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Moskau verliert die Kontrolle. Zur Vorgeschichte des Sechs-Tage Krieges. Teil II

Nikita Chruschtschow 1964 auf Staatsbesuch bei Gamal Abdel Nasser in Ägypten

1967 trug die sowjetische Führung erheblich zum Ausbruch des Sechs-Tage Krieges bei. Zum einen hatte sie seit 1955 die arabischen Staaten mit Riesenmengen an Waffen, darunter moderne Kampfflieger, U-Boote und Panzer ausgestattet. Das Gros dieser Waffen wurde geliefert, nachdem eine arabische Gipfelkonferenz im Januar 1964 in Kairo ein Programm zur „Befreiung vom Druck des zionistischen Imperialismus“ beschlossen hatte.[1] Zum anderen trug die sowjetische Propaganda über die angeblich „pro-imperialistische Politik  Israels“ zur Kriegsstimmung bei.[2]

Schließlich aber war es der Kreml, der wider besseres Wissens die verhängnisvolle Lüge von israelischen Truppenaufmärschen und Angriffsdrohungen gegen Syrien verbreitete; eine Lüge, die Nasser zum Vorwand nahm, um auf Kriegskurs gegen Israel zu gehen,  eine Lüge auf die sich Präsident Nasser selbst nach der ägyptischen Niederlage zur Rechtfertigung seiner Politik noch bezog. „Am Anfang stand das feindliche [also: israelische] Vorhaben einer Invasion nach Syrien“, erklärte er am 9. Juni. „Unsere Freunde in der Sowjetunion warnten die parlamentarische Delegation, die Moskau besuchte, dass es einen vorsätzlichen Plan gegen Syrien gab. Wir hielten es für unsere Pflicht, dies nicht schweigend hinzunehmen.“[3]

Doch bereits 1968 bezeichnete Shams al Badran, Ägyptens Verteidigungsminister während des Sechs-Tage Kriegs, dieses Gerücht als „Halluzination“.[4] 1992 gaben auch Regierungsbeamte und Wissenschaftler in Moskau zu, dass das Aufmarsch-Szenario von 1967 erfunden gewesen war.[5]

So sehr die sowjetische Führung den Sechs-Tage Krieg mit auszulösen half, so sehr war sie seit dem Beginn des Krieges am 5. Juni darum bemüht, ihn einzudämmen. Moskau unterstützte zwar den Aufmarsch ägyptischer Truppenverbände auf dem Sinai. Dass dann aber Nasser die UN-Friedenstruppen vom Sinai entfernen und die Straße von Tiran für den israelischen Verkehr sperren ließ, hatte auch den Kreml überrascht.[6] Mit der Sperrung der Wasserstraße lag die Gefahr eines heißen Nahostkrieges in der Luft – eines Krieges den die Sowjetunion schon deshalb nicht wollte, weil ihr der marode Zustand der ägyptischen Streitkräfte bekannt war.[7] So war es Moskau, das am Morgen des 5. Juni den heißen Draht nach Washington aktivierte, um die selbst gezündeten Flammen soweit wie möglich auszutreten. Nassers Aufforderung, ihm noch während des Krieges neue Waffen zu schicken, lehnte der Kreml ab.[8]

Wie ist die widersprüchliche Haltung Moskaus im Sechs-Tage Krieg zu erklären? Ein Blick auf die Geschichte der sowjetischen Nahost-Politik wird bei der Beantwortung dieser Frage helfen.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich die sowjetische Nahostpolitik durch eine wohlwollende oder neutrale Haltung Israel gegenüber aus. Der Kreml unterstützte die Gründung des jüdischen Staates, verurteilte 1948 den Einmarsch der arabischen Armeen in Palästina und macht diese Aggression für das Los der palästinensischen Flüchtlinge verantwortlich. Später verfolgte Moskau einen neutralen Kurs. So enthielt sich die Sowjetunion zwischen 1949 und 1952 bei allen UN-Abstimmungen zum Nahostkonflikt der Stimme.[9]

