung und Bekämpfung von Antisemitismus, Deborah Lipstadt, scheint die einzige amerikanische Offizielle zu sein, die sich bislang zu der bevorstehenden Hinrichtung geäußert hat. »Wir sind zutiefst besorgt über Berichte, dass die iranischen Behörden die Hinrichtung von Arvin Ghahramani planen«, schrieb Lipstadt kurz nach der Bestätigung des Todes des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi und anderer Beamter bei einem Hubschrauberabsturz Anfang dieser Woche: 

»Wir nehmen mit Sorge zur Kenntnis, dass die iranischen Behörden jüdische Bürger oft anderen Maßstäben unterwerfen, wenn es darum geht, Urteile in Fällen dieser Art auszusprechen. Wir fordern die iranischen Behörden erneut auf, alle Garantien für ein faires Verfahren zu respektieren und eine gerechte Anwendung des Gesetzes zu gewährleisten.«

Die USA und andere Staaten hatten Kritik auf sich gezogen, als ihre Delegierten bei den Vereinten Nationen am Montag eine Schweigeminute für Raisi und die anderen ums Leben gekommenen Funktionäre der Islamischen Republik einlegten. Auch das US-Außenministerium sprach sein »offizielles Beileid« zu den Todesfällen aus. John Kirby, Kommunikationsberater des Weißen Hauses für nationale Sicherheit, erklärte am Montag gegenüber Journalisten, »Beileidsbekundungen [seien] eine übliche Praxis«.

»Wir verfolgen mit großer Sorge Berichte, dass ein junger jüdischer Mann in den kommenden Tagen von der Islamischen Republik Iran hingerichtet werden soll«, schrieb die Anti-Defamation League (ADL). »Wir fordern den Dienst für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, das US-Außenministerium und den Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, auf, bei der Islamischen Republik Iran zu intervenieren, um die für morgen geplante Hinrichtung eines zwanzigjährigen iranischen Juden zu verhindern«, schrieb Hillel Neuer, Geschäftsführer von UN Watch am 17. Mai.

Gebt ihr ihren Sohn zurück

Homayoun Sameyah Najaf-Abadi, Leiter des Jüdischen Komitees in Teheran – einer Dachorganisation jüdischer Organisationen, die sich für iranische Juden einsetzen –, schrieb am 16. Mai auf Telegram in persischer Sprache, er habe versucht, Ghahramani zu helfen. So wollte er mehrmals, allerdings vergeblich, mit Mitgliedern der Familie des Opfers sprechen oder sich mit ihnen treffen, um sie davon zu überzeugen, das Gericht zu bitten, die Todesstrafe nicht zu vollstrecken. Dabei habe er versucht, über Mittelsmänner Kontakt mit der Familie Shokri aufzunehmen, darunter muslimische Führer in Kermanshah, ein muslimisches Parlamentsmitglied, das die Stadt vertritt, und der jüdische Gemeindeleiter der Stadt.

Der Aktivist aus Los Angeles erklärte diesbezüglich, nach der dem iranischen Strafgesetz zugrundeliegenden Scharia könne die Familie eines Opfers die staatlichen Gerichte bitten, den Angeklagten unter bestimmten Umständen nicht zum Tod zu verurteilen. »In einigen Fällen, wenn die Familie des Opfers zustimmt, die diyah oder das ›Blutgeld‹ anzunehmen, was normalerweise Bargeld oder andere Formen der Wiedergutmachung ist, kann die Familie des Opfers das Gericht bitten, das Urteil einer Hinrichtung oder einer Gefängnisstrafe auszusetzen.«

Das jüdische Oberhaupt im Iran, Sameyah Najaf-Abadi, schrieb in einem Telegram-Posting, er habe der Familie Shokri angeboten, die diyah zu hinterlegen und in der Stadt eine Moschee oder eine Schule im Namen Ghahramanis errichten zu lassen, aber sie habe alle Angebote abgelehnt.

Ein handgeschriebener Brief in persischer Sprache, der vermutlich von Ghahramanis Mutter verfasst wurde, kursiert in den sozialen Medien. Darin bittet sie die jüdische Gemeinschaft um Hilfe bei der »Rückkehr ihres Sohnes« und um Gebete für seine sichere Heimkehr. Im Internet kursiert auch eine persische Sprachaufnahme, die angeblich ebenfalls von Ghahramanis Mutter stammt und in der sie darum bittet, »für Arvin zu beten, damit mein Sohn wieder nach Hause zurückkehren kann«.

Parto, die holländische Journalistin, sagte, die Einzelheiten von Ghahramanis tödlicher Straßenschlägerei seien unbekannt, weil das Gericht die Akten nicht freigegeben hat. »Alle jüdischen Menschen im Iran, mit denen ich in den letzten Tagen gesprochen habe, sagen, dass sie sehr besorgt und ängstlich um Arvins Leben sind« und täglich für ihn beten, so Parto. »Sie sagen, dass er sich in einer sehr gefährlichen Situation befindet, weil er Jude ist und dadurch in den Augen des radikal-islamischen Regimes bereits einen minderwertigen Status hat, aber jetzt ist er auch noch in die angebliche Ermordung eines Muslims verwickelt, was seine Situation noch verschlimmert.«

Bei vielen iranischen Juden werden mittlerweile der Zorn und die Wut auf ihre Führer immer größer. »Viele der Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sagen: ›Wir hätten Arvins Stimme sein können oder ihm helfen können, einen besseren Anwalt zu bekommen oder das Geld aufzutreiben, um seine Hinrichtung zu verhindern‹, wenn unsere Führer uns nur früher über diese Situation informiert hätten, anstatt bis zur letzten Minute zu warten, bis ihm die Schlinge des Henkers drohte«, so die Journalistin.

