Israels Außenminister Gideon Saar hält wenig von der angeblichen Läuterung der neuen Führung in Syrien.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes steht die Frage im Raum, wie Syrien nach der erforderlichen Neuordnung aussehen wird. Nach außen gibt sich der Chef der siegreichen HTS-Miliz Ahmed al-Sharaa gemäßigt, betont den Pluralismus Syriens und »versucht, vieles richtig zu machen«, wie Gudrun Harrer am Wochenende im Standard schrieb.
Gleichzeitig trauen viele Beobachter dem schönen Schein nicht, sondern befürchten, die Etablierung eines islamistischen Systems in Syrien könnte als Vorbild wirken und eine neue Welle des sunnitischen Islamismus in der Region auslösen.
Äußere Kräfte: die Türkei
Unklar ist auch, in welchem Ausmaß die Syrer wirklich selbst über ihre Zukunft entscheiden werden können oder ob nicht vielmehr äußere Kräfte den zukünftigen Weg des Landes maßgeblich zu drohen beeinflussen. Verwiesen wird dabei vor allem auf die Türkei. Der wahre Gewinner, schrieb etwa Jonathan Spyer, sei nicht HTS-Chef al-Sharaa, sondern der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der jahrelang nicht nur die Herrschaft der HTS-Miliz in der Provinz Idlib unterstützt, sondern mit der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) noch eine zweite militärische Kraft herangezüchtet hatte, die direkt von der Türkei ausgerüstet, trainiert und geführt wird.
Diese Truppe agiert als unmittelbarer Stellvertreter der Türkei und setzt nicht etwa syrische, sondern türkische Interessen durch. Sie war es zum Beispiel, die 2018 300.000 Kurden aus der Provinz Afrin vertrieb, und sie ist es, die jetzt im Norden des Landes gegen die kurdische Regionalautonomie vorrückt. »Mit der Beteiligung der türkischen Luftwaffe, Artillerie und Drohnenkapazitäten werden die Kämpfe blutig und der türkische Erfolg wahrscheinlich sein. Was angesichts der bisherigen Bilanz der SNA folgen würde, wären mit ziemlicher Sicherheit ethnische Säuberungen und Massaker in großem Umfang«, fasst Spyer zusammen.
Ob das eintreten wird, hänge nicht zuletzt von den USA ab, die mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften verbündet sind und selbst rund zweitausend eigene Soldaten in Ostsyrien stationiert haben. Ihre Anwesenheit durchkreuzt die türkischen Pläne zur Zerstörung der kurdischen Autonomie, da eine militärische Konfrontation mit den USA ausgeschlossen ist. Aber niemand kann sagen, was mit den amerikanischen Soldaten geschehen wird, nachdem Donald Trump am 20. Januar erneut zum Präsidenten ernannt wird.
Syper zufolge setze die Türkei aber nicht um jeden Preis auf eine militärische Zerstörung der kurdischen Autonomie in Syrien, sondern würde sich auch damit zufriedengeben, könnte dieses Ziel auf anderem Weg, etwa durch eine Einigung des Landes unter islamistischer Führung in Damaskus, erreicht werden.
Bloße Fassade
Ein anderer wichtiger Akteur ist Israel, das nach Assads Sturz strategische militärische Ziele in Syrien zerstörte und an einigen Stellen über die bislang gültigen Waffenstillstandslinien hinaus vorgerückt ist. Wie in einem ausführlichen Gespräch des neuen israelischen Außenministers Gideon Saar mit der Jerusalem Post deutlich wird, betrachtet die gegenwärtige israelische Regierung die Entwicklung in Syrien mit erheblichen Vorbehalten:
»Das Regime in Damaskus ist im Grunde eine Bande, keine legitime Regierung«, so Saar. »Diese sogenannte Führung ist die Bande aus Idlib, keine integrative Autorität. Sie sind Islamisten mit einer äußerst extremen Weltanschauung.«
In Gegensatz zu anderen Stimmen hält Saar das moderate Auftreten von HTS-Chef al-Sharaa und dessen Mitstreitern für bloße Fassade. »Diese Akteure täuschen den Westen, und die Welt eilt nach Damaskus«, äußert sich der Außenminister spöttisch über andere Länder. »Es gibt sogar diejenigen, die möchten, dass wir dasselbe tun. Aber warum ist die Welt so begierig darauf, sich mit Damaskus einzulassen? Schließlich handelt es sich hierbei um ein islamistisches und nicht um ein gemäßigtes Regime.«
Die »schnelle Rehabilitierung von al-Julani«, wie sich al-Sharaa nannte, »und seinen Komplizen wirft Fragen auf – und es gibt keine Garantie, dass sie nicht zu Enttäuschungen führt.« Aus der Geschichte anderer islamistischer Gruppen habe man eine Lehre gezogen: »Wir dürfen nicht zulassen, dass der islamistische Extremismus in der Nähe unserer Grenzen Fuß fasst.«
Um zu verhindern, dass Waffenbestände der syrischen Armee in die Hände der Islamisten fallen oder auf dem Schwarzmarkt landen, habe Israel die bereits erwähnten Angriffe unternommen. Die Errichtung von Pufferzonen soll sicherstellen, dass Extremistengruppen keine unmittelbare Gefahr an Israels Grenzen darstellen können. Diese Maßnahme sei »begrenzt und zeitlich befristet«. Und was bedeutet »zeitlich befristet«? – »Bis wir eine Stabilisierung der Situation sehen und zur vorherigen Linie zurückkehren können.« Noch sei davon aber keine Rede.
Statt auf die Islamisten in Damaskus hereinzufallen, solle die internationale Gemeinschaft vielmehr die Kurden in Syrien unterstützen. »Die Kurden sind eine pro-westliche und freundliche Gruppe, und wir müssen ihnen beistehen«, so Saar. Es sei »eine Frage des Prinzips, sowohl moralisch als auch diplomatisch, ihnen beizustehen«.