In dieser Reihe stellen wir die jüdische Dichterin und Widerstandskämpferin Chana Szénes vor. Sie emigrierte 1939 als 18-Jährige von Ungarn nach Palästina, wo sie sich 1943 einer Freiwilligeneinheit des britischen Geheimdienstes anschloss, deren Ziel es war, als Fallschirmspringer über feindlichem Gebiet abzuspringen, um abgeschossene britische Piloten und Juden zu retten.
Die Fallschirmspringer laufen Gefahr, sich schon bei der Landung schwer zu verletzen oder weit weggetrieben zu werden. Das Leben der Partisanen. Chana Szénes macht sich schnell einen Namen. Ein Überraschungsangriff der Wehrmacht.
Chana Szénes, der jugoslawische Jude Reuven Dafni, Yonah Rosen und Abba Berdichev sprangen am 13. März 1944 über Jugoslawien ab. Yoel Palgi und Peretz Goldstein folgten ein Monat später, begleitet von den britischen Offiziere Mac und Grandeville. Die beiden Gruppen fanden nach ihrer Landung auf jugoslawischem Boden bei unterschiedlichen Zweigen der Partisanen Anschluss, die mehrere Kilometer voneinander entfernt waren. Erst nach langen Märschen mit den Partisanen trafen sie Anfang Mai einander wieder.
Yoel Palgi erinnerte sich in seinen Memoiren an den Moment vor dem Absprung über dem fremden Land. Ein australischer Offizier, der das Kommando führte, ermunterte die Springer mit erhobenen Daumen. Alle starrten auf das rote Licht. Dann erlosch es und das grüne Licht erschien. »Go!«, rief der Australier. Mac und Grandeville sprangen zuerst und verschwanden sofort in der Dunkelheit der Tiefe. Erneut ging das rote Licht an. Jetzt waren die anderen an der Reihe.
»Es war noch keine halbe Sekunde vergangen, als das grüne Licht aufleuchtete und das Brüllen des Australiers in meine Ohren drang, zusammen mit dem immer lauter werdenden Dröhnen der Triebwerke. Ich fühlte mich, als würde ich endlos ins Leere fallen. Es schoss mir durch den Kopf: Es ist vorbei. Der Fallschirm hat sich nicht geöffnet. Doch in diesem Moment spürte ich ein leichtes Schwanken. Ich warf einen Blick nach oben und sah, dass er sich gnädig geöffnet hatte und sich rasch füllte. Durch den Ring in seiner Mitte grüßte mich ein einsamer Stern am Himmel des besetzten Jugoslawiens.«
Unter sich sah er Berge und Täler. Die Berge leuchteten silbern im Licht des Halbmonds, die Täler waren schwarz. Der kalte Wind trieb ihn durch den Himmel.
»Nach der Anspannung vor dem Sprung war es ein wunderbares Gefühl, frei unter dem großen, weißen Schirm zu schweben. Sofort wurde mir bewusst, dass ich in ernster Gefahr war: Der Wind trug mich weg, wer weiß wohin. Der Pilot hatte offenbar nicht zu tief über die Berge fliegen wollen. Sein Versprechen, uns aus 300 Metern Höhe abzuwerfen, war bedeutungslos. Wir waren zum Zeitpunkt des Absprungs mindestens 1.500 Meter hoch gewesen. Ich drehte den Kopf nach rechts und links, um Peretz zu entdecken, sah aber nichts. Vielleicht war er gar nicht gesprungen. Vielleicht hatte ihn der Wind weit weggetragen? Er war leichter als ich.«
Die Zeit in der Luft kam ihm nun endlos vor, das Gefühl der Erleichterung war verschwunden. Der näherkommende Boden sah gefährlich aus: Berge, Spalten, Felsen.
»Plötzlich realisierte ich, dass ich in einem tiefen, engen Graben landen würde. Ich würde mir die Beine brechen, fiele ich hinein. Ich hatte Angst und versuchte verzweifelt, vom Graben wegzukommen, spürte aber, dass es mir nicht gelang. Meine Hilflosigkeit machte mich verzweifelt. Ich dachte: Ich habe einen Revolver. Wenn die Deutschen kommen, werde ich kämpfen und die letzte Kugel für mich behalten. Plötzlich … fester Boden! Der Graben war weit weg.«
Er befreite sich vom Fallschirm und faltete ihn eilig zusammen, damit er nicht vom Feind entdeckt würde, versteckte ihn in einem Gebüsch und erstieg einen Berg, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das Flugzeug kreiste noch am Himmel, ehe es am Horizont verschwand.
