Im Mena-Talk spricht Jasmin Arémi mit der Journalistin und Autorin Sarah Cohen-Fantl über ihr gerade erschienenes Buch Wie alles begann und sich jetzt wiederholt, was Erinnerung leisten kann und warum das Schweigen über den Antisemitismus gefährlich bleibt.
Sarah Cohen-Fantl gehört zu den profiliertesten Stimmen des deutschsprachigen Journalismus, wenn es um Israel, Antisemitismus und politische Kultur in Europa geht. Seit 2018 berichtet sie als freie Journalistin und Kriegsreporterin aus Israel, unter anderem für die Zeitungen Die Welt, BZ und die Jüdische Allgemeine.
Im gemeinsamen Podcast Moin & Shalom mit Jenny Havemann spricht sie über jüdisches Leben, Sprache und Alltag zwischen Tel Aviv und Hamburg, mal mit journalistischer Distanz, mal mit ganz persönlichem Blick. Ein Schwerpunkt gilt der Sprache über Israel, den Begriffen, die im öffentlichen Diskurs gewählt werden, und den Haltungen, die sich in diesen spiegeln. Für Cohen-Fantl ist Sprache nicht bloß Medium, sondern Indikator dafür, wie eine Gesellschaft über Juden, Israel und über sich selbst denkt.
Im Gespräch erzählt sie von den Erfahrungen, die ihren Blick auf Deutschland geprägt haben. Schon als Schülerin wurde sie wegen ihrer jüdischen Herkunft von Neonazis bedroht und beschimpft. Lehrkräfte drängten sie, über ihre Familiengeschichte zu sprechen.
»Jüdische Menschen in Deutschland werden oft für die Politik Israels mitverantwortlich gemacht«, sagt sie, und zwar »unabhängig davon, ob sie in Israel leben oder mit der Regierung überhaupt in Verbindung stehen«. Diese ständige Notwendigkeit, sich erklären zu müssen, sei eine Erfahrung, die fast alle Jüdinnen und Juden in Europa teilen.
Schleichende Normalisierung
Ihr Buch Wie alles begann und sich jetzt wiederholt ist eine persönliche und zugleich politische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte. Die Idee zu dem Buch nahm Gestalt an, als Cohen-Fantl in Auschwitz vor dem Koffer ihrer Urgroßmutter stand, einem stummen Zeugen einer ausgelöschten Welt. Die Entdeckung des Koffers avancierte zum Ausgangspunkt einer tiefgreifenden Auseinandersetzung. Sie veranlasste Cohen-Fantl dazu, die Geschichte ihrer Familie aus unterschiedlichen Perspektiven neu zu erzählen und sich der vielschichtigen, generationenübergreifenden Verantwortung des Erinnerns zu stellen.
»Die Shoah ist ein singuläres Event in unserer Geschichte und das sollte auch niemals verwässert werden«, sagt sie. »Das passiert ja gerade ganz viel, dass man sagt, Gaza ist das neue Auschwitz. Das ist natürlich furchtbar, und das ist nicht der Punkt in diesem Buch. Es geht um die Zeit vor der Shoah, die sich hier wiederholt.«
Gemeint sind damit die Muster der Ausgrenzung, die heute erneut sichtbar werden. Das Verstecken jüdischer Identität, das Wegsehen der Mehrheitsgesellschaft, die Gleichgültigkeit gegenüber antisemitischer Gewalt. Sie warnt davor, diese Entwicklungen zu verharmlosen, sie seien Ausdruck einer schleichenden Normalisierung des Hasses.
In ihrer journalistischen Arbeit setzt sie auf Präzision und Differenzierung. Die Berichterstattung westlicher Medien über Israel kritisiert sie deutlich, denn allzu oft fehlten Fakten, Kontext und Maßstäbe: »Wenn man Israel Dinge vorwirft, im Gazakrieg zum Beispiel, ohne dabei die Hamas im gleichen Atemzug auch mal zu benennen, und ohne zu sagen, dass Ägypten etwa ebenso Grenzen geschlossen hält, dann setzt man andere Maßstäbe an Israel als an alle anderen Länder. Und wenn das der Fall ist, dann ist das per se antisemitisch.«
Legitime Kritik an der israelischen Regierung sei notwendig, betont die Autorin, aber nur dann, wenn sie auf gleichen Maßstäben beruhe. Alles andere sei Ausdruck von israelbezogenem Antisemitismus.
Das Buch stößt bei jüdischen als auch bei nichtjüdischen Lesern auf große Resonanz. Besonders junge Menschen reagierten bewegt, viele fühlten sich ermutigt, Haltung zu zeigen. Cohen-Fantl sieht darin den zentralen Zweck ihres Werks, Erinnerung nicht als Ritual, sondern als Verantwortung zu begreifen:
»Ich möchte Menschen aufrütteln und ihnen die Hand reichen und sagen, wir müssen das zusammen machen … Das wird mir widergespiegelt, dass die Menschen das tatsächlich auch so verstehen, dass ich sie nicht verprelle, sondern dass ich sage, wir brauchen euch, steht an unserer Seite, aber rafft euch jetzt auch auf. Ich weiß, es ist unbequem, ich weiß, es ist anstrengend, es ist viel schöner, auf der Couch zu sitzen und irgendwie ein Buch zu lesen oder Netflix zu gucken, aber so rettet man keine Demokratie und so schützt man nicht jüdisches Leben in Deutschland, in Europa und weltweit.«
Sarah Cohen-Fantl wiederholt auch auf ihrer Lesereise diesen Aufruf an die Mehrheitsgesellschaft. Denn nur, wer aus der Geschichte lernt, kann verhindern, dass sie sich wiederholt. Wer eine offene, demokratische Gesellschaft will, muss bereit sein, Haltung zu zeigen. Für jüdisches Leben, für Demokratie und gegen jeden Antisemitismus.





