Von Bassam Tawil
Als diese Woche palästinensische Frauen gemeinsam mit israelischen Frauen an einem Marsch für den Frieden teilnahmen, wurden sie von vielen anderen Palästinensern, die ihre Bestrafung forderten, mit übelsten Beleidigungen beschimpft. Die palästinensischen Frauen, die an der von der Gruppe Women Wage Peace organisierten Veranstaltung am 8. Oktober teilgenommen hatten, wurden von vielen aus ihrem eigenen Volk als „Verräterinnen“ und „Huren“ beschimpft. Während zur gleichen Zeit offizielle Abgesandte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) „Versöhnungs“-Gespräche mit der Hamas-Führung im Gazastreifen und Ägypten führten, titulierten viele Palästinenser diese führenden Vertreter als „Helden“ und „mutige Männer”. Den Reaktionen nach zu urteilen – insbesondere in den sozialen Medien –, ist ihnen der Friede mit der Hamas lieber als der mit Israel.
Die Tausenden palästinensischen Frauen, die an dem Marsch mit den israelischen Frauen teilgenommen hatten, werden bezichtigt, die „Normalisierung“ mit Israel zu unterstützen. Dies ist in den Augen ihrer Kritiker ein abstoßender und verabscheuungswürdiger Akt, gleichbedeutend mit „Hochverrat“: ein Vergehen, auf das die Todesstrafe steht. Vor dem Marsch der Frauen hatten Aktivisten einen Online-Aufruf gestartet, um die palästinensischen Frauen von der Teilnahme an der „beschämenden“ Veranstaltung abzuhalten. Es war eine bösartige Kampagne, die sich über mehrere Tage erstreckte und die palästinensischen Frauen des Verrats beschuldigte, weil sie die „Normalisierung“ mit dem „israelischen Feind“ unterstützten.
Eine Gruppe – die Women’s Campaign for Boycotting Israeli Merchandise – äußerte in einer Mitteilung, der geplante Marsch sei eine „schmerzliche Erfahrung für die palästinensischen und arabischen sowie die internationalen Bestrebungen zur Boykottierung und Isolierung Israels.“ Die Gruppe hob hervor, dass der Marsch gleichbedeutend sei mit einem „zionistisch-imperialistischen Anschlag mit dem Ziel, das Nationalprojekt der Palästinenser zu untergraben.“ Auf welche „zionistisch-imperialistische“ Verschwörung sich die Beschwerdeführer genau beziehen, bleibt unklar. Eine derartige Rhetorik spiegelt jedoch die in der arabischen und islamischen Welt herrschende Geisteshaltung wider. Die am weitesten verbreitete Verschwörungstheorie, die schon seit Jahrzehnten verbreitet wird und in nahezu jedem Café und jeder Straße in Kairo, Amman, Ramallah und Beirut zu hören ist, ist die, dass die zionistischen Juden gemeinsam mit den amerikanischen Kapitalisten und Imperialisten einen geheimen Plan zur Übernahme der arabischen und islamischen Länder und deren Ressourcen haben.
Was aber hat ein friedlicher Marsch israelischer und palästinensischer Frauen mit Zionismus und Imperialismus zu tun? Wie genau versuchen die „Zionisten und Imperialisten“ das palästinensische „Nationalprojekt“ zu „unterminieren“? Und was genau ist dieses Nationalprojekt? Ist es das Projekt der Hamas und vieler anderer Palästinenser, dessen Ziel die Zerstörung Israels ist? Ist es das Projekt, bei dem noch immer die Rede ist von einem Phasenplan zur Zerstörung Israels durch die Forderung eines palästinensischen Staates in direkter Nähe zu Israel, den man in der Zukunft als Ausgangsbasis für die Eliminierung Israels benutzen könnte?
Schon seit langem verbreiten palästinensische und arabische Führer anti-israelische, anti-jüdische und anti-westliche Verschwörungstheorien. Warum tun diese Führer das? Zu einem einzigen Zweck: es ist ein Ablenkungsmanöver. Die korrupten arabischen und palästinensischen Führer verbreiten diese Gerüchte, um die Aufmerksamkeit von Problemen im eigenen Land, wie etwa Korruption und Diktatur, abzulenken. Diese Staatsoberhäupter wollten, dass ihr Volk zu beschäftigt mit dem Hass auf die Juden und den Westen ist, um Reformen, Demokratie und Transparenz von ihren Anführern zu fordern. Diese Werte sind natürlich genau das, was die arabischen und palästinensischen Staatsoberhäupter ihrem Volk nach wie vor verweigern.
Aber zurück zu dem umstrittenen Marsch der Frauen.
