Neue Drohungen gegen Jesiden im Irak: Wenn es keine Zukunft gibt

Gedenkveranstaltung zum zehnten Jahrestag des Genozids an en Jesiden im Ira
Gedenkveranstaltung zum zehnten Jahrestag des Genozids an en Jesiden im Irak (© Imago Images / SOPA Images)

Fast genau auf den Jahrestag des Völkermordes sehen die Jesiden ihre Existenz im Irak erneut bedroht. Der Grund: Eine Kampagne angestachelt von Klerikern.

Holger Geisler

In der vergangenen Woche haben die Jesiden zum zehnten Mal der Opfer des Genozids von Anfang August 2014 gedacht. In Deutschland wurden starke Reden gehalten, schließlich hat ja die westliche Allianz, gemeinsam mit der irakischen Armee und den kurdischen Peshmerga-Kämpfern den Islamischen Staat besiegt. Jesiden sollen daher in ihr altes Siedlungsgebiet zurück, egal ob die Häuser und Straßen dort noch immer zerstört oder, wenn schlecht erhalten, weiter vermint sind.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ignoriert den Lagebericht seines eigenen Außenministeriums oder kennt ihn nicht. Sonst würde er nicht stolz auf die deutschen Erfolge verweisen, während zugleich die Menschenrechtsbeauftrage der Bundesregierung bei ihrem Besuch im Irak nicht in den Shingal reisen konnte, wohin die Jesiden zurücksollen. Die Sicherheitslage lässt einen Besuch nicht zu wie auch schon bei unzähligen Versuchen ihrer Polit-Kollegen.

Mehr Flucht als Rückkehr

Und dennoch beginnt gerade eine massenweise Rückkehr der Jesiden. Was ist geschehen, ist das Gebiet doch sicher, glauben die Rückkehrer an eine Zukunft?

Nichts davon trifft es auch nur im Entferntesten. Vielmehr hast sich mit Qasem Shesho einer ihrer Kommandeure, Anfang der vergangenen Woche in einem Video geäußert und betont, »solange der IS nicht aus den Köpfen der Mehrheitsbevölkerung verschwunden ist, so lange können Jesiden nicht in Sicherheit leben«. Niemand, der sich mit der Materie auskennt, würde dem widersprechen. Weil Shesho aber auch noch sagte: »Solange Mohammed existiert, werden die Befehle [zum Völkermord] gegen uns nicht enden. Sie sind die Feinde unserer Religion«, sahen Imame in Kurdistan die Aussagen als Ketzerei gegen ihren Propheten und gegen Allah an.

Auch wenn Shesho in Folge zu erklären versuchte, er habe nicht den Islam an sich, sondern seine radikale Auslegung durch Gruppen wie den IS gemeint, forderten die sich und ihren Glauben beleidigt fühlenden Imam ihre Anhänger dazu auf, gegen die Ungläubigen vorzugehen. Mehr als 3.500 Hassbotschaften gegen die Jesiden gab es an einem einzigen Tag.

Neue Drohungen gegen Jesiden im Irak: Wenn es keine Zukunft gibt
Drohungen mit erneutem Völkermord gegen die Jesiden im Irak

Und die Regierungen in Bagdad und Erbil? Versuchen sie zu deeskalieren oder sachlich aufzuklären? Ganz im Gegenteil: Während die Verantwortlichen in der nordirakischen Autonomen Region Kurdistan schweigen, geht die Zentralregierung in Bagdad noch einen Schritt weiter. Es wurde Haftbefehl gegen Shesho erlassen, weil er die innere Ordnung des Irak störe und einen Umsturz plane; und weil er den Propheten Mohammed beleidigt habe.

Eine jesidische Aktivistin aus dem Irak, die anonym bleiben möchte, schrieb am Freitag: »Dies ist eine klare Botschaft an die internationale Gemeinschaft, dass das militärische Ende des IS nicht bedeutet, dass die Jesiden in Sicherheit sind, denn jedes Mal, wenn ein Jeside einen Fehler macht, werden alle Jesiden dafür haftbar gemacht und laufen Gefahr, von Extremisten getötet und vertrieben zu werden.«

Inzwischen sollen Hunderte Jesiden aus Angst die Camps für Binnenvertriebene in der kurdischen Stadt Zakho verlassen haben und Richtung Sinjar geflohen sein.

Fast zynisch wirkt es dabei, dass fast gleichzeitig eine Generalamnestie für Islamisten durchgesetzt wurde. Mehr als tausend IS-Anhänger, die aus kurdisch-syrischen Gefängnissen in den Irak überstellt wurden, bleiben dadurch straffrei und auf freiem Fuß. Kaum einer glaubt, dass sie nicht versuchen, werden, das Werk des IS weiter fortzuführen.

Keine Sicherheit

ES gibt keinen Frieden für Jesiden, anscheinend nirgendwo auf dieser Welt. Die neue Heimat, in der sie angekommen waren und sich integriert haben, will sie nicht mehr und möchte sie zurückschickenDie alte Heimat gibt es nicht mehr, wohl aber die, die ihnen weiter nach dem Leben trachten.

Die Entscheidungsträger in Deutschland wissen von alledem. Wenn auch die aktuelle Situation nicht zu einem Umdenken führt, dann basiert die angebliche deutsche und jesidische Freundschaft offensichtlich nur auf einem Missverständnis.

Die Jesiden, die in den Shingal zurückgekehrt sind, wissen um alle Probleme, die es dort gibt. Verschiedene Milizen, die gegeneinander kämpfen, Schutzgelderpressung und Korruption an jedem Checkpoint sowie eine türkische Armee, die inzwischen im Gebiet angekommen ist und es »säubern« möchte. Was dies bedeutet, können sich wohl alle vorstellen, die aber lieber in der alten Heimat und zu Hause sterben wollen als in einem stinkenden und kaputten Zelt in einem der Camps. 

Was bleibt, ist die Hoffnung auf eine Wende zum Guten oder dem endgültigen Abschied von den Jesiden beizuwohnen.

Dies ist die leicht überarbeitete Version eines Artikel, der zuerst bei JungleBlog erschien.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!