In dieser Reihe stellen wir die jüdische Dichterin und Widerstandskämpferin Chana Szénes vor. Sie emigrierte 1939 als 18-Jährige von Ungarn nach Palästina, wo sie sich 1943 einer Freiwilligeneinheit des britischen Geheimdienstes anschloss, deren Ziel es war, als Fallschirmspringer über feindlichem Gebiet abzuspringen, um abgeschossene britische Piloten und Juden zu retten.
Chana Szénes und Reuven Dafni trennen sich von den anderen, um an verschiedenen Punkten die Grenze zu Ungarn zu überqueren. Nahe der Grenze treffen Chana und Reuven eine Gruppe von Flüchtlingen. Drei von ihnen begleiten Chana in das Land, aus dem sie gerade geflohen waren.
Der Leiter des NS-Sondereinsatzkommandos Adolf Eichmann bemühte sich, die ungarischen Juden trotz Verfolgung und Deportation in trügerischer Ruhe zu wiegen. Am 19. März 1944, dem Tag des deutschen Einmarschs in Ungarn, erschienen Mitglieder des Sonderkommandos Eichmann im Hauptbüro der Pester Israelitischen Gemeinde. Am nächsten Tag erließ Eichmann den Befehl zur Gründung des Jüdischen Rats (Zsidó Tanács). Die Gemeindevorsteher sollten Berichte über Struktur, Organisationen, Vermögen, Vereine usw. erstellen. Gleichzeitig aber sollte der normale Ablauf der Gottesdienste nicht gestört werden und die Rabbiner sollten die Gemeindemitglieder beruhigen.
Am 31. März versicherte Eichmann den Führern des Jüdischen Rats laut Protokoll des Treffens, dass er trotz des neu eingeführten gelben Sterns und zahlreicher antijüdischer Beschränkungen »jede Plünderung jüdischen Besitzes verhindern und … diejenigen bestrafen werde, die sich an jüdischem Eigentum bereichern wollen». Wenn Juden für die NS-Kriegswirtschaft arbeiteten, versprach Eichmann, würden sie »dieselben guten Bedingungen hinsichtlich Bezahlung und Behandlung wie alle anderen Arbeiter« erhalten.
Gleichzeitig plante er gemeinsam mit ungarischen Beamten die vier Wochen später beginnende Deportation der Juden nach Auschwitz. Ungarns Regierung und der Jüdische Rat riefen die Juden zur Kooperation mit den Deutschen auf. Widerstand kam lediglich von einem Untergrundnetzwerk der zionistischen Jugendbewegungen, das gefälschte Pässe verteilte und mindestens 7.000 Juden zur Flucht über Rumänien nach Palästina verhalf.
Zur Grenze
Mit einem Kommandeur der Partisanen sprach Yoel Palgi über die Möglichkeit, dass ungarische Juden als Partisanen gegen die Nationalsozialisten kämpfen könnten. Der Kommandant sah dafür keine Chance und erklärte, dass eine Guerilla, um zu existieren, die Unterstützung der Zivilbevölkerung benötige. Diese würden jüdische Partisanen in Ungarn wegen des Antisemitismus jedoch nicht erfahren (dazu kam die ungünstige Beschaffenheit des in weiten Teilen flachen Landes).
Das brachte Palgi auf die Idee, ob geflohene ungarische Juden nicht in Jugoslawien, wo es vergleichsweise wenig Antisemitismus gab, kämpfen könnten. Dies hielt der Partisanenkommandant für möglich. Da ahnten beide noch nicht, wie schnell der Prozess der Ghettoisierung und Deportation der ungarischen Juden nach Auschwitz erfolgte. Es wäre für ungarische Juden auch sonst schwierig gewesen, in die entlegenen Gebiete Jugoslawiens zu gelangen, wo die Partisanen kämpften.
Die Partisanen waren der britischen Spezialeinheit (mit palästinensischen Mitgliedern, was die Partisanen aber nicht wussten) gegenüber misstrauisch und leisteten nur in begrenztem Umfang Hilfe. Sie würden sie nicht über die Grenze bringen, sondern lediglich bis dorthin. Und auch dies nur, bekämen sie im Gegenzug Munition. Palgi hielt dieses Ansinnen für Erpressung, erinnerte er sich dann aber an seine Zeit bei der britischen Armee in Nordafrika und die riesigen Munitionsvorräte, die den Soldaten dort zur Verfügung gestanden hatten und revidierte seine Meinung etwas.
