„Das Assad-Regime ist nicht mehr in Gefahr. Dank der iranischen und russischen Unterstützung ist sein Überleben inzwischen gesichert. Dennoch kontrolliert es nur 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets. Das größte Gebiet, das sich weiterhin der Kontrolle des Regimes entzieht, besteht aus den 30 Prozent des Landes, die von den von den USA unterstützten und kurdisch geführten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) gehalten werden. Wie es mit Syrien weitergeht, hängt heute nicht von den Wünschen der verschiedenen syrischen Konfliktparteien ab, sondern von den Entscheidungen und Rivalitäten der ausländischen Mächte. Die Zukunft jener 30 Prozent Syriens, die von den SDF kontrolliert werden, hängt von den USA ab.
Sollten die USA sich aus dem Osten Syriens zurückziehen, würde den SDF wenig anderes übrigbleiben, als mit den Behörden in Damaskus über ihre Kapitulation in Verhandlungen einzutreten. Sollten sie dies nicht tun, erginge es ihnen vermutlich entweder wie ihren Kameraden in dem von der Türkei eroberten Afrin, oder so wie den durch das Regime, den Iran und Russland gewaltsam vertriebenen Aufständischen in Ghouta, Daraa und Quneitra. (…)
Besucht man diesen Teil Syriens, sticht einem zunächst die relativ friedliche und geordnete Atmosphäre ins Auge. Ich habe im Laufe des Kriegs das ganze Land besucht (außer den vom Islamischen Staat kontrollierten Gebieten). In den Gebieten der Aufständischen herrschte stets Chaos. Immer war man auf den Schutz der jeweiligen Aufständischen angewiesen, bei denen man sich aufhielt. In den vom Regime kontrollierten Gebieten wird einem sofort bewusst, dass man sich in einem totalitären Staat befindet, in dem die Macht der Behörden jede menschliche Interaktion durchdringt und ein direktes Gespräch mit Fremden unmöglich macht. Das von den SDF gehaltene Gebiet mag keine Musterdemokratie sein, dennoch herrscht dort eine ganz andere Stimmung. (…)
Wo die Dinge hinsteuern, ist noch nicht ganz klar. Israels Interessen sind allerdings eindeutig. Bestehen die Enklave im Osten Syriens und der Stützpunkt in al-Tanf fort, stellen sie ein nennenswertes physisches Hindernis für den vom Iran angestrebten, ununterbrochenen Landkorridor bis in den Libanon dar. Der Westen behielte so einen Platz am Verhandlungstisch, wenn es um die Zukunft Syriens geht, was einen umfassenden iranischen Sieg verhindern würde. (…)
In dem Maße, in dem die strategische Auseinandersetzung zwischen dem Iran und seinen Verbündeten einerseits und den USA und ihren Verbündeten andererseits im Nahen Osten eskaliert, ist es entscheidend, dass der Westen seine Bündnisse und Investitionen wahrt, sich als glaubwürdige Schutzmacht und verlässlicher Verbündeter erweist und auch als solcher wahrgenommen wird. Im Osten Syriens wird dies zurzeit auf die Probe gestellt. Die Menschen in Qamishli, Kobani und den übrigen mühsam verteidigten Gebieten warten auf die Entscheidung des Westens.“ (Jonathan Spyer: „The Future of Eastern Syria and the Israeli Interest“)