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Wenn sich Ö1 zum bloßen Sprachrohr der Muslimischen Jugend Österreichs macht

Ö1-Abenjournal ließ nur die Kritiker von Ednan Aslans Studie zur Sprache kommen
Ö1-Abenjournal ließ nur die Kritiker von Ednan Aslans Studie zur Sprache kommen (Quelle: YouTube)

Das Ö1-Abenjournal berichtet über eine Studie zum islamischen Religionsunterricht – und lässt nur deren Kritiker, aber weder deren Verfasser noch einen empirisch arbeitenden Sozialwissenschaftler zu Wort kommen.

Erneut sorgt eine Studie des Professors für Islamische Religionspädagogik der Universität Wien, Ednan Aslan, für Aufregung bei der Muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ). Der Fragenkatalog von Aslans Projekt mit dem Titel »Effekte des islamischen Religionsunterrichts in Österreich« sei »voll mit allen islamfeindlichen Klischees und Vorurteilen«, schrieben MJÖ, die Initiative Diskriminierungsfreies Bildungswesen (IDB) und der Verein ZARA – Zivilcourage und Antirassismusarbeit am 11. Mai in einer Presseaussendung. Sie sprachen von einem »rassistischen Zugang« und fordern die Einstellung der Studie. Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) forderte ein »Ende manipulativer Forschung zu Muslim*innen«.

Der Fragebogen soll dazu dienen, die Einstellung zum Islam und zu anderen Religionen von Schülern der 9. Jahrgangsstufe zu untersuchen. Verglichen werden sollen Schüler, die den islamischen Religionsunterricht besuchen, mit solchen, die sich vom Unterricht abgemeldet haben.

Das Ö1-Abendjournal berichtete unter dem Titel »Kritik an Studie unter muslimischen Schüler:innen« über die Vorwürfe – und lieferte dabei ein Paradebeispiel, wie eine Berichterstattung, die der objektiven Vermittlung von Information diesen soll, nicht aussehen sollte. Zu Wort kamen nämlich nur Kritiker der Studie; Aslan oder andere mit empirischer Sozialforschung befasste Wissenschaftler waren nicht zu hören.

So interviewte Beata Tomasovic für ihren Beitrag den ZARA-Mitarbeiter Ramazan Yıldız, der erklärte, »sehr viele Fragen in dieser Umfrage«, die auch das Frauen- oder Homosexuellen-Bild der Jugendlichen abfragt, hätten »eine tendenziöse Natur hin zu einem stereotypischen, diskriminierenden Bild von ›dem Muslim‹«. Man gehe »anscheinend schon von einem Weltbild aus, das man bestätigt haben möchte«. Gegenstimmen waren auf Ö1 nicht vertreten. 

Dem Grundverständnis der Meinungsforschung widersprechend

Dass es auch anders geht, bewiesen die österreichischen Tageszeitungen Kurier und Der Standard vom selben Tag. Diese berichteten ebenfalls über die Kritik an Aslans Umfrage, ließen aber im Gegensatz zu Ö1 auch andere Stimmen zu – und die konnten mit den Vorwürfen wenig anfangen.

Da Ednan Aslan selbst für beide Zeitungen am 11. Mai nicht erreichbar war, baten sie den mit der Methodik sozialwissenschaftlichen Studien bestens vertrauten Soziologen Kenan Güngör um eine Durchsicht des Fragebogens«. In seiner Reaktion bezeichnete Güngör den Rassismusvorwurf von MJÖ und anderen als »völlig absurd« und dem Grundverständnis der Meinungs- und Einstellungsforschung widersprechend. 

Auch die von der MJÖ kritisierte Tatsache, dass nur Muslime befragt wurden, sei »per se weder stigmatisierend noch moralisch zu verurteilen, zumal hier der Islamunterricht untersucht wird«. Themen und Zielgruppen bedürften immer der Eingrenzung, erläuterte Güngör im Kurier und wies darauf hin, dass bei einer Studie über Frauen ja auch Frauen befragt würden. »Dieser Entrüstungs-Sofortismus ist ein Problem, er ist ein affektstärkender und intelligenzreduzierender Verstärker.«

Ein kritischer Blick auf Studien sei völlig legitim, so Güngör im Standard, aber die von Aslans Kritikern vorgebrachte »moralisierende« Interpretation von Forschungsfragen mache »jegliche Form von Einstellungsforschung unmöglich, weil eine Studie, die Vorurteile überprüfen will, natürlich mit Vorurteilen, die ausformuliert werden, arbeiten muss. Wie sonst soll man sie erheben?«

Nehme man die gegen Aslan erhobenen Vorwürfe ernst, hieße das etwa, auch keine Rechtsextremismusforschung mehr betreiben zu dürfen, weil sich Befragte beim Ausfüllen des Fragebogens »stigmatisiert« fühlen könnten: »Wer kritisiert, dass ›tendenziöse‹ Fragen gestellt werden, versteht nichts von Sozialforschung. Auch wenn man zu Antisemitismus oder Rechtsextremismus forscht, werden Fragen in dieser Art gestellt«, so Güngör. Dabei gehe es nicht darum, etwas zu suggerieren, sondern darum, eine Einstellung abzufragen.

Entsetzt über Delegitimierung

Auch wenn er selbst einige Kritikpunkte an Aslans Fragebogen habe, habe der Fragebogen generell »seine Begründung und Richtigkeit«. Insofern, so Güngör abschließend, sei er »entsetzt über die vorschnelle, moralisierende Delegitimierung, ohne ein differenziertes Bild zu haben«.

Nichts davon konnte das Publikum im Ö1-Abendjournal erfahren, wo die Rassismusvorwürfe gegen Aslans Studie unwidersprochen präsentiert wurden. »Man hat den Eindruck«, bemerkte der Historiker Heiko Heinisch, »die MJÖ möchte jede Untersuchung mit dem Islam möglichst unterbinden, aus Angst, dass negative Ergebnisse herauskommen.« Anstatt die Vorwürfe der MJÖ zu prüfen und abzuwägen, machte sich Ö1 zum bloßen Sprachrohr dieses Anliegens.

Dies ist ein Auszug aus unserem Newsletter vom 17. Mai. Wenn Sie den nächsten Newsletter erhalten möchten, melden Sie sich an!

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