Chana, Yonah Rosen und Reuven Dafni trennten sich von Yoel Palgi, Abba Berdichev und Peretz Goldstein, die weiter im Osten versuchen sollten, die Grenze zu überqueren. Später schloss sich Rosen der zweiten Gruppe an, sodass Chana und Reuven allein zurückblieben.
An der Grenze angekommen, knüpften Chana und Reuven Kontakte zu Schmugglern. Diese hatten soeben eine aus Juden und Nichtjuden bestehende Flüchtlingsgruppe aus Ungarn über die Grenze gebracht. Darunter war eine mysteriöse Person namens Albert. Er behauptete, britischer Agent zu sein und nach Istanbul reisen zu müssen, um eine Botschaft des früheren ungarischen Ministerpräsidenten Miklós Kállay, der im Zuge des deutschen Einmarschs am 19. März gestürzt worden war, zu überbringen, der in London eine Exilregierung bilden wollte.
Außerdem waren in der Gruppe zwei geflohene französische Kriegsgefangene und zwei junge ungarische Juden mit Kontakten zum zionistischen Untergrund in Budapest. Einer von ihnen war Péter Kállós, der fließend Hebräisch sprach. Er hatte bereits Aliyah gemacht und zwei Jahre in Palästina gearbeitet. Er war nach Budapest zurückgekehrt, um anderen bei der Auswanderung zu helfen. Die einzige Person, die er hatte retten können, war sein Freund Sándor Fleischmann.
Auf dem Weg zur Grenze hatten die beiden einen entflohenen französischen Kriegsgefangenen namens Antoine Jacques Tissandier getroffen, den sie Tony nannten. Die einzige Frau in der Gruppe war eine Jüdin, die ungefähr so alt wie Chana war und gefälschte Papiere hatte, die sie Chana übergab. Was diese Menschen über das Leid der Juden in Ungarn erzählten, insbesondere über die systematische Ghettoisierung Hunderttausender und die Deportation nach Polen, schockierte Chana. Zu dieser Zeit fuhren täglich zwei bis drei Züge mit zusammen 12.000 ungarischen Juden nach Auschwitz.
Chana konnte das nicht mehr ertragen. Sie sagte Reuven, so schnell wie möglich gehen zu wollen, selbst auf die Gefahr hin, sofort als Spione hingerichtet zu werden. Er erinnerte sich: »Wir machten unsere abschließenden Vorbereitungen und ich fühlte mich unwohl, um die Wahrheit zu sagen. Ich war nicht zufrieden mit den Arrangements.«
Abschied
Vor allem bereitete es Reuven Dafni Unbehagen, dass es auf der anderen Seite der Grenze kein Netz von vertrauenswürdigen Kontakten unter den Bauern gab. Sie wussten nicht, wie die Bevölkerung über die Deutschen, die Briten und die Juden dachte. Reuven hatte von keiner Widerstandsbewegung gehört. Chana wäre bis zur Ankunft in Budapest auf sich gestellt und könnte leicht verraten werden. Außerdem hatten sie zu diesem Zeitpunkt keinen Funkkontakt zu den Briten. Reuven meinte, dass es wichtig sei, die Istanbul-Geschichte von Albert zu prüfen.
