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Es war nicht meine freie Wahl, den Iran zu verlassen

Auf Freiheitssuche: Ayda arbeitete jahrelang als Model im Iran, bevor sie ihre Heimat wegen staatlicher Repressionen verließ

Ayda, Diplombiologin mit Schwerpunkt Gentechnik, arbeitete jahrelang als Model im Iran, bevor sie ihre Heimat wegen staatlicher Repressionen im Jahr 2023 verließ. Seitdem lebt sie in Deutschland. Kilian Foerster sprach mit ihr im Rahmen der auf seiner Website publizierten Serie »Iranische Worte«.

Kilian Förster (KF): Was hat dir in deiner Kindheit die größte Freude bereitet? 

Ayda: Als ich ein Kind war, hatten meine Eltern eine Videokamera. Diese Kameras waren damals noch riesig groß. Ich habe als Kind verschiedene, schöne Kleidungsstücke angezogen und mich vor der Kamera bewegt und posiert. Mir hat das viel Spaß gemacht, wenn ich so im Mittelpunkt stand. Für mich als Kind war das nur ein Spiel und für meinen Papa und meine Mama ein Hobby, und mir hat das sehr gefallen.

KF: Welches Frauenbild wurde dir im Kindergarten und in Schule im Iran vermittelt? Kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal mit diesem Frauenbild in Konflikt gekommen bist?

Ayda: Mein Frauenbild wurde besonders stark von meiner ersten Lehrerin geprägt. Diese Lehrerin war für mich die erste Person außerhalb meiner Familie, die sehr selbstlos gehandelt und viel für andere getan hat. Sie hat mir viel Freude bereitet und ich habe viel von ihr für mein Leben gelernt; sie hat mir neue Wege gezeigt und stand mir sehr nahe. Besonders hat mich an ihr beeindruckt, dass sie alle Kinder gleichbehandelt und jedem Kind Vertrauen geschenkt hat, unabhängig vom Elternhaus oder der Herkunft. Kein Kind wurde von ihr bevorzugt; sie hat als Lehrerin wirklich keine Unterschiede zwischen uns gemacht.

Aber dann fing das mit dem Hijab an. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich verstanden, dass meine Lehrerin einerseits immer noch der besondere Mensch von früher für mich war, andererseits beim Hijab oder anderen persönlichen und privaten Angelegenheiten Ärger in mir verursachte; zum Beispiel, wenn ich mich schminkte oder Lippenstift trug. Als siebenjähriges Mädchen wusste ich nichts über den Hijab und zu Hause wurde mir auch nichts dazu erzählt. Meine Lehrerin war aber die Person, die den Hijab gegenüber uns durchsetzen sollte. Sie war bei diesem Punkt nicht mehr freundlich und locker, sondern trat sehr streng und bestimmend auf. Die Lehrerin wollte von uns genau das, was die Schulleitung von ihr verlangte.

KF: Wie hat sich dieses Frauenbild auf dein eigenes Selbstbild und dein Verhältnis zu deinem Körper ausgewirkt?

Ayda: Wie ich schon sagte, hat meine Lehrerin mein Frauenbild stark beeinflusst. Im Alter von sieben und acht Jahren habe ich manche ihrer Verhaltensweisen nachgemacht, zum Beispiel in der Art, wie ich Freunde finde oder über andere spreche. Dabei habe ich aber nur die positiven Seiten der Lehrerin übernommen – mit anderen Kindern Dinge zu teilen, freundlich zu sein und nicht unangenehm aufzufallen. Bei privaten Dingen wie dem Hijab habe ich mich nicht eingemischt. Unbewusst entwickelten sich in mir Schuldgefühle, weil mir vermittelt wurde, dass ich einem falschen Weg oder falschen Werten folge, wenn ich den Hijab ablehne.

Als Model im Iran

KF: Hattest du als junges Mädchen bestimmte Vorbilder? Wann entstand dein Wunsch zu modeln?

Ayda: Den Wunsch, als Model zu arbeiten, gab es schon sehr früh bei mir. Er wurde durch meine Eltern geweckt, als sie mich mit ihrer Videokamera filmten. Ich habe das gemacht, was ihnen gefiel, und aus diesem Grund wollte ich immer ein gutes Bild von mir zeigen. 

