Morddrohungen für Solidarität mit Salman Rushdie

Solidariätsveranstaltung des PEN America mit Salman Rushdie in New York
Solidariätsveranstaltung des PEN America mit Salman Rushdie in New York (© Imago Images / ZUMA Wire)

Mehreren Freunden und Kollegen Rushdies, die ihre Solidarität mit dem bei einem Anschlag verletzten Autor erklärt hatten, wurde dafür mit Gewalt und sogar mit Mord gedroht.

Am Freitag, den 19. August, lasen zahlreiche berühmte Schriftsteller und Freunde von Salman Rushdie vor der New York Public Library in der 5th Avenue aus seinem Werk vor, um ihre Solidarität mit dem Schriftsteller zu zeigen, der eine Woche zuvor Opfer eines versuchten Mordanschlags geworden war. Das Motto der Veranstaltung, die von 11 bis 12 Uhr mittags dauerte, lautete: »Stand with Salman. Defend the Freedom to write.«(»Stellt euch hinter Salman. Verteidigt die Freiheit zu schreiben.«)

Am 12. August 2022 war der in Indien geborene britisch-amerikanische Autor Salman Rushdie während einer Veranstaltung in der Chautauqua Institution in Chautauqua, New York, mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt worden.

Kurz nach dem Angriff gaben Beamte der Strafverfolgungsbehörden bekannt, dass der Angreifer Hadi Matar, ein 24-jähriger Einwohner von New Jersey, festgenommen worden sei. Medien berichteten, dass Matar mit seinem Facebook-Konto, das kurz nach seiner Festnahme gesperrt wurde, (pro-)schiitischen Extremisten folgte, wie etwa Irans Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), das von den Vereinigten Staaten als Terrororganisation eingestuft wird.

Hunderte Teilnehmer

Hunderte Besucher folgten den Redebeiträgen und der Lesung in der New Yorker Innenstadt. Zu der Solidaritätsveranstaltung aufgerufen hatten die Schriftstellervereinigung PEN America, die New York Public Library und Rushdies Verlag Penguin Randomhouse. Unter den anwesenden Schriftstellern und Freunden Rushdies waren Paul Auster, Reginald Dwayne Betts, Tina Brown, Kiran Desai, Andrea Elliott, Jeffrey Eugenides, Amanda Foreman, Roya Hakakian, A. M. Homes, Siri Hustvedt, Hari Kunzru, Aasif Mandvi, Colum McCann, Andrew Solomon und Gay Talese.

In den Beiträgen wurde vor Angriffen auf die Redefreiheit und vor der Gefahr eines Einschüchterungseffekts gewarnt. Suzanne Nossel, CEO von PEN America und Autorin eines Buches über den Kampf für Redefreiheit (Dare to Speak: Defending Free Speech for All), erinnerte an den Fall der südafrikanischen Schriftstellerin und Psychologin Zainub Priya Dala, die, nachdem sie 2015 ihre Bewunderung für das Werk Salman Rushdies ausgedrückt hatte, Opfer von Anschlägen und Morddrohungen vonseiten muslimischer Extremisten wurde:

»Sie wurde von einem Mann angegriffen, der ein Messer an ihre Kehle hielt und ihr einen Pflasterstein auf den Kopf schlug. Dann wurde großer Druck auf sie ausgeübt, ihre Worte zu widerrufen und sich öffentlich zur Religion zu bekennen. Als sie sich weigerte, wurde sie mit Gewalt gegen ihren Willen in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen.

Dala wandte sich an Rushdie, der sofort tätig wurde. Er aktivierte PEN-Kollegen aus der ganzen Welt und stand kontinuierlich die ganze Nacht hindurch zu ihr in Kontakt. Er war ihre Rettungsleine, ihr Beichtvater, wie er es nannte. In einer Zeit, in der sie keine Freunde, keine Familie, keinen Arzt oder Anwalt hatte, dem sie trauen konnte, half er ihr, Stellungnahmen zu verfassen, und mobilisierte seine persönlichen Freunde. Da seine sichtbare Unterstützung die Situation noch weiter hätte eskalieren lassen können, half er im Stillen hinter den Kulissen.

