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»Nur die Sterne waren nah.« Teil 2: Hinwendung zum Zionismus

Die spätere Widerstandskämpferin Chana Szénes mit ihrem Bruder György in Budapes
Die spätere Widerstandskämpferin Chana Szénes mit ihrem Bruder György in Budapest (Quelle: Senesh Family Archive)

Schon als Teenager schreibt die spätere Widerstandskämpferin Chana Szénes Gedichte und Theaterstücke. – Der Antisemitismus in Ungarn und Hitlers Ambitionen bedrohen die Familie.

In Israel und der jüdischen Diaspora wird Chana Szénes nicht nur als jene Widerstandskämpferin verehrt, die 1944 versuchte, Juden aus dem von der deutschen Wehrmacht besetzten Ungarn zu retten, sondern ebenso als Dichterin, deren Gedichte als Lieder in Schulen, an Lagerfeuern, in Synagogen und Konzertsälen gesungen werden.

Ihre Mutter Katharina beschreibt ihre Tochter Anna, auch Anikó genannt, in der Oberstufe des Gymnasiums als ein Mädchen, dem die ausgezeichneten Schulnoten zuflogen, ohne viel dafür tun zu müssen, und das obendrein Zeit fand, anderen zu helfen:

»Zu Hause war sie völlig engagiert und offensichtlich glücklich und interessierte sich für alles, was die Familie betraf. Sie war rücksichtsvoll, sanft, gewissenhaft und verantwortungsbewusst. Sie teilte ihre Zeit erstaunlich gut ein und nutzte jeden Moment.

Wenn sie von der Schule nach Hause kam, verbrachte sie die halbe Stunde vor dem Mittagessen an ihrem Schreibtisch und erledigte die Hausaufgaben des Tages. Abgesehen davon sah ich sie selten lernen. Stattdessen gab sie anderen Nachhilfe. Ab dem Alter von elf Jahren hatte sie immer Schüler. Ein wunderbarer pädagogischer Sinn, gepaart mit unendlicher Geduld, schien sie für die Tätigkeit als Lehrerin zu prädestinieren.«

Wenn ihre Mutter sagt, Anna habe selten gelernt, so ist damit das Lernen für die Schule gemeint. Sie war eine unermüdliche Leserin, sowohl von Sachbüchern als auch der klassischen Literatur. Mit fünfzehn Jahren reflektierte sie in ihrem Tagebuch die Lektüre von Tolstois Roman Krieg und Frieden, der sie sehr beeindruckte.

In der Schule war sie unter anderem Mitglied der Literatur- und Bibel-Gesellschaft und interessierte sich sehr für die Fotografie, ein Hobby, das sie später in Palästina weiterhin pflegte. Auch eine englische Brieffreundin hatte sie, Marie, die sie gerne einmal in England besuchen wollte. »Ich war erstaunt, dass sie Zeit fand, so viele Dinge zu machen, und protestierte oft, dass ihre Tage zu sehr vollgepackt mit Aktivitäten seien«, würde sich ihre Mutter später erinnern.

Die Literatur schaffte für Anna eine Verbindung zu ihrem früh verstorbenen Vater, dem populären Kinderbuchautor, Kolumnisten und Komödienschreiber Béla Szénes. Mit sechzehn las sie den von ihrem Vater verfassten Roman Das elfte Gebot, von dem sie »völlig gefesselt« gewesen sei und der, wie sie schreibt, offenbar auch autobiografische Erinnerungen an seine Jugend enthielt. »Dank diesem Buch ist mir Papa so nah, noch näher als zuvor.«

Jemals Schriftstellerin?

Das kurze Leben von Chana Szénes war geprägt von einer inneren Zerrissenheit: der Hingabe zur Literatur auf der einen Seite, auf der anderen Selbstzweifel und die Frage, ob sie nicht einen praktischen Beruf ergreifen müsse. Ihre Idee, Lehrerin zu werden, erschien da vielleicht auch als ein guter Kompromiss.

