Die von einem klerikalen Rat der Muslimbruderschaft erlassene Fatwa bezeichnet Israel als ungläubigen Feind und den bewaffneten Dschihad gegen Israel als Pflicht aller Muslime.
Die Internationale Union der muslimischen Gelehrten (IUSM) hat eine Fatwa veröffentlicht, in der zum »bewaffneten Dschihad« gegen Israel aufgerufen und die Normalisierung der Beziehungen mit dem jüdischen Staat verboten wird. Das auf der Website der Organisation und dem offiziellen X-Account ihres Präsidenten, Scheich Ali al-Qaradaghi, veröffentlichte Rechtsgutachten stellt eine der markantesten theologischen Erklärungen dar, die von einer internationalen islamistischen Organisation während des aktuellen Gaza-Konflikts bislang publiziert wurde.
Die IUSM mit Hauptsitz in Doha und einer weiteren Niederlassung in Istanbul wurde 2004 vom 2022 verstorbenen Scheich Yousef al-Qaradawi gegründet, einem berühmt-berüchtigten Geistlichen, der jahrelang die Muslimbruderschaft anführte und für seine Unterstützung und Förderung der Selbstmordanschläge der Hamas gegen israelische Zivilisten bekannt war.
Anfang dieser Woche erarbeitete das »Ijtihad and Fatwa Committee« der IUSM das Edikt, das sich mit dem befasst, was es als »anhaltende Aggression gegen Gaza« bezeichnet. Die Erklärung enthält mehrere umfangreiche Forderungen, darunter den Aufruf zu einer vollständigen Belagerung Israels »zu Land, zu Wasser und in der Luft«, während gleichzeitig zu einer »sofortigen militärischen Intervention islamischer Länder« aufgerufen wird, um den »bewaffneten Kampf der Palästinenser« militärisch, ökonomisch und diplomatisch zu unterstützen.
Im Januar 2024 hatte Ismail Hanyieh, der damalige Führer der Hamas, die der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft ist, auf der IUMS-Konferenz in Doha in ganz ähnlicher Weise davon gesprochen, dass es drei Arten des Dschihads gebe: den politischen, den finanziellen und den militärischen. Die Zeit für den gemeinsamen Kampf gegen Israel sei reif, weswegen die islamische Gemeinschaft diese Gelegenheit auch nicht vorübergehen lassen dürfe, erklärte Haniyeh damals.
Boykottaufruf
In ihrer aktuellen Fatwa zitierten die Religionsgelehrten die von der Hamas für den Gazastreifen gemeldeten Opferzahlen und beschrieben die Situation als »methodischen Völkermord, der mit ausdrücklicher Unterstützung der Vereinigten Staaten begangen wird, während die arabischen Nationen in der gesamten islamischen Welt schweigen und passiv bleiben«. Auffallend ist, dass die Fatwa »den Feind«, also Israel, als »Kafir« oder Ungläubigen einstuft, was in krassem Gegensatz zu einigen anderen traditionellen Ansichten des Islams steht, wonach das Judentum Teil des »Volks des Buches« ist.
In wirtschaftlicher Hinsicht bekräftigte der Rat frühere Positionen, indem er Boykotte gegen »Unternehmen, welche die zionistische Entität unterstützen«, befürwortete und erklärte, dass wohlhabende Muslime »sich durch finanzielle Mittel am Dschihad beteiligen und Kämpfer ausrüsten« müssen.
Die Haltung des Rats erstreckt sich auch auf kommerzielle Maßnahmen und erklärt es für religiös verboten, Israel mit »Erdöl, Erdgas und allen Waren, die bei seiner Militärkampagne helfen«, zu beliefern, einschließlich »Nahrung und Getränke, während die Bevölkerung von Gaza hungert«.
Zu den politisch ambitionierteren Elementen des Urteils gehört die Aufforderung an arabische und islamische Länder, »eine konsolidierte Militärkoalition zur Sicherung islamischer Gebiete zu bilden«, was der Rat als »unbedingte Verpflichtung, die keinen Aufschub erlaubt«, bezeichnet.
Die Fatwa befasst sich auch mit geopolitischen Aspekten und fordert Nationen, die diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten, auf, »diese Vereinbarungen neu zu bewerten und entsprechend Druck auszuüben«, und verbietet ausdrücklich »eine Normalisierung mit der zionistischen Besatzungsmacht in jeglicher Form«.
Hamas-Ideologie
Trotz des weitreichenden Einflusses und der zentralen Rolle der IUMS in der Welt der islamistischen Bewegungen standen andere Gruppierungen dem Edikt eher zögerlich gegenüber. So behauptete beispielsweise Ägyptens Dar al-Ifta, das islamische Beratungs- und Regierungsgremium des Landes, dass gemäß der Scharia diejenigen, die zum bewaffneten Dschihad aufrufen, auch persönlich daran teilnehmen müssen, und fügte hinzu, dass »der Aufruf zum Dschihad ohne Berücksichtigung der Fähigkeiten der islamischen Gemeinschaft und ihrer politischen, militärischen und wirtschaftlichen Realität ein unverantwortlicher Aufruf ist, der den Grundsätzen des islamischen Rechts widerspricht«.
Auf die Frage nach der Bedeutung der neuen Fatwa betonte die Expertin für Scharia und jüdisch-islamische Beziehungen Nesya Shemer, dass sie die Linie fortsetze, welche die IUMS seit Beginn des Kriegs verfolge. »Obwohl die unmittelbaren Auswirkungen dieser Fatwa noch nicht vollständig klar sind, wächst die Befürchtung, dass sich das Gutachten zu einem globalen Religionskrieg gegen Juden auf der ganzen Welt ausweiten könnte, der sich direkt auf das Leben jüdischer Gemeinden im Ausland auswirken wird.«
Die Fatwa zeige, dass die Hamas »nicht nur eine kleine Terrororganisation ist, die vom Gazastreifen aus operiert, sondern von internationalen muslimischen Gremien und Organisationen unterstützt wird, die dieselbe Ideologie vertreten. Der Umgang mit der Hamas ist in der Tat der Umgang mit derselben islamistischen Ideologie, die international und in der muslimischen Welt weit verbreitet ist.«