Statt gegen den tief eingewurzelten Antisemitismus vorzugehen, sorge sich die „Jerusalem Declaration“ darum, wie man Israel kritisieren könne, ohne als Antisemit zu gelten, sagt Peter Longerich im Standard Interview mit Sebastian Pumberger
Peter Longerich, Der Standard
Die Sorge des Papiers ist, unter welchen Bedingungen man überhaupt noch Kritik an Israel üben kann, um nicht als antisemitisch gescholten zu werden. Das ist eine Perspektive, die für Deutschland so nicht zu trifft. Wir haben die Situation, dass man in einer Umfrage für die Frage „Wenn ich mir die Politik Israels anschauen, verstehe ich, wenn man etwas gegen Juden hat“ eine Zustimmung von über 40 Prozent bekommen kann. Ich nehme an, das ist in Österreich ähnlich.
Wir haben das andere Problem, dass man in Deutschland nicht in Gefahr gerät, als Antisemit bezeichnet zu werden, wenn man Israel angreift, sondern es ist umgekehrt der Fall, dass in der Bevölkerung das weit verbreitet ist und vermischt wird. Somit ist diese Erklärung wenig hilfreich. (…) Wir haben es mit einem traditionellen, tief eingewurzelten Antisemitismus zu tun, bei dem wir nicht genau wissen, wie die Tradierung vorgeht und wie wir sie brechen könnten. Das ist das Problem eigentlich, das für mich so eine Erklärung umfassen müsste. (…)
Die BDS-Bewegung strebt ein Ende des Staates Israels an, wie er heute besteht. Ich sehe die BDS-Bewegung als Teil des Kampfes der Palästinenser gegen diesen Staat. Die Abschaffung Israels hätte fatale Folgen für die Bürger dieses Landes, ich will mich nicht daran beteiligen, hier einen feinsinnigen Unterschied zwischen Antisemitismus und Israel-Feindschaft zu ziehen. Das führt in die Irre, das auseinanderzuhalten ist untauglich.
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