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Iran: Parlamentswahlen, die keine Wahlen sind, sondern eine Farce

Die Parlamentswahl im Iran kommt für das Regime zu einem ungünstigen Zeitpunkt (Mahdi Sigari/CC BY 4.0)
Die Parlamentswahl im Iran kommt für das Regime zu einem ungünstigen Zeitpunkt (Mahdi Sigari/CC BY 4.0)

Noch nie zuvor wurden vor einer Parlamentswahl so viele Kandidaten von den Listen gestrichen, selbst regimetreue „Reformer“ sind kaum mehr vertreten.

Oliver M. Piecha, Jungle World

Die Wahlen mögen nach westlichen Maßstäben eine Farce sein, bedeutungslos sind sie dennoch nicht. Die Islamische Republik ist in ihrem Staatsaufbau nicht mit anderen autoritären Diktaturen wie etwa in Syrien zu vergleichen. Ihr vergleichsweise größeres Potential, auch schwere innenpolitische Unruhen zu überstehen – wie es vor allem im Jahr 2009 bei der „Grünen Bewegung“ deutlich wurde, hat sie der Existenz mehrerer Machtgruppen zu verdanken, die wie Trabanten um das Zentrum in Gestalt des Revolutionsführers Ali Khamenei kreisen.

Diese plurale Machtstruktur erlaubt es, bis zu einem gewissen Grad, Erschütterungen aufzufangen und Interessen auszugleichen. Auch die Illusion einer Reformierbarkeit des Systems konnte so lange Zeit aufrechterhalten werden. Dafür stehen die notorischen „Moderaten“ und „Reformer“, denen auch Präsident Hassan Rohani angehört. Über 20 Jahre lang, seit der ersten Präsidentschaft von Mohammed Khatami in den neunziger Jahren, haben die Apologeten der Islamischen Republik immer wieder Reformen versprochen, die nie gekommen sind und die auch nie kommen konnten, schließlich steht das gesamte Machtgefüge der Islamischen Republik gegen einen grundsätzlichen Umbau des Staates. Alles andere konnte und sollte nur Kosmetik sein. (…)

Zumindest werden die Parlamentswahlen dafür sorgen, dass man sich für eine Weile keine fruchtlosen Gedanken mehr über „Reformer“ und „Moderate“ im Iran machen muss. Im neuen Parlament werden sie kaum noch vertreten sein.

Das liegt an einer speziellen Verfassungskonstruktion der Islamischen Republik, der Institution des Wächterrates. Dieses Gremium aus zwölf handverlesenen Klerikern kontrolliert die Einhaltung der revolutionären Normen, auf denen der Staat gegründet ist. Mit ihm kann der religiöse Führer Wahlen steuern und Beschlüsse der gewählten Regierung widerrufen lassen. Wer in der Islamischen Republik als Kandidat auf eine Wahlliste gelangen will, muss seine Kandidatur vom Wächterrat bestätigen lassen. Für die gegenwärtigen Parlamentswahlen ist bisher von rund 14 000 Kandidaten, die sich zur Wahl stellen wollten, nur die Hälfte zugelassen worden.

Die Streichung von der Kandidatenliste hat auch einzelne Hardliner betroffen, in der Masse geht sie aber zu Lasten der Moderaten und Reformer, die somit in weiten Teilen des Landes gar nicht zur Wahl stehen. Seit der Staatsgründung 1979 sind noch nie so viele Kandidaten disqualifiziert worden. (…)

Diesmal zeichnen sich ein paar interessante Entwicklungen ab: Rohanis Verbündete werden so weit an den Rand gedrängt, dass schon Überlegungen zum Wahlboykott aufgekommen sind. Ein Großteil der Abgeordneten, auf die sich der Präsident zur Zeit stützt, darf sich nicht zur Wiederwahl stellen. Rohani hat als Zeichen des Protestes dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Macht des Wächterrates bei der Kandidatenbestätigung beschneiden soll. Das ist allerdings auch nur ein symbolischer Akt – der Wächterrat müsste seiner eigenen Entmachtung schließlich zustimmen.

Mehr Protest ist von den sogenannten Moderaten und Reformern nicht zu erwarten, schließlich hat Khamenei bereits drohend gemahnt, in der Kritik nicht zu weit zu gehen, nachdem Rohani vor einer bloß noch „zeremoniellen Wahl“ gewarnt hatte.

Und so deuten sich Machtverschiebungen an: Ali Larijani, seit 2008 Parlamentssprecher und einer der prominentesten Politiker des Iran, hat sich nicht zur Wiederwahl gestellt. Was das bedeutet, weiß bisher niemand – eine Entmachtung der einflußreichen Familie oder eine Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr? Alis Bruder, Sadeq Larijani der zehn Jahre lang den Justizapparat kontrolliert hat, muss sich derweil mit Korruptionsvorwürfen herumschlagen.

Neuer Parlamentssprecher könnte Mohammed Bagher Ghalibaf werden, der Bürgermeister von Teheran, ein ehemaliger Polizeichef und General der Revolutionsgarden – vielleicht ein Anwärter auf den Posten eines neuen starken Mannes. So oder so werden die letzten Monate von Rohanis Präsidentschaft mit einem dann gänzlich feindselig gestimmten Parlament noch weniger produktiv verlaufen als die Jahre zuvor.

Die Wahl wird kaum Überraschendes bieten, schon mangels Alternativen. An den Kommunalwahlen haben voriges Jahr in Teheran nur sieben Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Seine Klientel wird das Regime aber zur Wahl mobilisieren, das Bild der geschlossen für die Islamische Republik eintretenden Massen soll ja aufrechterhalten werden.

Was freie Wahlen ergäben, ist Spekulation. Eine Forschergruppe aus den Niederlanden befragte im März 2019 online immerhin mehr als 200.000 Iranerinnen und Iraner, wie sie bei einem freien Referendum über die Staatsform des Landes abstimmen würden. Die Umfrage ­ergab, dass 79 Prozent der Islamischen Republik eine Absage erteilen würden.

Stagnation statt Revolution

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