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»Nur die Sterne waren nah«. Teil 6: Bomben auf Haifa und Tel Aviv

Nach Abschluss ihrer Landwirtschaftausbildung zieht Chana Szénes in einen Kibbuz
Nach Abschluss ihrer Landwirtschaftausbildung zieht Chana Szénes in einen Kibbuz (Quelle: אין מידע / Public Domain)

Deutsche und italienische Luftangriffe auf Haifa und Tel Aviv 1940/41 sowie das Vorrücken der Achsenmächte in Nordafrika bedrohen Eretz Israel. Nach dem Ende ihrer Landwirtschaftsausbildung zieht Chana Szénes von Nahalal in einen Kibbuz.

Am 10. Juni 1940 trat Italien in den Zweiten Weltkrieg ein. Der erste Angriff auf Haifa fand am 15. Juli 1940 statt. Von den Dodekanes-Inseln (darunter Rhodos) aus griffen italienische Bomber die Anlage der Iraq Petroleum Company an, setzten drei Öltanks in Brand und unterbrachen vorübergehend die Stromversorgung der Stadt. Zwei arabische Zivilisten wurden schwer verletzt, einer von ihnen starb später. Der tödlichste Angriff erfolgte am 9. September 1940, als italienische Bomber Tel Aviv angriffen. Bei dem Angriff kamen 137 Menschen ums Leben, darunter 117 Juden, sieben Araber und ein australischer Soldat.

Zwischen Herbst 1939 und Frühjahr 1940, erinnerte sich Chanas Mutter Katharina nach dem Krieg, gab es »einen stetigen Strom fröhlicher, beruhigender Briefe von Chana, in denen sie ihre Arbeit und ihr Leben in Palästina bis ins kleinste Detail beschrieb«. Diese Briefe hätten in gewissem Maße geholfen, »die große Lücke zu füllen, die ihre Abwesenheit hinterlassen hatte«. Das änderte sich:

»Unser Briefwechsel blieb ununterbrochen, solange Ungarn neutral blieb. Doch nach November 1940, als Ungarn sich Deutschland anschloss, erhielt ich immer seltener Briefe von Chana; jene, die ich erhielt, waren kurz und stark zensiert. Nach dem Sommer 1941 hörte der Briefwechsel dann ganz auf und an seine Stelle traten sporadische 25-Wort-Mitteilungen über das Rote Kreuz.«

Der Weltkrieg wirft einen Schatten auf das Leben von Chana Szénes. Sie empfindet Abscheu vor dem Gemetzel, Angst vor den politischen Folgen und Sorge um die Mutter und den Bruder in Europa. Im Juni 1940 schreibt sie in ihr Tagebuch:

»Ich kann nicht den tausendsten Teil dessen spüren, was Mutter nun durchmachen muss. Sie leidet für unsere Pläne, Träume, die sich vielleicht in diesem Weltholocaust in Asche verwandeln werden. Wenn wenigstens Gyuri hier wäre. … Und das Land! Die Zukunft, die schweren Prüfungen, die uns bevorstehen? Ich vertraue in die Zukunft des Landes, durch alle Feuer und Stürme. … Ich möchte im Radio schreien: ›Das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge! Es ist Betrug, dass es eine Million Tote und unzählige Verletzte gibt, Bombenangriffe, zerstörte Städte!‹ Wer könnte das gewollt haben? Wer könnte die historische Mission dieses Gemetzels verstehen?«

Wird es noch ein Eretz geben?

Dazu kommt die Furcht vor dem, was Eretz Israel droht. Die deutsche Wehrmacht ist in Nordafrika, von wo aus sie über Ägypten ins Mandatsgebiet Palästina vorzurücken droht. »In Libyen wird heftig gekämpft, und der Ausgang ist noch ungewiss«, notiert Chana im April 1941.

»Und Palästina steckt in einer Sackgasse aus Schwäche, Missverständnissen und Ziellosigkeit. Jeder diskutiert über Politik; jeder ist überzeugt, dass die Front näher rückt. Doch niemand wagt zu fragen: Was, wenn die Deutschen hierhin kommen? Die Worte sind bedeutungslos – auf dem Papier. Aber wenn wir unsere Augen schließen und nur auf unsere Herzen hören, hören wir das Hämmern der Furcht.