Als Teenager allerdings hatte ich keine gute Zeit, weil ich Schwierigkeiten hatte mit dem Kontrast zwischen meinem Privatleben, wo alles erlaubt war und dem Leben in der Öffentlichkeit. Von meiner Lehrerin gab es großen Druck. Das war sehr verletzend für mich und ich möchte mich am liebsten überhaupt nicht mehr an diese Zeit erinnern. Mit achtzehn Jahren nach meinem Abitur habe ich aus Neugier mit einer Gruppe eine Pilgerreise nach Mekka gemacht. In Mekka habe ich gesehen, dass das alles Quatsch ist. Diese Zeremonien und die Gebete innerhalb von vier Wänden, bei denen man sich immer bücken musste, empfand ich nur als enttäuschend und ich verstand, das ist es nicht, woran ich glaube.

KF: Welche Reaktion gab es in deiner Familie und in deinem Freundeskreis auf deinen Berufswunsch Model und die damit verbundenen staatlichen Repressionen?

Ayda: Mein Vater dachte immer, dass seine Wünsche und was ihm und mir gefällt, im Kreis der Familie bleibt und nicht in die Öffentlichkeit kommt. Als ich mich entschied, meinen Modelwunsch beruflich auszuüben, kam es zu Konflikten mit meinen Eltern. Meine Eltern haben sich Sorgen um mich gemacht, als ich verstanden habe, was in der iranischen Gesellschaft möglich ist und was nicht toleriert wird. Die meisten iranischen Eltern möchten ihre Kinder später gerne als Mediziner oder Ingenieure sehen; ich wollte jedoch etwas anderes. So gab es anfangs für mich als Model immer wieder Probleme mit meinen Eltern, aber wir haben versucht, gemeinsam eine Lösung zu finden und mit den gesetzlichen Vorgaben klarzukommen. Irgendwann war mein Vater wegen meines Modeljobs nervlich am Ende. Es war wirklich nicht einfach, aber letztlich hat er meine Entscheidung respektiert. 

Zuerst war es für mich als Model im Iran sehr schwer, stundenlang für Aufnahmen präsent zu sein, die natürlich heimlich erfolgten. Ich war immer davon überzeugt, dass ich diesen Weg gehen will. Müsste ich mich noch einmal entscheiden, würde ich dieselbe Wahl treffen. Meine Eltern haben sich immer Sorgen um mich gemacht, aber akzeptiert, dass sie mich bei meiner Arbeit als Model nicht bremsen können.

KF: Welche Freiheiten hattest du als Model im Iran?

Ayda: Im Iran gibt es im Beruf eines Models überhaupt keine Freiheit. Viele haben diese Arbeit aus Angst wieder aufgegeben. Es gibt staatliche Modelagenturen, wo strikt nach der Scharia gearbeitet wird, aber das wollte ich nicht. Ich wollte frei wählen, mit wem ich zusammenarbeite.

KF: In deiner Kindheit gab es noch kein Internet und keine soziale Medien. Wie haben diese später dein Leben verändert und in welcher Form konntest du sie im Iran nutzen?

Ayda: Soziale Medien und Internet haben im Iran zu sehr heftigen Veränderungen geführt. Diese Veränderung war groß und gleichzeitig auch gefährlich. Ich habe zuerst angefangen mit einer für die Öffentlichkeit geschlossenen Seite auf Facebook und Instagram, wo jede Person sich erst anmelden musste, bevor sie die Inhalte sieht. 

Auf diese Seiten hatte ich einige Fotos von mir gestellt. Nachdem in meinem Bekanntenkreis auch Make-up-Artists und Visagisten waren, fragten sie mich, ob ich meine Seiten nicht öffentlich machen wolle. Ich hatte zuerst keinen Plan. Als ich meine Social-Media-Seiten dann öffentlich frei zugänglich machte, habe ich gemerkt: Wow, das ist eine ganz andere Welt. Leute schrieben mir, ich bekam Angebote und neue Möglichkeiten als Model. Ich habe diese neuen Möglichkeiten auch begrüßt und war offen, als Model mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Im Iran gab es überhaupt keine Förderung oder Personen, die mich bei meinem Berufswunsch begleitet oder beraten haben.

KF: Welche Möglichkeiten hattest du als Model, die staatlichen Einschränkungen des Regimes zu umgehen und bekannt zu werden?

Ayda: Die schlimmste Zeit für mich als Model im Iran war immer der Ramadan. Dann musste ich zur Erziehungsbehörde (Ershad) oder zum Geheimdienst (Etelaat) gehen und wurde gefragt, wo ich zum Fotoshooting gewesen bin, welche Personen dort gewesen sind und wie genau das Shooting ablief. Zuerst habe ich aus Angst immer alle Fragen korrekt beantwortet, aber irgendwann habe ich meine Telefonnummer gewechselt, damit die Behörde mich nicht so schnell kontaktieren und vorladen kann. 