Moskau verliert die Kontrolle. Zur Vorgeschichte des Sechs-Tage Krieges. Teil II
Nasser bei den Maifeierlichleiten 1958 in Moskau

Die erste Krise erlebten die sowjetisch-israelischen Beziehungen Anfang 1953 im Zusammenhang mit  Stalins antisemitischer Wahnidee von einer „Ärzteverschwörung“, derzufolge „zionistische Spione“ der Sowjetführung nach dem Leben trachteten. Stalin starb im März 1953. Sein Nachfolger Nikita Chruchtschow entlarvte das Ärztegerücht als Lüge und nahm die zwischenzeitlich unterbrochenen Beziehungen zu Israel wieder auf. Im Unterschied zu Stalin verfolgte Chruschtschow jedoch eine konsequent pro-arabische Linie, die den Anti-Israelismus in diesem neuen Kontext stärkte.[10] Die großen Wende der sowjetischen Nahostpolitik fand im September 1955 statt, als Ägypten erstmals Waffenlieferungen mit der Sowjetunion und der Tschechoslowakei vereinbarte.

Zwar versuchte anfänglich der Kreml, jedweden Zusammenhang zwischen dem Nahost-Konflikt und dem Waffendeal zu dementieren.[11] Mehr noch: Wann immer die sowjetischen Medien über Nasser berichteten, ließen sie dessen anti-israelischen Tiraden, so als sei ihnen dieses Kapitel peinlich, aus. Doch schloss die nun beginnende Freundschaft mit Syrien und Ägypten positive Beziehungen mit Israel aus. Ende 1955 war es schließlich soweit: Jetzt ergriff Moskau gegen Israel auch offen Partei.[12] In einem nächsten Schritt wurde die Geschichte „korrigiert“: Moskaus Parteinahme für Israel im 1948er Krieg wurde aus der historischen Erinnerung gelöscht und mit einer neuen Lesart überschrieben. Von nun an wurde der jüdische Staat für den Ausbruch der Kämpfe von 1948 gegen „die junge arabische Nationalbewegung“ verantwortlich gemacht.[13]

Es war nicht so sehr der Antizionismus, der den Kreml auf die arabische Seite trieb: Forderungen, die auf die Auslöschung Israels zielten, begegnete die Sowjetunion mit Distanz. Sondern im Vordergrund stand das Kräftemessen mit den USA, der Kalte Krieg. „Als sich Moskau zwischen den arabischen Staaten und Israel entscheiden musste, wählte es die stärkeren Bataillione“, erläutert Walter Laqueur. „Man sollte die antijüdischen Vorurteile der sowjetischen Führung nicht unterschätzen, doch was in letzter Instanz die Annäherung zwischen Moskau und Jerusalem verhinderte, war nicht der Antisemitismus, sondern die simple Tatsache, dass Israel so klein war.“[14]

Moskau verliert die Kontrolle. Zur Vorgeschichte des Sechs-Tage Krieges. Teil II
Nasser und UNO-Generalsekretär U-Thant im Mai 1967

So ist das Hin- und Her der Sowjetunion im Kontext des Sechs-Tage Krieges zu erklären. Während Nasser dazu aufrief, den jüdischen Staat zu zerstören, verfolgte die Sowjetunion ein anderes Ziel. Sie wollte die israelische Führung durch Aufbau einer Droh- und Druckkulisse dazu zwingen, sich auf die im UN-Teilungsplan von 1947 festgelegten Grenzen zurückzuziehen.[15] Mit seinen gezielten Falschmeldungen über israelische Truppenstationierungen an der Syrien-Grenze schuf der Kreml den Vorwand, um durch ägyptische Truppenstationierungen auf dem Sinai die Situation kalkuliert zu eskalieren.[16]

Dann aber scherte Gamal Abdel Nasser aus. Mit der Entfernung der UN-Friedenstruppen und der Sperrung der Meerenge von Tiran geriet das im Kreml ausgetüftelte Szenario aus dem Ruder. Nun drohte eine unkalkulierbare Eskalation. Die Sowjetunion bekam die Quittung für ihr gefährliches Spiel und beeilte sich, die Lage, soweit noch möglich, zu entspannen.