»Ein Gefühl der Einsamkeit überkam mich. Ich war allein in einem unbekannten Land. Die letzte Verbindung zu der Welt, aus der ich gekommen war, war abgerissen, und ich kannte die Welt, die ich nun betreten sollte, noch nicht. Ich war verwirrt und bemühte in der Dunkelheit meine Ohren und Augen, um nach einem Signal meiner Kameraden zu suchen. Ich sah nichts.«
Eine denkwürdige Begegnung
Palgi wusste zwar um das Risiko, mit der Taschenlampe Signale zu geben, aber wie sollte er seine Kameraden sonst finden? Er sandte Signale in alle Richtungen, erhielt aber keine Antwort. Dann ging er zurück zu seinem Versteck. Bald sah er einen Mann, der sich näherte und sich umsah.
»Ich bemerkte, dass er eine Uniform trug und ein Gewehr über der Schulter hängen hatte. Nach einem Moment des Schweigens, als er sich zum Gehen umdrehte – offenbar hatte er mich nicht bemerkt –, rief ich ihm auf Hebräisch ›Halt! Wirf dein Gewehr weg!‹ zu. Ich beherrschte keine slawischen Sprachen, und hätte ich auf Deutsch gerufen, hätte der Mann, wäre er ein Partisan gewesen, mich höchstwahrscheinlich erschossen.«
Der Mann ließ das Gewehr fallen und hob die Hände. Yoel Palgi verließ sein Versteck, näherte sich vorsichtig und drückte ihm den Lauf gegen die Rippen. Auf seiner Mütze sah er einen roten Stern. Der Fremde sagte etwas, das er nicht verstand: »Ich sagte den einzigen slawischen Satz, den ich kannte: ›Ni ponyamayis!‹ (Ich verstehe nicht). Der Partisan fiel mir um den Hals, küsste mich überschwänglich und rief: ›Tovarish Russki! Tovarish Russki!‹ (Russischer Genosse).«
Der Mann freute sich also, dass vermeintlich Russen gekommen waren. Palgi erwiderte: »Ni Russki – Anglizi!« Die Stimmung des Partisanen wurde kühler. Höflich, mit Gesten und für Palgi unverständlichen Worten gebot er ihm, ihm zum Lager zu folgen. Sie gingen einen Hang hinauf, vorbei an Felsen und Büschen, auf denen noch Schnee lag. Am Gipfel angekommen, sah Palgi ein Lagerfeuer neben einer Hütte, die mit Ästen gut getarnt war. Eine Gruppe von Leuten saß auf Baumstümpfen.
»Sie bildeten eine merkwürdige Versammlung: Einer, der drei silberne Sterne am Ärmel trug, war prächtig gekleidet in eine hellgraue Uniform mit glänzenden Knöpfen und Bändern aus weichem, dunkelbraunem Stoff an Kragen und Manschetten – dies war die Gestapo-Uniform; ein anderer trug Lumpen, die Überreste einer Tracht; noch ein anderer die Uniform eines deutschen Soldaten und einige trugen italienische, jugoslawische und andere Uniformen.
Zwei Zeichen wiesen darauf hin, dass sie derselben Organisation angehörten: Ihre identische Kopfbedeckung – ein kleiner Hut, der ein wenig an die amerikanische Armeemütze erinnerte, mit einem fünfzackigen Stern auf der Stirnseite; das zweite ihre Sitzhaltung im Schneidersitz, das Gewehr zwischen den Beinen und an die rechte Schulter gelehnt. Sogar einer, der laut schnarchend schlief, klammerte sich an sein Gewehr, als hinge seine Lebenshoffnung daran.«
Plötzlich machte er Macs Stimme aus und sah ihn neben dem Feuer stehen, die Hände aneinanderreibend. »Es ist frisch hier!«, sagte Mac. »Was ist mit den anderen?«, fragte Palgi. »Sie werden schon kommen!«, war die Antwort. Die Partisanen musterten Palgi von Kopf bis Fuß. Er nahm militärische Haltung an und salutierte. Sie erwiderten den Gruß mit einer geballten Faust, die sie an die Schläfe hielten. Im Chor riefen sie: »Smrt fašizmu!« (»Tod dem Faschismus!«). Mac antwortete sofort mit einem »Sloboda narodnu!« (»Freiheit für das Volk!«). Er erklärte auf Englisch, dass diese beiden Worte so gut seien wie ein von Marschall Tito eigenhändig unterschriebener Ausweis.
