Abdullah Öcalan rief die PKK auf, ihre Waffen niederzulegen. Das könnte Auswirkungen auf die kurdischen Milizen im benachbarten Syrien haben.
Als Abdullah Öcalan Ende Februar PKK-Kämpfer dazu aufrief, ihre Waffen niederzulegen und die Partei aufzulösen, kam dieser Schritt nicht mehr überraschend, sondern war von vielen bereits erwartet worden. Nach Jahrzehnten des Konflikts zwischen der PKK und dem türkischen Staat besteht nun die Hoffnung, wieder einen Friedensprozess in Gang setzen zu können – der letzte derartige Versuch ist vor zehn Jahren gescheitert.
Öcalan formulierte seinen Appell in einer schriftlichen Erklärung, die von Mitgliedern der kurdischen DEM-Partei bei einer Pressekonferenz vorgelesen wurde. Vertreter der DEM hatten Anfang des Jahres erstmals nach über zehn Jahren wieder die Erlaubnis erhalten, Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı (bis jetzt drei Mal) zu besuchen, wo der PKK-Chef seit seiner Festnahme 1999 weitgehend isoliert lebt.
Öcalan und Syrien
Die Verbindungen zwischen der PKK und Syrien reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Damals bot Baschar al-Assads Vater und Vorgänger Hafez den PKK-Kämpfern und ihrem Anführer Abdullah Öcalan Zuflucht in Syrien an. Er sah in der Kurdenmiliz ein Druckmittel gegen die Türkei, die einen Aufstand der Muslimbruderschaft in Hama unterstützt hatte und nach eigenem Gutdünken Wasser aus den Flüssen Euphrat und Tigris zurückhielt.
Die stillschweigende Übereinkunft zwischen Hafez al-Assad und der PKK sah vor, dass Öcalan sich nicht in syrische Angelegenheiten einmischen würde und dafür gegen die Türkei intrigieren könnte. Im Oktober 1998 drohte Ankara jedoch mit einem Krieg gegen Syrien, falls Hafez Öcalan nicht aus dem Land verweisen würde.
Der syrische Präsident folgte der Aufforderung Ankaras. Öcalan wurde im Februar 1999 von türkischen Spezialkräften in der kenianischen Hauptstadt Nairobi gefangen genommen. Der Kampf der PKK gegen den türkischen Staat ging jedoch weiter.
Strebte die PKK ursprünglich einen unabhängigen Staat für die kurdische Minderheit in der Türkei an, hat sie dieses Ziel mittlerweile aufgegeben und fordert mehr Rechte für Kurden innerhalb der Türkei.
Chancen für Erdogan und die Region
Würde die PKK tatsächlich ihre Waffen niederlegen, wäre damit ein wesentliches Sicherheitsproblem innerhalb der Türkei gelöst. Dieser politische Erfolg würde Präsident Recep Tayyip Erdogan Wählerstimmen bringen. Vor allem hofft er aber darauf, die Zustimmung kurdischer Abgeordneter für eine Verfassungsänderung gewinnen zu können, mit der er die rechtliche Grundlage dafür schaffen möchte, 2028 ein weiteres Mal für die Präsidentschaft kandidieren zu können.
Darüber hinaus könnten sich die Entwaffnung und Auflösung der PKK in der Türkei auf die gesamte Region auswirken. Denn Öcalans Appell wird weit über die Grenzen der Türkei hinaus vernommen und könnte daher kurdische Akteure in Syrien und im Irak beeinflussen.
Zwar sind die kurdischen Milizen in Syrien kein offizieller Teil der PKK, ihre Kontakte zur Organisation aber sehr eng. Laut New York Times sagte Mazloum Abdi, Führer der kurdisch dominierten SDF in Syrien, Öcalan habe ihn in einem Brief über die Entscheidung, die Waffen niederzulegen, informiert und den Wert von Frieden und Stabilität für die gesamte Region betont. Er begrüßte die Initiative, da sie die Sicherheitsbedenken der Türkei ausräumen und die Situation für seine eigenen Streitkräfte in Syrien erleichtern würde, erinnerte aber auch daran, Öcalans Aufruf richte sich an die PKK und nicht die SDF.
Die Kurden sind durch den plötzlichen Sturz des Assad-Regimes unter Druck geraten. Hinzu kam der Angriff der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee und nun die US-Präsidentschaft von Donald Trump. Noch sind an die 2.000 US-Soldaten im syrischen Kurdengebiet stationiert. Sollten sich die USA aber zurückziehen oder auch nur einen Zeitplan für den Abzug ankündigen, würde dies den Druck auf die Kurden vonseiten der Türkei erhöhen.
Ein Friede zwischen der Türkei und der PKK könnte daher auch die Kurden in Syrien entlasten, da Ankara das syrische Kurdengebiet nicht mehr als Sprungbrett von PKK-Kämpfern für Einsätze in der Türkei fürchten müsste.
Mitglieder der DEM-Partei, die mit Öcalan sprachen, überbrachten seine Botschaft auch in den Irak, wo sie von Massoud Barzani, dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) empfangen wurden. Sein Sohn Masrour, Ministerpräsident der Autonomen Region Kurdistan, traf ebenfalls mit DEM-Abgeordneten zusammen.
Anschließend traf sich die Delegation mit dem Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Bafel Talabani, den die Türkei beschuldigt, die PKK zu unterstützen. Laut Al-Monitor soll es außerdem ein geheimes Treffen mit dem obersten Kommandeuren der PKK im Irak gegeben haben. Die PKK-Führung hat Öcalans Forderung zwar akzeptiert, zugleich aber gefordert, der Auflösungsprozess der Partei müsse von Öcalan persönlich angeführt werden, was unmöglich ist, solange er in türkischer Haft bleibt.
Friede ungewiss
Ob Erdogan einen politischen Gewinn wird verzeichnen können, hängt auch von dessen Einstellung gegenüber den Kurden ab. Bisher stellte Erdogan in Aussicht, die Haftbedingungen für Öcalan zu lockern und ihn unter Hausarrest zu stellen, während darüber diskutiert wird, hochrangige kurdische politische Gefangene wie Selahattin Demirtas möglicherweise freizulassen. Debattiert wird auch über andere Gegenleistungen der Türkei wie Verfassungsänderungen, die den Kurden lange verweigerte Sprachrechte zugestehen, oder eine Amnestie für PKK-Kämpfer. Konkrete Angebote liegen bis jetzt aber nicht auf dem Tisch.
Gleichzeitig haben andauernde Razzien gegen kurdische Politiker und Aktivisten in der Türkei die Stimmung im mehrheitlich kurdischen Südosten getrübt. Hunderte Menschen wurden verhaftet; neun demokratisch gewählte kurdische Bürgermeister aufgrund von Anschuldigungen wegen Mitgliedschaft in der PKK – für die es kaum Beweise gibt – abgesetzt.
Öcalans Aufruf zum Frieden könnte das Ende eines langjährigen Konflikts in der Türkei einläuten und regionale Stabilität fördern. Ob der Friede überhaupt zustande kommt und, falls ja, langfristig hält, hängt nicht zuletzt von Erdogans Bereitschaft ab, echte Zugeständnisse zu machen.