In einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung glaubt Nemi El-Hassan, dass der Entschluss des WDR, sie nicht die Sendung Quarks moderieren zu lassen, ein Kotau vor einer Kampagne von rechten Youtubern und der Bild-Zeitung ist. Die Kritik, sie sei antisemitisch, hält sie ein für rassistisch motiviertes Ablenkungsmanöver. In Wahrheit habe man etwas gegen ihre palästinensische und muslimische Identität. Doch damit macht sie es sich viel zu leicht, denn sie ist in der Causa nicht nur Opfer.
Als Nemi El-Hassan ihren Beitrag mit dem Titel „Ich bin Palästinenserin – deal with it!“ für die Berliner Zeitung verfasste, dürfte sie fest davon ausgegangen sein, dass der Westdeutsche Rundfunk (WDR) seinen Entschluss, sie nicht wie ursprünglich geplant das Wissenschaftsmagazin Quarks moderieren zu lassen, nicht mehr revidieren würde.
Zu eindeutig waren die Äußerungen des WDR-Intendanten Tom Buhrow gewesen, der keine „unangebrachte Politisierung der Sendung“ wollte und „problematische Likes“ der 28-Jährigen in sozialen Netzwerken als Grund für die Entscheidung der Rundfunkanstalt ins Feld führte.
Noch deutlicher waren Wortmeldungen aus dem Rundfunkrat des Senders ausgefallen; dort hieß es mit Blick auf El-Hassans Social-Media-Aktivitäten, Freude über Gewalt gegen Israel sei auf keinen Fall zu tolerieren, und antisemitische Positionen könnten und dürften im WDR keinen Platz haben.
Zwar hatten sich zuletzt der frühere israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor und der israelische Historiker Moshe Zimmermann für eine Beschäftigung von Nemi El-Hassan verwendet, doch mit ihren eher dünnen Argumenten vermochten sie offenkundig weder den Rundfunkrat noch den Intendanten zu überzeugen.
Wenige Stunden nach der Veröffentlichung von El-Hassans Artikel gab der WDR schließlich bekannt, „keine Grundlage mehr“ für eine Kooperation zu sehen. Das Vertrauen für eine künftige Zusammenarbeit sei nicht mehr vorhanden. Das war nun wahrlich keine Überraschung mehr, zumal El-Hassans Text viel von einem Kündigungsschreiben hatte, wie Laura Hertreiter in der Süddeutschen Zeitung zu Recht befand.
Nur eine Kampagne rechter Youtuber und der Bild-Zeitung?
Auch wenn die Angelegenheit nun abgeschlossen ist, lohnt sich ein genauer Blick auf die Ausführungen von Nemi El-Hassan in der Berliner Zeitung, mithin auf ihre Sicht der Vorgänge und ihre erste Erklärung seit dem Spiegel-Interview Mitte September.
Die zentralen Punkte des Beitrags lassen sich so zusammenfassen: Das Ganze sei ausschließlich eine rassistische Kampagne rechter Youtuber und der Bild-Zeitung gewesen; der Antisemitismusvorwurf gegen sie sei nur vorgeschoben und instrumentalisiert worden, in Wirklichkeit habe man etwas gegen sie, weil sie Palästinenserin und Muslimin sei.
Außerdem habe man vom Antisemitismus der Deutschen ablenken wollen und ihn deshalb auf Palästinenser und Muslime projiziert. Der WDR habe sich der Bild-Zeitung angeschlossen, um aus der Schusslinie zu kommen.
Sie selbst sei nun mal palästinensisch und habe aufgrund ihrer Familiengeschichte ein Problem mit Israel, aber es gebe ja auch Juden und jüdische Organisationen, die genauso dächten wie sie und die BDS-Bewegung unterstützten. Als sie den Instagram-Beitrag über die Flucht der verurteilten palästinensischen Häftlinge aus einem israelischen Gefängnis gelikt habe, sei ihr nicht bekannt gewesen, dass es sich dabei um verurteilte Terroristen und Mörder handelte.
Dass sie Palästinenserin sei, beeinflusse ihre Weltsicht; dass ihre Perspektive als Frau mit palästinensischen Wurzeln ausgeblendet werde, sei schmerzhaft, aber ihre Identität wolle sie nicht verleugnen, auch wenn sie „im Land der Täter qua Geburt zur Antisemitin erklärt werden sollte“.
Womit El-Hassan Recht hat
Tatsächlich gab es eine Kampagne rechter Youtuber gegen Nemi El-Hassan, und dass diese Szene den Antisemitismus nur zu gerne externalisiert und ausschließlich bei Muslimen verortet, um vom eigenen Hass gegen Juden abzulenken, ist eine zutreffende Feststellung.