Palgi ließ seine Zigaretten herumgehen. Ein neben ihm sitzender Partisane begutachtete aber zuerst seinen Revolver. »Ah, ich sehe, Waffen kommen bei Ihnen zuerst!«, rief Mac aus. »Das ist das, womit wir kämpfen«, erwiderte einer der Partisanen. Er sprach zum Erstaunen der Neuankömmlinge Englisch und erklärte, als Kind zehn Jahre in den USA verbracht zu haben. »Könnt ihr ein paar Männer losschicken, um Peretz und Grandeville zu finden?«, fragte Palgi. Er wurde mit der Auskunft beruhigt, dass dies schon geschehen sei, sobald das Flugzeug aufgetaucht war. »Vor ein paar Wochen war ein Mädchen hier mit einer Gruppe von Fallschirmspringern. Sie war so leicht, dass der Wind sie beinahe zu den deutschen Linien geweht hätte, sieben Kilometer entfernt von hier.« Diesmal seien Vorkehrungen getroffen worden.
Die Partisanen suchten nach den abgeworfenen Paketen. Die Fallschirmspringer fragten den Kommandanten, ob man ein Auto schicken könne, um sie und ihre Ausrüstung zu transportieren. Er sah sie verwundert an. »Es werden einige Karren kommen. Ihr könnt ins Dorf gehen. Ich kümmere mich um die Pakete.« – »Diese Hurensöhne werden alles stehlen!«, fluchte Mac. »Aber wir streiten lieber nicht mit ihnen. Sie mögen gute Kerle sein, aber es juckt sie immer der Finger am Abzug.« Wie zur Bestätigung hörten sie Schüsse. »Deutsche?«, flüsterte Mac. »Nein«, antwortete der Kommandant, »Bauern. Wenn ein Flugzeug auftaucht, kommen die Dorfbewohner und versuchen, einige unserer Sachen zu stehlen. Unsere Patrouillen vertreiben sie mit Schüssen. Die Deutschen werden später kommen, aber dann sind wir schon weg.«
In den Augen der Partisanen waren die Juden bloß Soldaten der britischen Armee. Ihre jüdische Identität durften sie nicht enthüllen. Einmal, als einer von ihnen Hebräisch redete, wunderte sich eine jugoslawische Frau, was das für eine Sprache sei. Er behauptete, es sei Walisisch und schwärmte von seiner »Heimat Wales«. Eine Sonderstellung nahm Reuven Dafni ein, der serbokroatisch sprach und als Landsmann das Vertrauen der Partisanen genoss.
Im Kugelhagel
Dafni erinnerte sich, dass viele Menschen – Partisanen und Zivilisten – von Chana fasziniert waren, jener jungen britischen Offizierin, schick in ihrer Uniform, die Pistole an der Hüfte festgeschnallt.
»Sie hatten schon vor unserer Ankunft von ihr gehört und sie wurde zu einer Art Legende. Als sie den Mitgliedern des Oberkommandos begegnete, erweckte sie deren Respekt, und obwohl die Jugoslawen Frauen gleichberechtigt in die Armee aufgenommen hatten und Frauen Seite an Seite mit den Männern in die Schlacht marschierten, hatte Chana etwas Besonderes, Geheimnisvolles an sich, das ihr Staunen und ihren Respekt erregte.«
Dafni schilderte einen Überraschungsangriff der Wehrmacht auf ein von Partisanen gehaltenes Dorf in der Nähe der ungarischen Grenze. Kugeln von den umliegenden Hügeln summten durch die Luft, die Partisanen und Dorfbewohner flohen in Panik aus dem drohenden Kessel, andere suchten hinter Felsen Schutz.
»Wir waren völlig allein, abgeschnitten, vom Feind umzingelt. Wir rutschten an einem Seil hinab und rannten weiter durch ein offenes Tal, völlig schutzlos dem Feuer der umliegenden Berge ausgesetzt. Verzweifelt versuchten wir, die zurückweichenden Partisanen einzuholen. Ringsherum hörten wir Angstschreie von Gruppen verwirrter Zivilisten, die mit ihren ärmlichen Habseligkeiten und Kindern im Arm umherstolperten und ihre schwindenden Viehherden trieben.
