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Ohne Judentum kein Islam

Ohne das Judentum, gäbe es keinen Islam, schreibt Mouhanad Khorchide in seinem neuen Buch

Im Mena-Watch-Podcast erklärt der Münsteraner Theologe Mouhanad Khorchide, weshalb der Islam ohne das Judentum nicht denkbar sei. Von den Palästinensern fordert er, sich nicht länger über die Feindschaft gegenüber Israel zu definieren.

Mit seinem neuen Buch Ohne Judentum kein Islam. Die verleugnete Quelle sorgt Mouhanad Khorchide derzeit für Kontroversen. Der 1971 in Beirut geborene Soziologe und Theologe, der in Saudi-Arabien aufwuchs und als Jugendlicher nach Wien kam, leitet heute das Zentrum für Islamische Theologie in Münster.

»Antisemitismus unter Muslimen ist überrepräsentiert«, hält er fest. Dieser habe sich über die Jahrhunderte in weiten Teilen der muslimischen Gemeinschaft verfestigt. Viele Feindbilder hätten ihre Wurzeln nicht nur im Nahostkonflikt, sondern in alten theologischen Deutungen, die bis heute politisch instrumentalisiert und als Vorwand genutzt werden, um antisemitische und antiwestliche Narrative zu verbreiten. Es brauche daher eine positive Gegenerzählung, die sich wissenschaftlich untermauern lässt, um Antisemitismus wirksam bekämpfen zu können, so Khorchide.

Der Theologe verweist dabei auf die historischen Anfänge des Islams: »Mohammed hat sich von Beginn an auf Moses berufen, nicht auf Abraham oder Jesus.« Viele Geschichten der hebräischen Bibel seien »fast wortgleich im Koran« enthalten. Über Jahre sei Jerusalem die Gebetsrichtung gewesen, und die Speisevorschriften seien »weitgehend jüdisch geprägt«. Sein Fazit: »Ohne jüdische Erzählungen hätte der Islam keine Chance gehabt.«

Unabdingbar sei vor allem, den historischen Kontext im Hinblick auf das Judentum im Koran zu berücksichtigen. »Das sind keine überzeitlichen Aussagen über Juden oder Christen für alle Zeiten, sondern sie betreffen bestimmte Situationen, die gerade kriegerisch geprägt waren.« Problematisch sei, dass über die Jahrhunderte bis heute vor allem die antijüdischen Lesarten dominieren. Das beste Beispiel sei die Hamas, die in ihrer Charta die Vernichtung aller Juden fordert: »Die Hamas beruft sich dabei auf Überlieferungen, wonach Muslime zur Endzeit alle Juden töten sollen.« Dabei handle es sich um Aussagen, die sich auf einen konkreten Konflikt im 7. Jahrhundert beziehen und mit der Gegenwart nichts zu tun haben.

Positive Aussagen des Korans über das Judentum würden hingegen kaum beachtet. »Im Koran selbst wird den Juden etwa ewiges Heil zugesprochen«, verweist Khorchide auf Sure 5, Vers 69. Diese Koranpassagen spielten in der judenfeindlichen Erzählung jedoch keine Rolle und würden meist verschwiegen.

Unterschiedliche Reaktionen

Die Reaktionen auf sein Buch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft fallen unterschiedlich aus; vor allem der Davidstern auf dem Umschlag habe Diskussionen ausgelöst. Khorchide erzählt, dass ihm Verrat an den Palästinensern vorgeworfen werde – auch aus der eigenen Familie. In Moscheegemeinden werde sein positiver Ansatz sofort mit dem Nahostkonflikt vermengt. »Mir geht es in meinem Buch aber nicht darum, den Konflikt im Gazastreifen politisch zu lösen, sondern die Grundlagen für eine Versöhnung zu schaffen«, betont er. Und manchmal müsse man provozieren, um etwas zu erreichen.

Zugleich verweist der Theologe auf die vielen positiven Rückmeldungen zu seinem neuen Buch. So hätten Lehrer ihm gedankt, endlich über eine wissenschaftliche Grundlage zu verfügen, um fundiert mit Schülern gegen ihre antisemitischen Einstellungen zu argumentieren.

Auch in der Region selbst sieht Khorchide positive Entwicklungen, die aber gegenwärtig aufgrund des Gaza-Kriegs kaum Beachtung finden. »Die Abraham-Abkommen haben dazu geführt, dass zum Beispiel in den Emiraten anti-jüdische Inhalte aus Schulbüchern gestrichen wurden«, betont er. Auch Saudi-Arabien werde sich irgendwann anschließen. Im Gazastreifen selbst gebe es zunehmend mehr Stimmen gegen die Hamas: »Viele sagen offen, dass der 7. Oktober 2023 die Tür zur Hölle war.«

Besonders kritisch sieht Khorchide die Rolle sozialer Medien, da »dort das antisemitische Narrativ dominiert«. Notwendig seien deshalb gezielte Gegenstrategien. »Wir brauchen muslimische Stimmen, die pro-jüdisch argumentieren – nicht, weil das politisch gewollt ist, sondern, weil es sich aus den eigenen Schriften ableiten lässt.«

Muslimen in Europa rät er, die Realitäten anzuerkennen. »Viele Muslime sagen, der Westen sei islamfeindlich, können auf Nachfrage aber keine konkreten Beispiele nennen«, beobachtet Khorchide. Stattdessen müsse man ihnen immer wieder die positiven Entwicklungen für Muslime in Europa vor Augen führen: Religionsfreiheit, in Deutschland mehr als 2.500 Moscheen, gesetzlich verankerter islamischer Religionsunterricht, die Möglichkeit politischer Karrieren etc. Für Khorchide liegt auf der Hand, dass Muslime in Europa bessere Chancen haben als in den meisten islamischen Ländern.

Von den Palästinensern fordert er ein Umdenken, denn die palästinensische Identität sei seit Jahrzehnten anti-israelisch und anti-jüdisch geprägt. Palästinenser sollten sich nicht länger über Hass auf Israel definieren, sondern als Beispiel für Frieden und Versöhnung vorangehen. Dafür brauche es jedoch, so Khorchide, eine neue und positive Selbstdefinition.

Das gesamte Gespräch hören Sie in unserer Mena-Talk-Podcast-Reihe.

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