Ich fürchte mich nicht um mein Leben. Es ist mir teuer, aber es gibt Dinge, die mehr Wert für mich haben. Ob ich will oder nicht, muss ich mir vorstellen, was das Schicksal von Eretz sein wird, wenn es sich Deutschland entgegenstellen muss. Ich fürchte mich davor, in die Tiefe und den Abgrund zu blicken, doch ich bin überzeugt, dass wir trotz unseres Mangels an Waffen und Vorbereitung nicht kapitulieren werden, ohne starken Widerstand zu leisten. … Aber wird es immer noch ein Eretz geben? Wird es in der Lage sein zu überleben? Es ist schrecklich, über die Möglichkeit nachzudenken, dass sein Ende bevorsteht.«

Und wenig später, im Juni 1941:

»Griechenland ist gefallen und auch Kreta. Der Krieg tobt nun in Ägypten und Syrien. Die britische Armee ist vor drei Tagen in Syrien einmarschiert, der Krieg ist nun also geradezu an unserer Türschwelle. Vorletzte Nacht wurde Haifa bombardiert. Wir sind nach draußen gegangen und haben die explodierenden Bomben und das Schießen gehört. Heute haben wir erfahren, dass auch Tel Aviv letzte Nacht bombardiert wurde, wobei es viele Tote und Verwundete gab. Die Stadt ist ohne Verteidigung, eine leichte Beute. Es sieht so aus, als würde der Krieg nun hier beginnen.«

Am 9. Juli 1941 schreibt sie über den deutschen Überfall auf Russland, der knapp drei Wochen zuvor begonnen hat. Das bringt sie in Gedanken zu ihrer Mutter und der Scham darüber, dass es ihr inmitten des Kriegs so gut gehe:

»Die Bombardierungen sind auch hier häufig geworden und es ist ein Wunder, dass es so wenige Opfer gab. Gestern habe ich ein Telegramm von Mutter erhalten, das über die Türkei kam und dem ich entnehme, dass sie in Angst und Sorge über mich ist. Es ist furchtbar, daran zu denken, dass, während ich ein normales, komfortables, friedliches Leben führe, Mutter vor Sorge krank ist und sich mich in allen möglichen angsteinflößenden Situationen vorstellt und sich keinen Frieden gestattet. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich es hier so gut und leicht habe, während andere leiden und fühle, dass ich etwas tun sollte – etwas Anstrengendes, Forderndes –, um meine Existenz zu rechtfertigen.«

Im Herbst, an Jom Kippur 1941, zwei Jahre nachdem sie Ungarn verlassen hatte und nach Palästina gekommen war, um in Nahalal Landwirtschaft zu lernen, zieht Chana eine Bilanz ihres bisherigen Aufenthalts:

»Ich muss mich nun fragen, mit welchem Recht ich meine Aliyah für gerechtfertigt hielt, zu einer Zeit, in der so viele Zehntausende junger Juden weiterhin in der Diaspora leben? Meine einzige Antwort – und eine absolut egoistische – ist, dass ich nur hier irgendeinen Sinn in meinem Leben finden kann. Das ist mir völlig klar. So schwierig es ist, muss ich gestehen, dass ich hier niemanden habe und aus eigener Entscheidung völlig allein bin. Dies ist der einzige Weg, die einzige Möglichkeit für mich, frei und unabhängig über meine Zukunft zu entscheiden.«

Sie bedauert, dass es ihre Mutter sei, die, allein in Budapest, den Preis für ihre Entscheidung zu zahlen habe. Die Tradition des Fastens an Jom Kippur reflektierend, schreibt Chana, dass dieser Brauch, der ihr völlig »fremd« ist, eher für die Juden in der Diaspora bestimmt sei, damit diese ihre Solidarität ausdrücken könnten. Sie habe andere Wege, um ihre Verbundenheit mit dem Judaismus zu zeigen, wolle aber das »Wesen des Tages« ernst nehmen, über das Leben nachzudenken und zu beichten:

»Ich habe gesündigt, indem ich versäumte zu handeln – das heißt, meine Äußerungen nicht mit Taten zu untermauern; indem ich Zeit und Energie verschwendete; indem ich rücksichtslos und voreilig war; indem ich verantwortungslos war. Aber ich habe immer nach dem richtigen Weg gesucht.«

Miryam

Im Oktober 1941 ist ihr zweijähriges Landwirtschaftsstudium in Nahalal zu Ende. Der Abschied fällt Chana leicht. Eine engere Beziehung hatte sie nur zu ihren beiden Zimmergenossinnen gehabt, zu Miryam und, in geringerem Maße, zu Pnina. Vor allem Miryam war am ehesten eine Freundin für sie, wenn es auch Wettbewerb und Zwietracht gab, sie sich häufig spät abends stritten, sodass aus anderen Zimmern um Ruhe gebeten wurde, und sich verstimmt zu Bett legten.