Im Lauf von zweieinhalb Tagen erhielt ich über dreißig E-Mails von Salman, der unermüdlich arbeitete, bis die Schriftstellerin in Freiheit war. Für mich war es Teil des Jobs. Für ihn war es ein Akt des Gewissens. In all den Jahren des Verfolgens und Auflauerns haben die Ayatollahs und ihre Komplizen dieses Ziel gröblich unterschätzt. Nicht einmal eine Klinge an seiner Kehle konnte die Stimme von Salman Rushdie zum Schweigen bringen. Nicht für eine Minute, und bestimmt nicht für eine Woche.

Gestern hörten wir von Salman, der über die New Yorker Veranstaltung informiert war, er beabsichtige, sie als Stream zu verfolgen. Er kam mit einigen Ideen, was wir auswählen sollten. »Nimm das, Ayatollah! Nimm das, Angreifer!«

Jordanischer Ex-Minister verurteilt Rushdie

Währenddessen zeigen einige Reaktionen auf den versuchten Mordanschlag an Rushdie, dass manche radikalen Muslime auch mehr als dreißig Jahre nach Ajatollah Khomeinis Mordaufruf gegen Salman Rushdie den Schriftsteller immer noch für todeswürdig halten.

So schlug der bekannten indischen Journalistin Rana Ayyub, einer Kolumnistin der Washington Post und praktizierenden Muslimin, eine Welle des Hasses entgegen, nachdem sie getwittert hatte, sie bete »für eine schnelle Genesung« Rushdies. Ayyub wolle sich dem liberalen Westen anbiedern; für jemanden, der »Blasphemie« verbreite, dürften Muslime nicht beten, lauteten einige Kommentare ihrer Follower.

Als Ayyub ihren Tweet bald darauf löschte, wurde das von islamistischen Bloggern mit Genugtuung aufgenommen, während Kritiker Ayyubs ihr vorwarfen, vor dem Druck der Islamisten kapituliert zu haben. Ayyub bestritt Letzteres und behauptete, den Tweet gelöscht zu haben, weil »Trolle« ihr einen »Grammatikfehler« angekreidet hätten. Dass Salman Rushdie nach Angaben seines Agenten »auf dem Weg der Besserung« sei, bezeichnete Ayyub in einem nachfolgenden Tweet als »gute Nachricht«.

Der frühere jordanische Kultur- und Informationsminister Saleh Al-Qallab hingegen nahm den versuchten Mord an Rushdie zum Anlass, diesen ein weiteres Mal zu verurteilen. In einem Beitrag, der auf der saudi-arabischen Website elaph.com erschien und von MEMRI ins Englische übersetzt wurde, schrieb der Ex-Minister:

»Das Buch Die Satanischen Verse des britischen Autors Salman Rushdie – ein Muslim indischer Herkunft – kann im wahrsten Sinne des Wortes als Selbstmordakt definiert werden, weil dieses Buch eine [Art von] Mut enthielt, der nicht literarisch ist, sondern einen heftigen Widerstand gegen den Islam und die Muslime darstellt.«

Der Versuch, auf diese »kriminelle Weise Ruhm zu erlangen«, sei »nicht auf Salman Rushdie beschränkt«, so Al-Qallab. Menschen mit einem »Minderwertigkeitskomplex« und »Gier nach Ruhm« würden diese »schreckliche Methoden« anwenden, »um Ruhm zu erlangen und sich zu vermarkten«.

Wie die britische BBC berichtet, erhält auch die für ihre Harry Potter-Bücher bekannte britische Schriftstellerin Joanne Kathleen Rowling Morddrohungen in Zusammenhang mit dem Anschlag auf Rushdie. Nachdem sie ihrem Schriftstellerkollegen ebenfalls auf Twitter eine schnelle Genesung gewünscht hatte, bekam sie eine Textnachricht mit den Worten »Keine Sorge, du bist die nächste«. Die Polizei ermittelt. Wie die BBC weiter berichtet, wurde von demselben Twitter-Account auch der Täter Hadi Matar gepriesen.

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