Seltsamerweise ist in der Kritik an Nemi El-Hassans Teilnahme am Al-Quds-Marsch das Verhältnis der deutschen Politik zu den Teheraner Initiatoren dieser antisemitischen Demonstration kein Thema.
Andreas Benl
Der Fall Nemi El-Hassan schlägt publizistische Wellen. Das Moratorium des WDR gegen die geplante Anstellung von El-Hassan als Moderatorin wegen ihrer Teilnahme am antisemitischen Qudsmarsch in 2014 wird breit kommentiert.
Für die Welt musste sich El-Hassan in ihren antiisraelischen Positionen bestätigt fühlen, da weder Medien noch Politik diese kritisierten und El-Hassan stattdessen förderten. Andere vermuten eine unlautere Kampagne des Springerkonzerns, eine rassistisch motivierte Überreaktion der Mehrheitsgesellschaft, gar Cancel Culture gegen muslimische Frauen.
So läuft eine routinierte Auseinandersetzung zwischen dem bürgerlichen und dem linksliberalen Lager über den Umgang mit der muslimischen Minderheit ab, in dem die Rolle der Mehrheitsgesellschaft eine Black Box bleibt. Dabei ist El-Hassans politisch-publizistische Karriere ohne diesen Kontext nicht zu verstehen.
In einem Interview mit der taz von 2015 beschrieb El-Hassan einen Besuch in der „Blauen Moschee“, dem Träger des „Islamischen Zentrums Hamburg“ (IZH), als Ausgangspunkt ihrer religiösen Entwicklung. Das IZH wird bekanntlich seit langem vom Verfassungsschutz als wichtigster Außenposten des iranischen Regimes in Europa gesehen und ist zentral an der Organisation der alljährlichen Qudsmärsche beteiligt. Trotzdem ist das IZH nach wie vor in die Staatsverträge der Hamburger Bürgerschaft mit den muslimischen Verbänden integriert.
El-Hassans Verteidiger führen entschuldigend alle möglichen politischen Vergehen nichtmuslimischer Deutscher an, die deren Karrieren auch keinen Abbruch getan hätten. Seltsamerweise ist das Verhältnis der deutschen Politik zu den Teheraner Initiatoren der antisemitischen Qudsmärsche nicht Teil der Vorwürfe. Dieses Verhältnis kann El-Hassan in keiner Weise von der Verantwortung für ihr politisches Handeln freisprechen – allerdings zeigt es, dass der aktuelle Fall eher ein Symptom eines viel größeren Problems ist. Hier seien nur einige Schlaglichter genannt:
- Sigmar Gabriel hat 2017 den Qudstag-Marschierer und -Mitorganisator Hamidreza Torabi zu einer Konferenz ins Auswärtige Amt eingeladen.
- Bundespräsident Steinmeier die Führungsriege der mit dem IZH verbundenen „Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden“ (IGS) 2018 nach Schloss Bellevue.
- Heiko Maas warnt vor Hoffnungen auf einen Regime-Change im Iran.
- 2015 wurde kurz nach dem Charlie Hebdo-Massaker unter Aufbietung akademischer Prominenz im IZH eine vermeintliche Antiextremismus-Konferenz abgehalten.
- Joschka Fischer erklärte den Mullahs schon vor fast 20 Jahren: „Wir Europäer haben unseren iranischen Partnern immer geraten, uns als Schutzschild im wohlverstandenen eigenen Interesse zu begreifen.“
Man sollte sich keine Illusionen machen, es handele sich hier um ein ausschließlich rot-grünes Problem.
- Der schwarz-gelbe „kritische Dialog“ der 80er/90er mit Teheran spricht Bände.
- Armin Laschet hat bei einem Triell Druck auf die Islamische Republik wortreich eine Absage erteilt.
- Die ‚Islamkritiker’ von der AfD liegen da weitgehend auf Linie, manchmal übertreffen sie die anderen Parteien sogar mit Forderungen wie: „Stabiles Mullah-Regime statt Bürgerkrieg im Iran“.
Die Schirmherrschaft über die brutalsten und gefährlichsten Antisemiten des 21. Jahrhunderts, die Scholz unten sinnbildlich ausdrückt, kennt mit wenigen Ausnahmen keine Parteien, sondern nur Deutsche.
Die Forderung an Nemi El-Hassan, sich glaubhaft von der Islamischen Republik, deren Antisemitismus und von ihren Menschheitsverbrechen gegen die Bevölkerung des Iran und der Region zu distanzieren, war und ist völlig richtig. Man sollte darüber nur nicht vergessen, dass die Entschuldigungen für die empörende jahrzehntelange Unterstützung der Henker in Teheran durch deutsche Regierungen – und vor allem die Abkehr von dieser Politik – immer noch ausstehen.
Der Artikel ist zuerst auf JungleBlog erschienen.