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Österreichs Regierungen und die »historische Verantwortung« für Israel

FPÖ-Chef Herbert Kickl. (© imago images/Rudolf Gigler)
FPÖ-Chef Herbert Kickl. (© imago images/Rudolf Gigler)

Die gescheiterten Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP zeigen u.a., wie sehr die FPÖ sich von anderen rechtspopulistischen Parteien unterscheidet.

Das Verhältnis der österreichischen Politik zu Juden und zum Staat Israel in den Jahrzenten nach dem Holocaust als gespannt und problematisch zu beschreiben, wäre eine Untertreibung. Auf »Lehren aus der Vergangenheit« hat man sich oft berufen, tatsächlich gezogen wurden sie, soweit überhaupt, erst mit langer Verzögerung.

Während Bürgerliche und Linke nach dem gemeinsam durch die Nationalsozialisten Erlittenen vom versöhnenden »Geist der Lagerstraße« sprachen, weigerten sich die »politisch Verfolgten« lange Zeit, die Juden, also die »rassisch Verfolgten«, als Opfer anzuerkennen. Vom Gedenken in Mauthausen blieben sie beispielsweise lange ausgeschlossen. Emigrierte Juden wurden einzig von der Kommunistischen Partei zur Rückkehr aufgefordert. Im Gegensatz dazu wurden etwa jüdische Sozialdemokraten, die meist dem linken Flügel der Partei angehörten, von der Rückkehr abgehalten.

Mit Beginn des Kalten Kriegs setzte ein regelrechter Wettbewerb der Koalitionsparteien Österreichische Volkspartei (ÖVP) und Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) um die wieder wahlberechtigten ehemaligen Nationalsozialisten ein. Während bei der ÖVP der unverbesserliche Antisemit Leopold Kunschak (1871–1953) als Nationalratspräsident und Wiens Vizebürgermeister zu Ehren kam, trat bei den Sozialdemokraten Innenminister Oskar Helmer (1887–1963) einschlägig hervor.

Gegenüber dem sozialdemokratisch regierten Staat Israel zeigten sich in der SPÖ vor allem Otto Probst (1911–1978) und Bruno Pittermann (1905–1983) solidarisch. Bruno Kreisky (1911–1990, Bundeskanzler von 1970 bis 1983) dagegen öffnete dem palästinensischen Terroristen Jassir Arafat den Weg in die Sozialistische Internationale und setzte sich auch bei den Vereinten Nationen für den PLO-Chef ein, während Kreisky sich in Österreich vor den ehemaligen Angehörigen einer SS-Einsatztruppe und Vorsitzenden der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Friedrich Peter (1921­–2005) stellte. Innerparteilich wurde eine ganze Generation von Schülern Kreiskys der Solidarität mit Israel entfremdet.

Im Gegensatz zur Regierungszeit Kreiskys und der Zeit der Waldheim-Affäre, die immerhin zu einer Abkehr vom Narrativ von Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus führte, kam es gerade zurzeit der ersten schwarz-blauen Regierung unter Wolfang Schüssel (angelobt 2000) auf internationalen Druck und dem Bemühen um eine Imageverbesserung Österreichs zum Abschluss des sogenannten Washingtoner Abkommens, mit dem wenigstens gestenhaft offen gebliebene Entschädigungs- und Restitutionsansprüche geregelt wurden.

Das Verhältnis der jüdischen Gemeinde zur FPÖ war lange Zeit vor allem durch deren Funktion als Auffangbecken ehemaliger Nationalsozialisten geprägt, verstärkt durch antisemitische Aussagen von FPÖ-Politikern wie die beleidigenden Wortspiele von FPÖ-Chef Jörg Haider (1950–2008) gegenüber dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant. Erst nach einer Bitte um Entschuldigung gab es eine leichte Verbesserung des nach wie vor distanzierten Verhältnisses.

Änderungen unter Kurz

Haiders Nachfolger als FPÖ-Obmann, Heinz-Christian Strache, stand anfangs ganz in der rechtsextremen, von schlagenden Burschenschaften geprägten Tradition seiner Partei. Er selbst weist eine Vergangenheit im Neonazi-Milieu auf und war mit der Tochter des Altnazis Norbert Burger (1929–1992) verlobt. Als Vizekanzler in der Neuauflage einer schwarz-blauen Koalition (2017–2019) unter Sebastian Kurz distanzierte sich Strache von dieser Tradition und bemühte sich mit teils unpassenden Aktionen (Besuch der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit Burschenschaften-Kappe) um eine Annäherung an Israel.