Ich musste bei jeder Ladung irgendwelche Verpflichtungen unterschreiben – dass ich bestimmte Sachen nicht mache, zum Beispiel kein offenes oder körperbetontes Kleid trage, die Haare nicht zeige, kein Make-up verwende etc. Die Kommunikation bei der Behörde war sehr aggressiv, es war eine Art Psychoterror. Manchmal habe ich aus diesem Grund monatelang nicht gearbeitet; davon bin ich depressiv geworden. Meine Profilseiten in sozialen Medien habe ich wieder für die Öffentlichkeit geschlossen, mich versteckt und eher passiv reagiert.

Gleichzeitig riefen mich Fotografen und Make-up-Artists an und fragten, wo ich bin und wann ich wieder anfangen werde. Ich sagte ihnen, dass ich reise oder irgendeine andere Ausrede und ich fühlte mich sehr schlecht. Die staatliche Behörde hat sehr streng den Hijab-Zwang kontrolliert und wollte immer genau wissen, wie ein Fotoshooting ablief und das hat mein Leben sehr schwer gemacht.

Auf der Flucht

KF: Warum hast du dich für das Exil entschieden, gab es ein bestimmtes Ereignis oder Erfahrung?

Ayda: Als ich noch im Iran lebte, bin ich zwar beruflich viel gereist, aber ich hatte keine Erfahrung, wie das Leben im Ausland wirklich ist. Der Hijab-Zwang und die große Bewegung nach dem Tod von Jina Mahsa Amini hat die Situation für mich immer schwieriger gemacht. Ich habe auf meinen Social-Media-Seiten ein Video veröffentlicht über die Proteste auf der Straße nach dem Tod von Amini und meine Solidarität mit der Jin-Jiyan-Azadi- Bewegung mitgeteilt. Dadurch wurde mein Leben im Iran sehr kompliziert. 

Weil ich auf Social Media nach diesem Video sehr leise geworden bin, wurde ich von meinen Followern beschimpft. Als ich endlich im Ausland war, habe ich in einem Video erklärt, warum ich den Iran verlassen habe und weshalb ich davor so ruhig gewesen bin. Es war für mich keine freie Entscheidung, ins Ausland zu gehen, denn ich hatte keine andere Wahl. Meine Familie hat beschlossen, dass ich ins Ausland gehen muss, weil sie Angst um mein Leben hatten. Ich wollte ein selbstbestimmtes Leben nach meinen Regeln in meiner Heimat Iran leben; das hat meinen Eltern große Sorgen bereitet.

KF: Hast du aus deiner Vergangenheit etwas mitgenommen, das dir im Exil hilft?

Ayda: In meiner Familie habe ich gelernt, wie ich Probleme oder Konflikte lösen kann. Und in meinem Job als Model habe ich viel in schwierigen Situationen gelernt; zum Beispiel, wie ich mich verhalte und was ich aushalten muss. Wenn du deinen Job wirklich liebst, musst du dafür auch einiges in Kauf nehmen und Geduld zeigen, damit du dich weiterentwickelst und besser wirst.

KF: Woher rührt in deinen Augen der Mut und die Furchtlosigkeit der jungen Generation im Iran gegenüber dem Regime?

Ayda: Es bleibt niemals alles so, wie es ist und die junge Generation hat sich weiterentwickelt. Sie ist mutig und kennt keine Tabus mehr wie die ältere Generation; das bedeutet, sie lässt sich nicht mehr von bestimmten Regeln beeinflussen. Dieser Unterschied zwischen den Generationen im Iran ist sehr wichtig. Wenn etwas gesetzlich verboten ist, denken junge Iraner über dieses Verbot nach, und diese Verbote bedeuten für sie nicht automatisch ein »nein«. Wenn junge Iraner mit ihrem Verhalten niemandem schaden, warum sollte es verboten sein?

Der große Druck des islamischen Regimes führt zu Angst- und Furchtlosigkeit der jungen Generation. Junge Iraner wollen diesen Druck irgendwo rauslassen und suchen nach Auswegen und einer dieser Wege ist, keine Angst zu haben. Ich habe das selbst erlebt; wir wollten einfach sehen, wie weit wir die strengen Regeln aufbrechen können und welche Möglichkeiten es gibt. Alle im Iran wollen gerne so ein Leben führen, wie ich es jetzt im Ausland habe: Vor der Kamera kann ich mir alles erlauben, was ich möchte, solange es keinem anderen direkt schadet. 