Das Jewish News Syndicate war nicht in der Lage, Funktionäre der jüdischen Gemeinde im Iran direkt zu erreichen. Die Leiter der iranisch-amerikanischen jüdischen Verbände in Los Angeles und New York lehnten eine Stellungnahme ab. Jüdische Führer außerhalb des Irans sehen seit mehr als vier Jahrzehnten in aller Regel davon ab, das islamische Regime öffentlich zu kritisieren, weil sie befürchten, ihre Äußerungen könnten zu Vergeltungsmaßnahmen gegenüber ihren jüdischen Freunde und Verwandten führen.

Einige iranisch-jüdische Aktivisten in Los Angeles erklärten jedoch, ihre Gemeinde sei über Ghahramanis Schicksal sehr besorgt: »Die iranisch-amerikanische jüdische Gemeinschaft ist empört und traurig über die schrecklichen Umstände, denen dieser junge jüdische Mann in der Islamischen Republik ausgesetzt ist«, sagte der ehemalige Präsident der iranisch-jüdischen gemeinnützigen Organisation 30 Years After, Sam Yebri. »Der Fall unterstreicht die gefährliche Situation der verbliebenen Juden, die im Iran leben und sollte die Bemühungen der jüdischen Gemeinschaft verdoppeln, für den Schutz der Menschenrechte dieses jungen Mannes und aller Iraner zu kämpfen, die unter diesem brutalen illegitimen Regime leiden.«

Auch nichtjüdische iranisch-amerikanische Gruppierungen haben ihre Unterstützung für Ghahramani bekundet. »Iranische Amerikaner, unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund, sind verärgert darüber, dass ein weiterer ihrer Landsleute den Tod durch die Islamische Republik erleiden muss«, sagte der Vizepräsident der in Washington ansässigen National Union for Democracy in Iran, Cameron Khansarinia. »Wir sind uns bewusst, dass unsere jüdischen und der Baha’i-Religion angehörigen Iraner wegen ihres Glaubens oft besonders verfolgt werden.«

Fragwürdige Umstände

Während am Vorabend der Islamischen Revolution im Jahr 1979 noch 80.000 Juden im Iran gelebt hatten, befanden sich nach Angaben des Jüdischen Weltkongresses im Jahr 2012 noch schätzungsweise neun- bis zwölftausend Juden im Land. Nach Angaben der CIA betrugen Juden, Zoroastrier, Hindus und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften im Jahr 2020 insgesamt etwa 0,2 Prozent der iranischen Bevölkerung.

Der Iran-Bericht des US-Außenministeriums, der Teil des Länderberichts 2023 über Menschenrechtspraktiken ist, zitiert das Jüdische Komitee Teheran mit der Aussage, dass schätzungsweise neuntausend Juden im Iran leben. »Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren Berichten zufolge staatlichen Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Regierungsbeamte, darunter der Oberste Führer, der Präsident und andere Spitzenbeamte äußerten sich routinemäßig in ungeheuerlicher antisemitischer Rhetorik und leugneten und verzerrten den Holocaust«, heißt es in dem Bericht. Die Social-Media-Accounts des Obersten Führers Ali Khamenei »enthielten wiederholt antisemitische Stereotype und Angriffe«, heißt es weiter. Staatliche Medien behaupteten routinemäßig, »Zionisten« beeinflussten westliche Nationen bei den Iran betreffenden Themen und beschuldigten »Zionisten« unter anderem, Unruhen im Land zu schüren.

Im Jahr 2000 wurden dreizehn Juden aus der Stadt Schiraz unter dem Vorwurf der Spionage für Israel verhaftet und sollten hingerichtet werden. Dank einer lautstarken Kampagne iranisch-jüdischer Aktivisten in Los Angeles und der jüdischen Gemeinschaft wurden sie freigelassen.

Die drohende Hinrichtung Ghahramanis kommt für viele iranische Juden zu einem schmerzlichen historischen Zeitpunkt, denn sie gedachten gerade erst des 45. Jahrestags der Hinrichtung des jüdischen Gemeindeleiters Habib Elghanian durch das islamische Regime am 9. Mai 1979. Der von Scheinanschuldigungen getragene Prozess dauerte damals Berichten zufolge weniger als zwanzig Minuten.

Haroonian erklärte, er werde Ghahramanis Fall weiter publik machen und die amerikanischen Juden bitten, internationalen Druck auf das iranische Regime auszuüben, um ihn zu verschonen. »Die Behörden des Regimes müssen wissen, dass die Augen der Welt auf sie gerichtet sind, und amerikanisch-jüdische Führer können das tun. Das Regime muss wissen, dass sie einen jungen Mann nicht unter fragwürdigen Umständen hinrichten können.«

Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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