Selbstverständlich ist die dagegen gerichtete Kritik berechtigt, und genauso selbstverständlich ist El-Hassan gegen rassistische Angriffe in Schutz zu nehmen. Zudem hat sie sich glaubwürdig vom stramm islamistischen Milieu rund um den Al-Quds-Tag und das Islamische Zentrum Hamburg distanziert, dem sie noch vor einigen Jahren angehörte. Den Hijab hat sie abgelegt. Eine Islamistin ist sie also nicht mehr.
Doch Nemi El-Hassan liegt daneben, wenn sie dem inzwischen abgesetzten Bild-Chefredakteur Julian Reichelt vorwirft, „in einer biologistisch anmutenden Zuschreibung“ insinuiert zu haben, ihr fehle die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Denken, weil sie Muslimin sei und palästinensische Wurzeln habe.
Als Bild einen „Islamismus-Skandal“ verkündete, bezog sich das nicht zuletzt auf die Teilnahme von El-Hassan am antisemitischen Al-Quds-Marsch in Berlin im Jahr 2014 und weitere problematische Aktivitäten und Äußerungen. Es ging also um kritikwürdige politische Inhalte, nicht um die Religionszugehörigkeit oder die „Biologie“ der Journalistin, die übrigens im brandenburgischen Bad Saarow geboren wurde, in Fürstenwalde an der Spree aufwuchs und in Berlin studierte.
Nemi El-Hassan ist nicht nur Opfer
Davon abgesehen unterschlägt Nemi El-Hassan, dass die Kritik an ihrer Haltung, die sie auch nach ihrer Distanzierung im Spiegel gegenüber dem jüdischen Staat einnahm, keineswegs nur von der Bild-Zeitung kam, sondern beispielsweise auch vom Zentralrat der Juden, in der linken Wochenzeitung Jungle World oder hier bei Mena-Watch geäußert wurde.
Es ist eine Kritik, die nicht dadurch unwahr oder weniger relevant wird, dass rechte Kräfte und eine Boulevardzeitung El-Hassan teilweise aus anderen, abzulehnenden Motiven angegangen sind. Sie wird durch rassistische Angriffe nicht hinfällig und dient auch keineswegs bloß der Denunziation. Nemi El-Hassan ist in der Causa nicht nur Opfer, auch wenn sie selbst das so sieht und darstellt.
In ihrem Text wird letztlich nicht klar, ob sie aufgrund ihrer palästinensischen Wurzeln oder Identität, die sie mehrmals hervorhebt, nun eigentlich gleich oder doch anders behandelt werden möchte.
Sie verwahrt sich einerseits dagegen, mit anderem Maß gemessen zu werden als Deutsche ohne familiären Migrationshintergrund, legt andererseits aber großen Wert darauf, „sich immer wieder über ihre palästinensische Herkunft zu identifizieren und die Vorwürfe dadurch zu relativieren“, wie Ioannis Dimopulos in einem lesenswerten Beitrag für das Webportal Ruhrbarone schreibt.
Auch sei es, so Dimopulos weiter, „heuchlerisch, einerseits den Vorwurf des Biologismus zu tätigen, andererseits aber auf die eigenen ethnischen und religiösen Hintergründe zu rekurrieren, um sich zu rechtfertigen“.
Womit sich El-Hassan gegen Kritik zu imprägnieren versucht
Nemi El-Hassan setzt ganz offen darauf, dass ihre palästinensischen Wurzeln und ihre Familiengeschichte ausreichen, um sie gegen die Vorhaltung zu immunisieren, dass Ansichten und Äußerungen von ihr über Israel antisemitisch sind. Damit aber kehrt sie nur das um, was sie an den Rassisten zu Recht beanstandet: Diese halten sie aufgrund ihrer Wurzeln gewissermaßen für eine geborene Antisemitin.
Beides ist Unsinn. Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem und Phänomen, und ob eine Äußerung oder Handlung antisemitisch ist, bemisst sich nicht an der Religion, den Wurzeln oder der Nationalität. Sondern vor allem daran, was jemand denkt, sagt und tut.
Es sorgt auch nicht zwangsläufig für eine Imprägnierung, wenn es Juden oder jüdische Gruppen gibt, die dem oder der Betreffenden zur Seite springen oder Ähnliches von sich geben wie er oder sie.
Deshalb ist El-Hassans Berufung auf die Jewish Voice for Peace oder auf Avi Primor und Moshe Zimmermann erst einmal nichts weiter als die Inanspruchnahme von Kronzeugen. (Ein beliebtes Vorgehen von „Israelkritikern“ jeglicher Couleur; selbst die Veranstalter des Al-Quds-Tages in Berlin mögen nicht darauf verzichten und bieten jedes Mal ein paar Exemplare der religiös-antizionistischen jüdischen Neturei-Karta-Sekte auf.)
Dass es andere jüdische Stimmen gibt – etwa jene des Zentralrats der Juden in Deutschland –, die es befürwortet haben, dass der WDR die Beschäftigung von El-Hassan überdenken wollte, erwähnt sie in ihrem Text nicht.