Die Schreie der Verwundeten und das Stöhnen der Sterbenden erfüllten die Stille; Menschen fielen wie verwundete Vögel. Um uns herum herrschte schreckliche Panik. Im wahnsinnigen Wettlauf um mein Leben vergaß ich alles. Plötzlich blieb ich stehen, entsetzt bei dem Gedanken, von Chana abgeschnitten zu sein. Ich drehte mich um und sah sie hinter mir herlaufen, wild atmend, nach Luft schnappend.«
Mit letzter Kraft retteten sie sich in den Wald in der Hoffnung, dort sicher zu sein. Sie hörten weiter die Kugeln und die Schreie.
»Plötzlich kam eine Gruppe deutscher Soldaten in Sicht und mein Finger umschloss fester den Abzug. Doch Chana, ruhig und beherrscht, hielt mich zurück. Fest und leise sagte sie: ›Stopp! Nicht schießen!‹ Ihre Augen erinnerten mich an das, was ich in all dem Chaos vergessen hatte: Unser Ziel war es, unsere Brüder zu retten; auf den Feind zu schießen, konnte unsere Mission nur gefährden.«
Eine ähnliche denkwürdige Situation beschrieb Reuven Dafni:
»Vier von uns lagen allein, von den anderen abgeschnitten, im dichten Wald, versteckt hinter Baumstümpfen, unsere Waffen zielten. Unsere Nerven lagen blank. Am Waldrand schossen die Deutschen wild in alle Richtungen und waren so nah, dass sie auf uns hätten treten können.
Ich werde Chanas erstaunliche Gelassenheit nie vergessen. Von Zeit zu Zeit blickte ich zu ihr hinüber, wie sie da lag, die Pistole gespannt, eine himmlische Ausstrahlung im Gesicht. Ich war buchstäblich überwältigt von dem Staunen über dieses einzigartige Mädchen. Ihre bemerkenswerte Charakterstärke, ihr Mut, ihre Integrität und ihr unerschütterlicher Einsatz für unsere Mission erweckten meine größte Bewunderung und meinen Respekt.«
Ein Partisanenfest
Das Leben der Partisanen bestand aber nicht nur aus Schlachten, Märschen und Lauern im Hinterhalt, sondern auch aus Festen, wie Dafni festhielt:
»Eines Abends waren wir zu einem Partisanenfest eingeladen. Männer und Frauen in Uniform und voller Bewaffnung strömten durch die Stadt, ihr Gelächter und ihre lauten Stimmen trugen zum festlichen Treiben bei. Als wir vier Mitglieder unserer Gruppe den Saal betraten, jubelte uns die Menge als Vertretern des Britischen Empires zu. Wir waren traurig, dass wir unsere wahre Identität geheim halten mussten und ihnen nicht den vollen Zweck unserer Mission mitteilen konnten. Inzwischen waren wir dem Oberkommando wohlbekannt.«
Der Oberst bat Chana, nach vorne zu kommen und zu sprechen:
»Sie tat es, wobei ich als Dolmetscher fungierte. Jeder ihrer Sätze wurde mit anerkennender, fröhlicher Begeisterung aufgenommen; anschließend bildete die Menge Kreise und tanzte. Die freudige Begeisterung, die den Saal erfüllte, war ebenso mitreißend wie der Takt der Musik; es war berauschend, den Männern und Frauen beim Tanzen zuzusehen, mit Gewehren an den Schultern und Handgranaten an den Gürteln.«
Chana schlüpfte in den Hauptkreis, passte sich schnell dem Takt an und tanzte stundenlang.
In der Serie »Nur die Sterne waren nah« bisher erschienen:
- Teil 1: Die jüdische Widerstandskämpferin Chana Szénes
- Teil 2: Hinwendung zum Zionismus
- Teil 3: Sehnsucht nach Eretz Israel
- Teil 4: Das Zertifikat
- Teil 5: Ankunft und Eretz Israel
- Teil 6: Bomben auf Haifa und Tel Aviv
- Teil 7: Im Kibbuz Sdot Jam
- Teil 8: Palmach
- Teil 9: Gyuris Flucht
- Teil 10: Union Jack und Menora
- Teil 11: Haganah gegen Hitler
- Teil 12: Abschied von Eretz Israel
- Teil 13: Hitzige Diskussionen in Kairo
- Teil 14: Schwere Stunde
- Teil 15: Die Fallschirmspringerin aus Palästina
- Teil 16: Nach Jugoslawien