»Doch zu diesem Zeitpunkt war es unmöglich, Chana zurückzuhalten. Sie weigerte sich absolut, einen Tag oder auch nur eine Stunde zu warten, und alle meine Versuche, sie zu überzeugen, kurze Zeit zu warten, waren vergeblich. Sie war fest entschlossen, ohne Verzug die Grenze zu überqueren – wenn nötig, ohne Begleitung. So war das. Die Angelegenheit war entschieden.«
Reuven und Chana legten einen Code fest, mit dem Chana sich über Funk identifizieren würde: »HaKibbuz HaMeuchad (Kibbuzvereinigung), Sdot Yam, Caesarea.«
Im selben Gespräch bat Chana Reuven um eine Zyanidkapsel, mit der sie sich das Leben nehmen konnte. Sie hatte keine Angst vor dem Tod, fürchtete aber, dass sie unter Folter zu Aussagen gezwungen werden könnte. In Kairo hatten die Briten den palästinensischen Freiwilligen einen Film über Folter durch die Gestapo gezeigt. Enzo Sereni hatte vorgeschlagen, dass jeder von ihnen eine Zyanidkapsel bei sich tragen sollte. Yoel hatte daraufhin den Raum verlassen, mit solchen Gedanken wollte er nichts zu tun haben. Chana hatte ihm zugestimmt. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich das Leben zu nehmen.
Nun war das anders. Reuven Dafni schrieb: »Sie flehte mich an, ihr eine Zyanidkapsel zu geben, aber ich weigerte mich. Ich wusste, dass es meine Pflicht war, ihr Selbstbewusstsein zu heben, sie zu ermutigen, alle Zweifel an ihrem Erfolg zu nehmen.«
Chana bat Reuven, nicht mitzukommen. Einer von beiden, argumentierte sie, solle in relativer Sicherheit bleiben, um die Mission fortsetzen zu können, sollte der andere getötet oder gefangen genommen werden. Nun, da sie sich ihrem Ziel näherte, kehrte Chanas Fröhlichkeit zurück. Reuven erinnerte sich an den 7. Juni 1944:
»Um sieben Uhr kam der Führer der Partisanengruppe, die bestimmt worden war, Chana und ihre Kameraden zur Grenze zu begleiten, in den Raum und sagte, dass sie in fünfzehn Minuten aufbrechen würden. Chana war in diesen letzten Minuten außerordentlich fröhlich, strahlend, der Inbegriff einer freien Seele. Sie sprühte vor Freude, war offen, verschmitzt und erstaunlich unbeschwert – und gleichzeitig wachsam und selbstsicher.
Sie erinnerte sich an einige lustige Erlebnisse in Jugoslawien und entwarf einen Traum für die Zukunft, für den Tag, an dem wir alle zurückkehren und uns in Eretz Israel treffen würden. ›Wir werden einen großen Bus mieten‹, sagte sie, ›und das Land kreuz und quer durchfahren. Zuerst besuchen wir alle Siedlungen, die Mitglieder zu dieser Mission geschickt haben. Dann veranstalten wir dort Feierlichkeiten und erzählen ihnen alles, was uns passiert ist, und erzählen Geschichten. Außerdem werden wir das ganze Land bereisen, von Dan bis Be’er Sheva. Wir werden einen Monat unterwegs sein.‹«
Sie verabschiedeten einander vor dem Haus und vereinbarten, dass Chana und ihre Begleiter zunächst nicht in Richtung Grenze gehen würden, falls sie jemand beobachtet hätte. Reuven Dafni erinnerte sich: »Ich sah zu, wie sie zuversichtlich ihrem unbekannten Schicksal entgegenmarschierte, und an der Wegbiegung drehte sie sich um und winkte zum Abschied. Ich wusste nicht, dass ich sie nie wiedersehen würde.«
In der Serie »Nur die Sterne waren nah« bisher erschienen:
- Teil 1: Die jüdische Widerstandskämpferin Chana Szénes
- Teil 2: Hinwendung zum Zionismus
- Teil 3: Sehnsucht nach Eretz Israel
- Teil 4: Das Zertifikat
- Teil 5: Ankunft und Eretz Israel
- Teil 6: Bomben auf Haifa und Tel Aviv
- Teil 7: Im Kibbuz Sdot Jam
- Teil 8: Palmach
- Teil 9: Gyuris Flucht
- Teil 10: Union Jack und Menora
- Teil 11: Haganah gegen Hitler
- Teil 12: Abschied von Eretz Israel
- Teil 13: Hitzige Diskussionen in Kairo
- Teil 14: Schwere Stunde
- Teil 15: Die Fallschirmspringerin aus Palästina
- Teil 16: Nach Jugoslawien
- Teil 17: Bei den Partisanen
- Teil 18: Gesegnet sei das Streichholz