Neuer Hamas-Chef Sinwar: Kompromisslose Haltung zu Waffenstillstandsgesprächen 

Antiisraelischer Demonstrant in New York mit dem Bild des neuen Hamas-Führers Yahya Sinwar
Antiisraelischer Demonstrant in New York mit dem Bild des neuen Hamas-Führers Yahya Sinwar (© Imago Images / SOPA Images)

Die Freipressung palästinensischer Terrorführer steht ganz oben auf der Prioritätenlisten des neuen Yahya Sinwar, wie der neue Hamas-Führer ägyptischen Vermittlern mitteilen ließ.

Der neue Hamas-Führer Yahya Sinwar habe den ägyptischen Vermittlern seine kompromisslose Haltung in Bezug auf jene strittigen Punkte übermittelt, die eine Waffenstillstandsvereinbarung im Gazastreifen bislang verhindern, erklärten Quellen gegenüber der emiratischen Nachrichtenplattform The National.

Sinwar, war am vergangenen Dienstag zum neuen politischen Führer der Hamas ernannt worden, nachdem der bisherige Führer, Ismail Haniyeh, die Woche zuvor in Teheran getötet worden war. Sinwars Wahl dürfte langfristig erhebliche Auswirkungen Hamas haben, da in seiner Person der politische und der militärische Flügel zu einer Einheit verschmolzen werden. Kurzfristig wird nun eine härtere und kompromisslosere Position zur Beendigung des Gazakrieges erwartet.

»Ein Waffenstillstand und ein Austausch von Gefangenen und Geiseln zwischen der Hamas und Israel ist derzeit sehr unwahrscheinlich. Die Verhandlungen könnten irgendwann wieder aufgenommen werden, aber die Hamas wird eine harte Haltung einnehmen, und es wird möglicherweise keinen Waffenstillstand geben«, sagte eine Quelle. »Yahya Sinwar hat die volle Unterstützung der Hamas und anderer palästinensischer ›Widerstandsgruppen‹, und das bedeutet, dass er nicht bereit sein wird, Zugeständnisse zu machen.«

Der aktuelle Aufenthaltsort von Sinwar ist unbekannt, da er sich seit dem Hamas-Massaker vor mittlerweile mehr als zehn Monaten versteckt hält. Die israelischen Behörden gehen davon aus, dass der bisherige militärische und nun auch politische Hamas-Führer sich im ausgedehnten, von der Hamas gebauten unterirdischen Tunnelnetz im Süden des Gazastreifens versteckt hält.

Entgegen allen Einschätzungen sei Sinwar innerhalb der Hamas nicht geschwächt, was nicht zuletzt seine Ernennung um neuen Politbüro-Führer zeige, meinte unlängst der ehemalige Leiter der Abteilung für Geiseln und vermisste Personen beim israelischen Geheimdienst Mossad. Wenn Sinwar sich die Welt ansieht, sagte Rami Igra, »passieren die Dinge, die er wollte. Die Achse [des Widertsands] erhebt sich gegen Israel, nicht nur die Achse, auch die westliche Welt, die Vereinigten Staaten schaffen Situationen, in denen Israel in die Enge getrieben wird. Die Tatsache, dass Israel sich entschieden hat, Ismail Haniyeh auszuschalten, beweist, dass selbst im Sicherheitsestablishment verstanden wurde, dass Verhandlungen mit Haniyeh fruchtlos sind und nur Sinwar die Entscheidungen trifft.«

Terroristen freipressen

Den Vermittlern der Waffenstillstandsgespräche nahestehende Quellen bekräftigten gegenüber The National, dass Sinwars Ernennung die bereits angespannten Verhandlungen aufgrund seiner harten Haltung zur Fortsetzung des Krieges weiter behindern könnte. Kurz nach seiner Ernennung habe Sinwar Kontakt mit den ägyptischen Vermittlern aufgenommen, um ihnen seine Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit zu übermitteln, hieß es. Zu den von ihm gestellten Bedingungen für eine Waffenstillstandsvereinbarung gehörten ein vollständiger israelischer Rückzug aus dem Gazastreifen und die Freilassung hochrangiger palästinensischer Gefangener. 