Erstaunliche Verzerrung von Tatsachen
Erstaunlich ist, was sie zu ihrem „Like“ für jenes Instagram-Posting zu sagen hat, in dem der Ausbruch von sechs palästinensischen Häftlingen aus einem israelischen Gefängnis als „Akt der Selbstbefreiung“ und „unglaubliche Heldentat“ bezeichnet wird.
Bei den Inhaftierten handelt es sich um Mitglieder der Terrororganisationen Islamischer Jihad respektive Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden. Aus dem Posting sei aber nicht ersichtlich gewesen, „weshalb diese überhaupt im Gefängnis saßen“; diese Auslassung hätten ihre Kritiker „mutwillig verschwiegen, um mir eine Affinität zu Gewalttaten unterstellen zu können“.
Eine einigermaßen befremdliche Verzerrung der Tatsachen. Nemi El-Hassan ist Journalistin, zu ihren Aufgaben gehört die Recherche, die in diesem Fall rasch für Klarheit gesorgt hätte. Schon deshalb ist die Beteuerung, nicht gewusst zu haben, weshalb die Männer inhaftiert waren, eine schwache Ausrede.
Doch selbst wenn man als mildernden Umstand gelten lässt, dass „Likes“ in sozialen Netzwerken schon mal schnell und unüberlegt vergeben werden, stellt sich doch die Frage, warum El-Hassan offenbar gar nicht wissen wollte, weshalb die Häftlinge einsaßen. Weil es immer ein Grund zur Freude ist, wenn Palästinenser aus israelischen Gefängnissen fliehen, selbst wenn sie schwerste Straftaten begangen haben?
Israelfeindliches Mindset als Kernproblem
Eine andere Deutung ist schlechterdings kaum denkbar, und der Vorgang macht einmal mehr deutlich, dass Nemi El-Hassan auch nach ihrer Distanzierung vom Islamismus ihr israelfeindliches Mindset behalten hat.
Der deutsch-türkische Jurist und frühere DITIB-Funktionär Murat Kayman, der dem Islamismus ebenfalls den Rücken gekehrt hat, kritisiert sie deshalb auf Twitter scharf und spricht ein Problem an, das aus seiner Sicht ein grundsätzliches ist:
„Unter uns Muslimen, insbesondere palästinensischen, gibt es keine Diskussion darüber, was Kritik an israelischer Regierungspolitik von Judenhass unterscheidet. Denn Israel ist immer nur die Manifestation ‚des Juden‘. Israelisches Regierungshandeln, militärische Maßnahmen sind immer deshalb Unrecht, weil es ‚der Jude‘ ist, der handelt.
Besatzung meint nicht die Grenzen, sondern immer die pure Existenz Israels. Free Palestine meint immer die Vertreibung aller Juden aus dem gesamten Gebiet Palästina. Militärische Asymmetrie meint, jedes Mittel, jede Form der Gewalt gegen alle Juden ist legitim. Denn konventionell ist der Konflikt für die palästinensische Seite militärisch nicht zu gewinnen.
Weil in dieser Gedankenwelt ‚der Jude‘ gemäß seiner Natur immer ungerecht handelt, ist das Handeln der eigenen palästinensischen Seite zwingend immer als Reaktion auf das jüdische Unrecht legitim.“
Der WDR widerspricht entschieden
Nemi El-Hassan hingegen glaubt, dass es in Deutschland einen weitgehenden pro-israelischen Konsens gibt und „allein unsere bloße Existenz in diesem Land eine Provokation darstellt“. Ihre Eltern hätten ihr „stets eingebläut zu schweigen, wann immer es um Nahost geht“; Solidarität „mit den palästinensischen Menschen in Nahost“ sei unerwünscht.
Das sind angesichts der Tatsache, dass die „Israelkritik“ in Deutschland eine Art Volkssport darstellt und der israelbezogene Antisemitismus weit verbreitet ist, höchst fragliche Einschätzungen, die aber zu El-Hassans Weltsicht passen. Dabei ist ein Entschluss wie jener des WDR keineswegs die Regel.
Der Sender widerspricht El-Hassans Vorwürfen in seiner Erklärung übrigens entschieden. Die Behauptung, er mache die Moderatorinnen-Auswahl von einer Bild-Kampagne abhängig, sei unsinnig. Unabhängig vom öffentlichen Druck habe man „sorgfältig und umfangreich beraten, weil die Verantwortlichen den beruflichen Weg der jungen Journalistin nicht leichtfertig behindern, sondern ihr eine Chance geben wollten“.
Ausschlaggebend für den WDR sei El-Hassans „Verhalten in den sozialen Netzwerken und der Umgang damit gegenüber dem WDR“ gewesen. Relevante Informationen wie zum Beispiel das Löschen von Likes habe der WDR erst aus den Medien erfahren, „obwohl er mit Nemi El-Hassan im intensiven Austausch war“. Das habe von Beginn an das Vertrauensverhältnis belastet. Nun ist es beendet.