Mit vierzehn notierte sie ein selbstverfasstes Gedicht in ihr Tagebuch: »Ich frage mich, ob ich jemals eine Schriftstellerin werde.« Die Frage setzt sich fort. Gut ein Jahr später, am 25. Oktober 1936, hieß es: »Ich bin so glücklich! Ich habe eines meiner Gedichte, Der Eiscreme-Mann, Mutter vorgelesen und sie mochte es sehr. Vielleicht kann ich doch noch hoffen, eine Schriftstellerin zu werden. Aber so viele Leute schreiben!«

Immer wieder wurde sie von harter Selbstkritik gepeinigt. Am 4. November 1936 erklärt sie ihre Freude über ihre literarische Leistung für »voreilig«:

»Gestern gab es eine Konferenz, auf der Feiertagsaktivitäten für Hanukah besprochen wurden. Ich habe mein Stück Heiratsantrag im Jahr 2036 vorgelesen (das ich extra für die Schule geschrieben habe), von dem ich dachte, dass es sich für die Feier eigne. Doch nach der eisigen Stille zu urteilen, die auf meine Lesung folgte, konnte ich sehen, dass es ihnen überhaupt nicht gefallen hatte.

Ich glaube, mein Gesicht muss sehr rot gewesen sein – jedenfalls brannte es –, aber ich denke, ich habe mich gut genug zusammengenommen. Jetzt bin ich nervös bei dem Gedanken, es morgen in der Klasse vorzulesen und fürchte, dass ich auch dort keinen großen Erfolg haben werde. Aber trotz alledem werde ich eines meiner neuen Gedichte vor der Debattier- und Literaturgesellschaft vorlesen. Ich werde es Abendstimmung nennen oder Dämmerung oder so etwas in der Art.«

Die Sorge vor einem Misserfolg erwies sich als unbegründet; das Stück sei gut angekommen, vermerkte sie in ihrem Tagebuch. Am 25. Februar 1937 erwähnte sie, dass ihre Gedichte vor der Literarischen Gesellschaft wohlwollend aufgenommen worden seien, übt aber erneut Selbstkritik:

»Ich denke, die beiden Gedichte von Ági waren viel besser, vor allem das erste, Tod eines Lehrers, das ich für großartig halte. Es hat irgendwie mein Selbstvertrauen und mein Interesse an meinen eigenen Gedichten zerstört. Bis jetzt dachte ich, ich sei recht begabt, aber Ági ist definitiv begabter. Vielleicht habe ich mehr Potenzial als Prosaschreiberin. Ich weiß nicht. Auf eine Art habe ich Angst davor, mich zu sehr ins Schreiben zu stürzen, auf der anderen Seite kann ich nicht damit aufhören und will es auch nicht.«

Die wichtigsten Personen in ihrem Leben waren neben Annas Mutter, der sie ein Gedicht widmete, das mit den Worten endete, dass sie niemals einen besseren Freund finden werde, ihr Bruder György, das einzige Geschwisterkind, und die Großmutter, Fini Mama, mit der sie und ihr Bruder als kleine Kinder sehr viel Zeit verbrachten, da die Eltern oft auf Reisen waren.

Der Sommer 1937 begann für Anna glücklich, mit einem mehrwöchigen Urlaub in Norditalien, unter anderem am Gardasee, wandelte sich aber in Trauer, als Fini Mama Ende Juli plötzlich verstarb. Den »einen großen Kummer« des Jahres nannte sie den Tod der Großmutter am Neujahrstag 1938 rückblickend in ihrem Tagebuch. Der Tod der geliebten Großmutter rückte bei ihr die Trauer über den frühen Verlust ihres Vaters wieder in den Vordergrund. Auch aus der gesellschaftlichen Situation kam nun mehr und mehr Unglück.

Der Judenhass greift um sich

Im September 1937 wurde Anna von ihrer Klasse zur Schatzmeisterin der Literarischen Gesellschaft gewählt. Üblicherweise übernahm die Literarische Gesellschaft das demokratische Votum der Schulklassen, doch in Annas Fall forderte sie die Klasse zu einer neuen Wahl auf. Es war offensichtlich, dass die Literarische Gesellschaft keine Jüdin als Schatzmeisterin wollte, was Anna tief kränkte: »Wäre ich nicht gewählt worden, hätte ich kein Wort gesagt, aber so war es eine entschiedene Beleidigung.« – Ein harter Schlag, der sie noch lange beschäftigte. Fortan zeigte sie kein Interesse mehr an dieser eigentlich geliebten Aktivität.

Das ganze Jahr 1938 stand im Zeichen des Antisemitismus. In Ungarn wurden nun nach deutschem Vorbild Gesetze gegen die Juden erlassen, die etwa – was Anna direkt betraf – den Zugang zu Universitäten einschränkten. Im März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. »Diese Ereignisse haben auch in Ungarn unbeschreibliche Spannungen verursacht«, notierte Anna am 13. März.