Österreich vollzog unter Kurz eine Kursänderung sowohl im Hinblick auf das Verhältnis Österreichs zu Israel als auch bei der Antisemitismusbekämpfung im eigenen Land. Er, sein Nachfolger Karl Nehammer und vor allem auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka setzten zahlreiche Initiativen zur Antisemitismusbekämpfung. Während der schwarz-grünen Koalition (2020–2025) gehörte ein geändertes Abstimmungsverhalten Österreichs bei israel-bezogenen Beschlüssen internationaler Organisationen zum Regierungsprogramm.

Blau-schwarze Verhandlungen

Das geleakte Verhandlungspapier der Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP zeigte, dass der persönlich nicht einschlägig belastete FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht nur nicht bereit war, gegen die ständig wiederkehrenden rechtsextremen »Einzelfälle« in seiner Partei vorzugehen, sondern auch, dass seine Partei nahezu alle ÖVP-Vorschläge hinsichtlich jüdischer Anliegen auf »gelb« (weitere Verhandlungen nötig) oder »rot« gesetzt, also nicht akzeptiert hat.

Auf gelb gestellt wurde etwa das von der ÖVP eingeforderte Bekenntnis zum vor einigen Jahren geschaffenen Anrecht, als Nachfahre von verfolgten österreichischen Juden oder Jüdinnen die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Rot markiert und daher von der FPÖ gänzlich abgelehnt wurde die ÖVP-Forderung, die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) »auf allen staatlichen Ebenen sowie im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk« anzuerkennen. Ebenso abgelehnt wurde der ÖVP-Vorschlag zur Schaffung eines österreichischen Holocaust-Museums und -Forschungszentrums.

Im Bereich Außenpolitik lehnte die FPÖ »die Fortführung der Israelpolitik als Staatsräson« ab und war nicht bereit, sich zu einer aus der österreichischen Geschichte und den Verbrechen des Nationalsozialismus resultierenden »historischen Verantwortung« gegenüber Israel zu bekennen. Auf rot gestellt wurde von der FPÖ auch der Punkt, dass Österreich Resolutionen gegen Israel in internationalen Organisationen wie der UNO nicht unterstützen solle. Auf grün wurde von beiden Parteien lediglich die Unterstützung einer »nachhaltigen Friedenslösung in Nahost« in Form einer »Zweistaatenlösung auf Basis des Völkerrechts« gereiht.

Die von der FPÖ abgelehnten inhaltlichen Punkte in Sachen Antisemitismusbekämpfung, historischer Verantwortung Österreichs und Verhalten gegenüber Israel machen deutlich, wie stark sich die Partei in derartigen Fragen von anderen rechtspopulistischen Parteien in Italien, Dänemark, Schweden oder den Niederlanden unterscheidet.

Schwarz-rot-pink

Die Regierungsprogramm der ersten Dreierkoalition Österreichs zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS wartet mit einer erstaunlichen Fehlleistung auf. Zu lesen ist da im Abschnitt über Integrationspolitik:

»In [verpflichtenden Orientierungskursen] werden die Grundwerte der österreichischen Verfassung wie Gleichberechtigung, LGBTIQ-Rechte, Menschenwürde, Antisemitismus, demokratische Prinzipien sowie unsere Gesetze vermittelt.« – Wollten die drei Parteien allen Ernstes behaupten, Antisemitismus sei ein Grundwert der österreichischen Verfassung?

Im Unterschied zu diesem eher peinlichen Fehler heißt es bereits in der Einleitung zum Regierungsprogramm, »religiöser und politischer Extremismus sowie Antisemitismus dürfen in Österreich keinen Platz haben«. Besondere Erwähnung findet der »zunehmende Antisemitismus von migrantischen Communitys«, der es erforderlich mache, »entschlossene und nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen, um jüdisches Leben zu schützen und ein respektvolles, tolerantes Miteinander zu fördern«. An anderer Stelle wird im Gegensatz zu dieser fragwürdigen Verengung die Notwendigkeit von Forschung über Antisemitismus »im rechts-, linksextremen und islamistischen Milieu« gesprochen. Von einem Holocaust-Museum, über das die ÖVP noch mit der FPÖ verhandelt hatte, ist jetzt keine Rede mehr.

In Bezug auf den jüdischen Staat findet sich ein »klares Bekenntnis Österreichs zu weiterhin engen bilateralen Beziehungen mit Israel und dessen Sicherheit bilateral und in internationalen Foren«. Österreich werde sich »für eine Friedenslösung im Nahen Osten einsetzen«. Deren Ziel bleibe »eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung mit einem Staat Israel in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen sowie einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat«. Ebenso wolle man sich für »eine Normalisierung der Beziehungen Israels mit den arabischen Staaten« einsetzen.

Ein Bekenntnis zu einer »historischen Verantwortung« Österreichs für Israel ist im neuen Regierungsprogramm nicht zu finden.

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