Nun sind die Zeiten der von oben angeleiteten Israelkritik ausgebrochen. In Deutschland will man nicht mehr schweigen. Im Deutschlandfunk geht man einen Schritt weiter.
Im Deutschlandfunk (DLF) nutzen zwei altgediente Veteranen, DLF-Chefkorrespondent für Berlin Stephan Detjen und Universitätsprofessor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Matthias Goldmann – zwei, die Israelkritik professionell schon betrieben, lange bevor dies von ganz oben sanktioniert war – die Gunst der Stunde, um im Gespräch alle Punkte, die nun, da »die Samthandschuhe« gegen Israel (Focus) ausgezogen sind, viele Gemüter in der Republik bewegen.
Nach einem Parforceritt durch Völkerrecht, Staatsräson, internationalem Haftbefehl, das, was Israel mit Russland und dem Iran gemeinsam habe etc., kommen die beiden auch auf die Vergangenheitsbewältigung zu sprechen, jenes deutsche Meisterstück, auf das die Landsleute eigentlich fast so stolz sind wie auf ihre Stolpersteine. Aber auch die gehört, so die beiden Herren, nun ebenfalls dringend auf den Prüfstand.
Und da unterbreitet Matthias Goldmann gegen Ende des langen Gesprächs – die ganze Postkolonial-Debatte, warum die Shoa eigentlich nur ein Kolonialverbrechen unter vielen war, trägt Früchte – den Vorschlag, doch zu schauen, wie andere das so sehen, also den Blick über den Tellerrand zu werfen.
Mit dem Holocaust gegen Israel
Nicht nur, was Migranten zu sagen haben, sondern etwa auch – was läge naher? – die Iren. Deren Kolonialschicksal unter britischem Joch nämlich, man denke nur an die furchtbare Hungersnot, der Millionen zum Opfer fielen, erinnere doch ein wenig auch an das der Juden unter den Nationalsozialisten, weshalb in Irland traditionell auch eine antikoloniale Solidarität mit den Palästinensern herrsche. (Hier hätte Goldmann erwähnen können, dass dies ganz sicher für katholische Iren und die irische Republik gilt, während protestantische Nordiren es aus ähnlichen Gründen eher mit Israel halten, aber sei’s drum.)
Und, so fährt Goldmann fort, das zeichne die Iren wie seine deutschen Landsleute aus: Sie »stehen genauso wie wir hinter den Menschenrechten und der Demokratie«. Darum böte sich das Vorbild Irland auch förmlich an, um mit »ganz neuen Perspektiven« einen Diskurs über die Frage »Wo wollen wir eigentlich hin mit unserer Vergangenheitsbewältigung?« zu beginnen.
Denn, und genau das sollten »wir« uns doch nun, in diesen neuen Zeiten, in denen Deutschland sich aufmacht, das ›Geschichtsgefängnis der Hitler-Zeit‹ (sinngemäß auch der Focus) zu verlassen, exakt mit diesen Worten fragen: »Haben wir (mit dem Holocaust) eigentlich nicht einen ungesunden Umgang?«
Das dürfte es sein, und in Zeiten, in denen Gesundheit so wichtig ist, findet sich als nächstes dann hoffentlich ein »gesunder Umgang mit dem Holocaust«, ja, vielleicht sogar eine Volksgesundung.
Es wird spannend; und zum Glück werden wir bald mehr erfahren, denn DLF-Chefkorrespondent Detjen verspricht den geneigten Hörern, den Vorschlag, solch neue Aspekte »zur Bereicherung unseres Diskurses« über den Holocaust »im Deutschlandfunk bestimmt versuchen« zu wollen.