»Woher rührte unsere Freundschaft? Zuerst auf gemeinsamen Erfahrungen. Wir kamen zur gleichen Zeit in Nahalal an; wir waren beide Neulinge; wir konnten beide nur wenig Hebräisch, aber waren wild entschlossen und begierig, es zu lernen. Wir hatten den gleichen Hintergrund, die gleiche Kultur, strebten nach den gleichen Zielen und hatten gleiche Ideen; obwohl es riesige Unterschiede gab in unserer Weltanschauung, unserer ideologischen Bildung und deren Ausdruck. Wir wollten beide alles, was wir hatten, für unsere Umwelt geben und von ihr annehmen, was immer sie zu geben hatte. Wir waren beide zu gespannt, zu begeistert für alles in Eretz. Wir hatten beide dieselbe Haltung zu unserer Arbeit – eine unscharfe, idealistische Haltung. Wir wollten beide verzweifelt eine neue Art des Lebens.«

Die »gegensätzlichen« Züge Miryams beschreibt Chana so:

»Sie ist grüblerischer, neigt mehr zum Übertreiben. Sie kann sich über Kleinigkeiten zu Tode sorgen. Ich bin oberflächlicher, unbeschwerter, bereit, das Gute und Schöne im Leben zu sehen. Sie bemerkte oft, dass sie meine Urteile und Entscheidungen für zu lässig halte. Ich machte sie auf die glücklichere Seite ihres Lebens aufmerksam. Sie ist impulsiver, aufbrausend; ich bin beherrschter, besser ausbalanciert. Ihre Wahrnehmung ist eher theoretisch, meine auf der anderen Seite realistischer.

Ich könnte fortfahren, aber das Wichtigste ist, dass ich mich an sie mit all meinen Problemen wenden konnte, ihr alles sagen konnte. Ich wusste, sie verstand mich, konnte mir Rat geben. Ich wusste ihre Meinung stets zu schätzen. Und sie fühlte mir gegenüber das gleiche, suchte meine Meinung und meinen Rat. Dies half uns beiden sehr dabei, kleine und große Probleme zu überwinden. Aber es war nicht nur das. Wir schauten auch die Welt gemeinsam, lachten zusammen auf ihre Kosten, machten uns währenddessen über uns selbst lustig und über die Leute um uns herum. Wir kritisierten die ganze Welt, aber auf konstruktive Weise. Kurz gesagt, bedurfte es nur eines Blicks, eines einzigen Worts oder nur einer Andeutung, und wir verstanden einander.«

Caesarea

Chana will sich nun einem Kibbuz anschließen. Vom Kibbuz und der sozialistischen Kibbuzbewegung erhofft sie sich, dass sie in den dortigen Bildungs- und Kultureinrichtungen doch noch ihren Traum erfüllen könnte, als Lehrerin zu arbeiten, anders als in reinen Landwirtschaftssiedlungen wie Nahalal. Außerdem entspricht die Idee des Kibbuz prinzipiell ihrer sozialistischen Weltanschauung. Die Schwierigkeit beginnt damit, dass die Kibbuzbewegungen unterschiedlichen politischen Ausrichtungen folgen und die Frage im Raum steht, ob Theorie und Praxis überhaupt in Einklang stehen bzw. gebracht werden können.

Zwei Kibbuzim zieht sie in die engere Wahl, um sie zunächst als Besucherin etwas besser kennenzulernen: Ginossar am See Genezareth und Sdot Jam an der Mittelmeerküste. Ginossar wurde 1937 gegründet und kommt Chana bei ihrem Besuch 1941 zwar noch lange nicht »fertig« vor, aber mehr als Sdot Jam, eine Siedlung, die gerade erst gegründet wird. In Ginossar lernt Chana »viele gute Menschen« kennen, wie sie schreibt, kritisiert aber, dass es in ihren Augen an »Kibbuz-Ideologie« mangele.

Chana entscheidet sich für Sdot Jam, den sie für einen der »sozial und wirtschaftlich schwierigsten Kibbuzim« hält; die Herausforderung reizt sie. Zudem sind die Mitglieder so jung wie sie, ebenfalls Sozialisten, und ihr gefällt die Idee, beim antiken Caesarea zu siedeln. Denn in das jüdische Heimatland zurückzukehren ist für sie Teil ihrer Mission, ihres Lebenssinns. 

Kurz nach ihrer Ankunft in Sdot Jam Ende 1941 schreibt Chana Szénes das Gedicht An Caesarea:

Still, hör auf zu lärmen
Jenseits des Meeres liegt der Sand
Die bekannte und nahe Küste,
Die goldene, liebe Küste,
Heimat, das Heimatland.

Mit drehendem und leichtem Schritt
Bewegen wir uns unter Fremden,
Mit leisem Wort und Gesang,
In Richtung der Zukunft hinter
Caesarea …

Doch als wir die Ruinenstadt erreichen,
Sprechen wir leise ein paar Worte.
Wir kehren zurück. Wir sind hier.
Leise antwortet das Schweigen des Steins.
Wir haben zweitausend Jahre auf dich gewartet.

In der Serie »Nur die Sterne waren nah« ist bisher erschienen:

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