Sinwar teilte den Ägyptern auch mit, dass er »rückhaltlos« dagegen sei, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nach dem Krieg die Kontrolle über den Gazastreifen übernimmt. Der Hamas-Führer machte auch deutlich, dass er die Entsendung einer multinationalen Truppe ablehnt, die in einem Nachkriegs-Gaza die Sicherheit bis zur Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewährleisten könnte.

Die Freilassung palästinensischer Terroristen stehe hingegen ganz oben auf der Liste von Sinwars Prioritäten, sagte eine Quelle. »Er möchte, dass Marwan Barghouti und Ahmed Saadat freigelassen werden, und wird in dieser Frage keine Kompromisse eingehen«, so die Quelle. Marwan Barghouti ist ein ranghoher Fatah-Führer, der als möglicher Nachfolger von von PA-Präsident Mahmoud Abbas angesehen wird, während Ahmed Saadat der Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) ist. Beide Männer verbüßen langjährige Haftstrafen nach Verurteilungen wegen sicherheitsrelevanter Vorwürfe und Terrorismus.

Die Forderungen des Hamas-Führers wurden nach seiner überraschenden Ernennung in der Form von schriftlichen Auskünften und Sprachnotizen an die die ägyptischen Vermittler übermittelt. Überbracht wurden Sinwars Botschaften durch seinen engen Berater und Vertrauten Khalil al-Hayya der auch schon während der monatelangen Verhandlungen zwischen der Hamas und Israel durch Vermittler aus den USA, Ägypten und Katar die Funktion eines Sprechers für Sinwar innehatte.

Obwohl der Hamas-Chef seit Beginn des Krieges und auch davor schon monatelang nicht in der Öffentlichkeit zu sehen war, spielte er eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen. Im November erklärten ägyptische Beamte, dass er während der Gespräche, die zu einem einwöchigen Waffenstillstand führten, aus Sicherheitsgründen tagelang keine Anrufe entgegengenommen habe.

Sinwa ließ seine Helfer routinemäßig Anrufe von ägyptischen und katarischen Vermittlern oder Hamas-Führern einplanen und benutzte häufig wechselnde gesicherte Leitungen sowie ausgeklügelte Störsender, um zu verhindern, dass Israel seinen Standort herausfinden kann. Mit den Feldkommandeuren der Hamas kommunizierte er über verschlüsselte schriftliche Nachrichten. Es wird erwartet, dass sich diese Form der Botschaftsübermittlung in seiner neuen Rolle als Chef des Politbüros weiter intensivieren wird.

Irans Wunschkandidat

Den Quellen zufolge habe der Iran eine Schlüsselrolle bei der Beförderung Sinwars an die Spitze der Hamas gespielt, wobei Teheran vor allem seinen Vertrauten al-Hayya benutzt habe. Zusammen mit dem Hamas-Geheimdienstchef, Zaher Jabareen, und dem hochrangigen Hamas-Funktionär, Hossam Badran, habe al-Hayya in tagelangen intensiven und geheimen Gesprächen mit Führern der Hamas und verbündeter Gruppen für Sinwar Stimmung gemacht, so die Quellen.

Doch auch in den Augen Kairos, das seit der Rafah-Offensive und der Eroberung des Philadelphi-Korridors samt Entdeckung zahlreicher Schmuggeltunnel mit Israel über Kreuz liegt, sei Sinwar der perfekte Mann für das Amt des Hamas-Chefs. »Der Iran ist froh, dass er die Hamas anführt, ebenso wie die mit der Gruppe verbündeten palästinensischen Gruppierungen und – zumindest im Moment – auch Ägypten«, so eine Quelle. »Aber es ist jetzt sehr unwahrscheinlich, dass die Waffenstillstandsverhandlungen zu Ergebnissen führen werden.«

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