Dies aber zeigt, dass der ägyptische Präsident für den Eskalationskurs von Mai 1967 verantwortlich gemacht werden muss. Warum aber wollte Nasser, der charismatische Führer der Blockfreien-Bewegung, Israel zerstören? Der dritte und letzte Teil dieser Reihe wird sich um eine Antwort bemühen. (Der erste Teil erschien am 15. Mai 2017 unter dem Titel: „Ein Gerücht und seine Folgen – Zur Vorgeschichte des Sechs-Tage-Krieges. Teil I“)

Anmerkungen:

[1] Keesings Archiv der Gegenwart (AdG), 29. Januar 1964, S. 11035.

[2] Beispiele dieser Propaganda finden sich in: Ministry for Foreign Affairs, The USSR and Arab Belligerency, Jerusalem 1967.

[3] Walter Laqueur, The Road to War 1967, London 1968, S. 312.

[4] New York Times, 3. März 1968, zitiert nach Walter Laqueur, The Struggle for the Middle East. The Soviet Union and the Middle East 1958-68, London 1969, S. 52.

[5] Richard B. Parker, The June 1967 War: Some Mysteries Explored, Middle East Journal, Vol. 46, No. 2, Spring 1992, S. 181.

[6] Jon D. Glassman, Arms for the Arabs. The Soviet Union and War in the Middle East, Baltimore and London 1975, S. 40f.

[7] Yaacov Ro’i, From Encroachment To Involvement. A Documentary Study of Soviet Policy in the Middle East, 1945-1973, Jerusalem 1974, S. 437.

[8] Robert Stephens, Nasser, A Political Biography, London 1971, S. 490 und Glassman, a.a.O., S. 22.

[9] Ro’i, a.a.O., S. 116.

[10] Robert Wistrich, From Ambivalenz to Betrayal. The Left, the Jews, and Israel, Lincoln and London 2012, S. 430.

[11] Walter Laqueur, The Struggle for the Middle East. The Soviet Union and the Middle East 1958-68, London 1969, S. 10.

[12] Walter Z. Laqueur, The Soviet Union and the Middle East, London 1959, S. 223.

[13] Laqueur 1959, a.a.O., S. 147.

[14] Laqueur 1969, S. 182.

[15] Ro’i, a.a.O., S. 440.

[16] Eine zusätzliche, durchaus plausible These hinsichtlich des sowjetischen Motivs für die Verbreitung des Gerüchts liefert der israelische Russlandforscher Yaacov Ro’i: „During the visit of Foreign Minister Gromyko to the U.A.R. from 29 March to 1 April 1967, the Soviet side seems in fact to have discussed first and foremost the implications of the Soviet-Yemeni treaty of 21 March, the most important of which was the urgency of a total Egyptian evacuation from Yemen. The Soviets had apparently worked out an elaborate strategic plan to enable the Egyptians to leave Yemen without harming their prestige, the main facet of which was a demonstration of the need of a large Egyptian force in the Sinai Penisula. …. The final step taken by the Soviets in setting the stage was made during the visit to the U.S.S.R. from 27 April to 14 May of an Egyptian parliamentary delegation, headed by National Assembly Chairman Anwar as-Sadat. Nikolai Podgornyi, Chairman of the Presidium of the U.S.S.R. Supreme Soviet, told this delegation at a reception on 11 May that Israeli troops were being concentrated on the Syrian border for an attack on Syria. This information was designed to provide the mise-en-scène for the evacuation of Yemen by compelling the Egyptians to come to the defense to the Syrians, or, perhaps, to be more precise, to provide a cover for their doing so. It is not unlikely that the Soviet leadership hoped, too, that the Egyptians’ invocation of their defense agreement with Syria would strengthen the Syrian regime and divert public attention from the disturbances that were troubling the Syrian cities in early May 1967.” (Ro’i, a.a.O., S. 437.)

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