»In der Schule, auf der Straße, sogar auf Parties ist es das Hauptthema von Gesprächen. Das Leben vieler Menschen hier wird von diesen Ereignissen sehr stark berührt«, was auch ihre Familie direkt betraf: Ihr Bruder György konnte nun nicht, wie geplant, in Wien studieren, sondern ging stattdessen nach Lyon. Obwohl in der Familie nicht darüber gesprochen wurde, war stillschweigend klar, dass György nicht mehr nach Ungarn zurückkehren würde – zum großen Kummer der Mutter.

Der 15. Juni war der letzte Schultag vor den großen Ferien; Anna hatte wieder nur Einsen in allen Fächern und den zweiten Preis im Fotowettbewerb gewonnen. Es war der einzige, an dem sie teilgenommen hatte; die Literarische Gesellschaft war ihr ja nach dem oben genannten Vorfall vom Herbst vergällt. »Insgesamt habe ich es in diesem Schuljahr ziemlich locker angehen lassen«, schrieb sie. »Das nächste Mal werde ich härter arbeiten.«

Durch die Konferenz von Evian vom 6. bis zum 15. Juli 1938 wurde klar, dass kein Land der Welt die in Deutschland und Österreich verfolgten Juden aufnehmen würde. Noch während die Konferenz im Gange ist, verabschiedeten Anna und ihre Mutter György am Budapester Bahnhof – rund ein Jahr, bevor Anna sich von dort aus auf den Weg nach Palästina machen wird. Dem Abschied ihres Bruders widmete sie in ihrem Tagebuch ein Gedicht mit dem Titel Lebewohl:

»Du gingst. Noch lange winkten wir,
Das Klappern der Träger im Rücken.
Wir sahen dir nach, als du verschwandst.

Das Leben nahm dich fort. Du warst froh.
Im Innern deines Herzens waren vielleicht Lieder.
Unsre Tränen waren gut versteckt.

Wortlos gingen wir nach Hause
Sahen den Himmel fahl und blau,
Und unsre Seele, ungesehen und heimlich,
Winkt dir weiter zu.«

Die weltpolitische Lage wurde unterdessen immer bedrohlicher, die Angst vor Krieg bestimmte die Gedanken der Menschen. Anna beschrieb in ihrem Tagebuch mehrfach die Bedrückung durch Hitlers Drohungen gegen die Tschechoslowakei und die daraus folgende Ungewissheit: »Wir leben in unbeschreiblich spannungsgeladenen Tagen. Die Frage ist: Wird es Krieg geben?« Schon die Aussicht darauf sei unerträglich. Sie sei froh, dass ihr Bruder in Frankreich sei, obwohl ihre Mutter sich große Sorgen um ihn mache.

Meine Jüdischkeit mit Stolz tragen

An Versöhnungstag Jom Kippur ging Anna mit sich ins Gericht. Sie habe im vergangenen Jahr viele Fehler gemacht, auch wenn sie nicht das Gefühl habe, »tatsächlich gesündigt« zu haben, schrieb sie am 1. Oktober. »Fehler gegen Gott, die Rechtschaffenheit, die Menschen und vor allem gegen Mutter und sogar gegen mich selbst.«

»Ich wäre gern so gut wie möglich zu Mutter, möchte meine Jüdischkeit mit Stolz tragen, möchte, dass die anderen in der Schulklasse gut über mich denken und ich möchte so gern in der Lage sein zu glauben und in Gott zu vertrauen. Es gibt Zeiten, wo ich es nicht kann, und in diesen Zeiten versuche ich mit aller Kraft, vollständig, fest und mit absoluter Gewissheit zu glauben. Ich frage mich aber, ob es jemanden gibt, der nie gezweifelt hat? Und doch glaube ich nicht, dass es möglich ist, vollständigen Glauben zu haben, ehe man nicht durch irgendwelche Zweifel und beträchtliche tiefe Meditation gegangen ist.«

Der nächste Eintrag folgte rund drei Wochen später, am 27. Oktober 1938. Das neue Jahr im jüdischen Kalender war noch jung, und Anna notierte über ihren neuen Lebensabschnitt: »Ich weiß nicht, ob ich schon erwähnt habe, dass ich Zionistin geworden bin. Dieses Wort steht für eine riesige Zahl von Dingen. Für mich bedeutet es, kurzgefasst, dass ich nun bewusst und stark fühle, dass ich eine Jüdin bin und stolz darauf. Mein vorrangiges Ziel ist es, nach Palästina zu gehen, um für es zu arbeiten.«

In der Serie »Nur die Sterne waren nah« ist bisher erschienen:

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