KF: Was empfindest du als Iranerin und Model, wenn westliche Konzerne Models mit Kopftuch auf Modeshows oder in Werbekampagnen präsentieren und das Kopftuch als modisches Accessoire verkaufen?

Ayda: Es ist kein schönes Gefühl, wenn im Westen ein Kopftuch als etwas Modisches präsentiert wird. Das löst bei uns Iranerinnen keine guten Gefühle aus, denn wir haben im Iran so viele Probleme eben genau wegen des Hijabs. Und wir haben alles versucht, uns diesem Stück Stoff zu widersetzen. Ich habe nichts gegen eine Person, die für sich selbst den Hijab wählt, aber ich möchte auch so leben, wie ich es will. Ich lehne für mich den Hijab ab; und auch wenn es einige Fotos von mir mit Hijab gibt, dann nur, weil ich es musste und nicht, weil es meine Wahl war.

Im Exil

KF: Welche Vorstellung hattest du vom Westen im Iran und wie ist jetzt die Realität im Exil für dich?

Ayda: Die Freiheit, die ich in Europa habe, entspricht dem, was ich mir vorgestellt habe. Manchmal übertrifft diese Freiheit meine Erwartungen, weil ich die Erfahrung, in einer freien Gesellschaft zu leben, im Iran nicht gemacht habe. Ich sehe nun in der Realität die vielen Möglichkeiten, beispielsweise, wie man sich frei bewegen oder auch leben kann, und das gefällt mir sehr. Allerdings war es nicht meine freie Wahl, den Iran zu verlassen, sondern es war eine blitzartige Entscheidung.

KF: Welche Hindernisse sind für dich die größten im Exil?

Ayda: Das größte Hindernis ist, dass ich zwar mein eigenes Leben leben kann, gleichzeitig gibt es aber einen sehr starken Konkurrenzkampf. Das muss einem bewusst sein, wenn man im Westen lebt. Es gibt auch im Umgang der Menschen untereinander Unterschiede. Ich habe aber kein Problem mit dieser eher direkten Art zu kommunizieren des Westens, wo man nicht so viel durch die Blume sagt wie im Iran. Ich finde es gut, wenn jemand mir gegenüber Kritik direkt äußert und ich versuche diese Kritik, wenn sie gerechtfertigt ist, anzunehmen und mich zu ändern. Ich habe im Westen auch sehr gute Menschen kennengelernt und konnte meine Träume verwirklichen.

KF: Hast du im Exil im Westen die Freiheit gefunden, die dir als Frau im Iran verwehrt wurde?

Ayda: Ich kann für mich mit Sicherheit sagen, dass ich im Exil die Freiheit gefunden habe und glücklich bin, in einem Land zu leben, wo der Wert einer Frau respektiert wird. In meiner Heimat ist das anders. Nur in meinem Model-Job habe ich im Iran Freiheit gefühlt, viele haben aber aus Angst diese Arbeit aufgegeben. Viele Menschen im Westen können ihre Freiheit nicht wertschätzen, weil sie keine solchen Erfahrungen wie ich im Iran gemacht haben. 

KF: Wenn du Dein Spiegelbild betrachtest; erkennst du dann, wer du selbst bist oder was andere in dir sehen sollen?

Ayda: Ich weiß nicht, ob andere Menschen mich so sehen, wie ich mich sehe; nämlich, dass ich eine moderne Frau mit freiem Geist bin, die so lebt, wie sie möchte. Die Basis, auf der bestimmte Gedanken und Urteile entstehen, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich; jede Meinung eines Menschen beruht immer auf dessen persönlicher Basis. Im besten Fall sehen mich andere so, wie ich mich sehe und nicht anders. 

Ich möchte mein Leben leben und andere sollten diese Stärke auch anerkennen. Wer über mich etwas denkt oder sagt, das nicht meiner Persönlichkeit entspricht und wie ich mich sehe, sagt das mehr über den Charakter dieser Person aus. Wenn mich zum Beispiel eine religiöse Person sieht, kann es passieren, dass diese Person mich als Frau abwertet und beleidigt. Aber wenn jemand eher modern und ein freier Geist ist, dann sieht er mich nicht negativ. Diese negative oder positive Sicht hängt immer vom Betrachter ab und hat nichts mit mir zu tun, weil ich weiß, wer ich bin. 

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