Die beleidigenden Äußerungen, die man den palästinensischen Frauen, die an dem Marsch teilgenommen haben, entgegenschleuderte, sind offen gesagt beschämend. Selbst das Komitee der PLO, das die Teilnahme der palästinensischen Frauen an dem Marsch bewilligte, wird von vielen Palästinensern an den Pranger gestellt. Einige fordern sogar, die involvierten PLO-Vertreter zur Verantwortung zu ziehen. Der verbale Angriff erinnert an die Erfahrung, die die jungen Palästinenserinnen machen mussten, die vor Kurzem gemeinsam mit israelischen Mädchen an einem Sommercamp in den USA teilgenommen hatten. Für ihre Teilnahme an diesem Sommercamp, das von Creativity for Peace – einer Organisation aus Santa Fe, New Mexico – organisiert worden war, mussten die Mädchen eine massive Hetzkampagne über sich ergehen lassen.
Wie die Frauen, die an dem Marsch teilnahmen, wurden auch die weiblichen Teenager in den sozialen Medien verflucht und als „Schlampen“ und „Verräterinnen“ bezeichnet. Der verbale Missbrauch machte auch vor den Eltern der palästinensischen Mädchen nicht halt, weil diese ihren Töchtern erlaubt hatten, die Sünde zu begehen, gemeinsam mit israelischen (jüdischen) Mädchen zu tanzen und Zeit zu verbringen. Ebenso wie die Frauen wurden auch die Mädchen beschuldigt, die „Normalisierung“ mit Israel zu unterstützen.
Traurig aber wahr ist, dass bislang nur eine Handvoll Palästinenser den Mut hatte, die Mädchen aus dem Sommerlager oder die Frauen, die an dem Marsch vom 8. Oktober teilgenommen hatten, öffentlich zu verteidigen. Auch wenn viele Palästinenser gegen die brutalen und sinnlosen Angriffe auf die Mädchen und Frauen sein mögen, ist ihre Angst, sich öffentlich für sie auszusprechen, einfach zu groß. Niemand will selbst zur Zielscheibe der verbalen Peiniger werden, insbesondere, wenn einige dieser Täter Verbindungen zu Terrorgruppen wie der Hamas, dem Islamischen Dschihad (PIJ) oder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) haben.
Palästinenser haben die unglückliche Angewohnheit, dass sie sich von Rowdys und Terroristen einschüchtern lassen und zulassen, dass diese die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs besitzen und die Marschrichtung vorgeben. Das ist mit Sicherheit nichts Neues. Die meisten Palästinenser sehen lieber zu, als öffentlich ihre Meinung zu sagen. Dies ist das Ergebnis, wenn man – wie unter der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas – in einer rücksichtslosen Diktatur lebt, in der die Freiheit der Meinungsäusserung schlichtweg unterdrückt wird.
Zugleich gibt es in diesem jüngsten Schauspiel eine ironische Wendung. Als die Frauen öffentlich für die gemeinsame Teilnahme an einer Veranstaltung mit jüdischen Frauen bloßgestellt wurden, feierten zur gleichen Zeit viele Palästinenser die „Versöhnung“ zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas. Palästinenser im Westjordanland und dem Gazastreifen gingen auf die Straßen, um ihrer Freude über das „Abkommen“ Ausdruck zu verleihen, und als der Premierminister der PA und seine Delegation aus dem Westjordanland im Gazastreifen ankamen, waren Szenen brüderlicher Umarmungen und Küsse zuhauf zu sehen.
Was nun lehrt uns all das?
Erstens, dass viele Palästinenser nach wie vor jede Form des Kontakts zu Juden sowie die „Normalisierung“ mit dem „zionistischen Gebilde“ als einen Akt des Hochverrats ansehen.
Zweitens, dass die Palästinenser nicht davor zurückschrecken, ihre eigenen Frauen als Prostituierte und Verräterinnen zu bezeichnen, weil sie sich an grundlegendenden Aktivitäten mit Juden beteiligen. Nebenbei bemerkt ist eine solche Respektlosigkeit gegenüber Frauen nichts, das uns in den konservativen arabischen und islamischen Gesellschaften überraschen sollte.
Und drittens, dass es für viele Palästinenser nach wie vor wichtiger ist, Frieden mit der Hamas zu schließen als mit Israel. Aber warum bevorzugen sie den Frieden mit der Hamas? Weil sie sich mit der Vision der Hamas, Israel zu zerstören und die Juden zu töten, identifizieren. Das mag eine unbequeme Wahrheit sein, aber es ist das, was unterm Strich übrigbleibt.
Zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Bassam Tawil ist Muslim und lebt als Wissenschaftler und Journalist im Nahen Osten.