Mohammed Dahlan, Gazas Regent im Wartestand?

Anhänger von Mohammed Dahlan protestieren im Gazastreifen gegen PA-Präsident Mahmoud Abbas
Anhänger von Mohammed Dahlan protestieren im Gazastreifen gegen PA-Präsident Mahmoud Abbas (© Imago Images / ZUMA Press)

Während über ein Waffenstillstandsabkommen für Gaza verhandelt wird, spekulieren die Medien darüber, ob damit die Stunde Mohammed Dahlans kommen wird.

Am 24. Juli postete Mohammed Dahlan, über den die Gerüchteküche brodelt, die USA würden ihn gerne zum Chef einer Nachkriegsverwaltung im Gazastreifen ernennen, auf seinem X-Account im Majestätsplural: »In den Medien wurden wiederholt verschiedene Szenarien über die Vorbereitungen für den ›Tag danach‹ nach Israels verheerendem Krieg gegen den Gazastreifen vorgestellt oder geleakt. Manchmal wird unser Name verwendet, um das Publikum zu begeistern. Deshalb bekräftigen wir noch einmal: Unsere höchste Priorität ist es jetzt, den Krieg zu beenden. Wir werden keine Entscheidung unterstützen, die nicht auf der Grundlage eines nationalen palästinensischen Verständnisses [in einem transparenten demokratischen Prozess] getroffen wurde. Ich habe mich wiederholt geweigert, eine Sicherheits-, Regierungs- oder Exekutivrolle zu übernehmen.«

Einen Tag später wurden die Gerüchte, die weiter zu schüren wohl auch Dahlans Anliegen war, in einem langen Artikel im Wall Street Journal konkretisiert: »Die Frage, wer den Gazastreifen regieren wird, hat die Bemühungen zur Beendigung des neunmonatigen israelischen Kriegs zur Zerstörung der Hamas erschwert. … Einige Unterhändler sehen in Mohammed Dahlan zunehmend eine vorübergehende Lösung für das Dilemma, in dem sich Gaza nach dem Krieg befinden wird.«

Im Bericht zitierte israelische politische Analysten beschreiben Dahlan als einen der wenigen Palästinenserführer, der sowohl von der Hamas als auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unabhängig ist, was ihn zu jemandem mache, mit dem die israelische Regierung möglicherweise zusammenarbeiten könnte.

Wer ist Dahlan?

Mohammed Dahlan wurde 1961 in Khan Yunis im Gazastreifen geboren und war als Jugendlicher bei der Gründung der Fatah-Jugendbewegung beteiligt. In seinen Zwanzigern wurde er mehrmals von den israelischen Behörden wegen politischer Aktivitäten verhaftet, jedoch nie wegen terroristischer. Er nutzte seine Zeit im Gefängnis, um Hebräisch zu lernen, das er heute fließend beherrscht.

Nach dem Osloer Abkommen Anfang der 1990er Jahre wurde Dahlan zum Leiter der Präventiven Sicherheitskräfte im Gazastreifen ernannt. Er baute eine Truppe von 20.000 Mann auf und stieg zu einem der mächtigsten palästinensischen Führer auf. Im November 2000 wurden er und sein Stellvertreter Rashid Abu Shadak aufgrund überzeugender Beweise beschuldigt, den Bombenanschlag auf einen israelischen Schulbus, bei dem zwei Erwachsene getötet und mehrere Kinder verletzt wurden, initiiert zu haben. Israels damaliger Premierminister Ehud Olmert ordnete als Vergeltung die Bombardierung von Dahlans Hauptquartier in Gaza an.

Zu dem Zeitpunkt führte Gaza den Spitznamen Dahlanistan, der das Ausmaß seiner Autorität widerspiegelte, jedoch nur bis 1997, als sich herausstellte, dass er Steuern auf sein persönliches Bankkonto abgezweigt hatte. Dieser Vorfall und seine Folgen »scheinen eine Änderung in ihm bewirkt zu haben«, schreibt der Nahostkorrespondent Neville Teller in der Jerusalem Post, da er ab 2001 die Korruption innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde anprangerte und Reformen einforderte. 

Gegner der PA und der Hamas

Ein Jahr später trat er von seinem Amt zurück und versuchte wiederholt, mit einem Antikorruptions- und Reformprogramm in den Wahlkampf zu ziehen, wobei er als offener Kritiker des PA-Präsidenten Jassir Arafat auftrat. Infolgedessen gewannen Dahlan und seine Anhänger die meisten Fatah-Sektionen im Gazastreifen für sich.

Bei den palästinensischen Wahlen 2006 erlangte allerdings die Hamas die politische Mehrheit. Dahlan bezeichnete deren Wahlsieg als »Katastrophe« und hielt im Januar 2007 die bisher größte Kundgebung von Fatah-Anhängern in Gaza ab, auf der er die Hamas als »eine Bande von Mördern und Dieben« verurteilte.

Seine Einschätzung wurde sechs Monate später bestätigt, als die Hamas einen blutigen Staatsstreich im Gazastreifen inszenierte, die Macht an sich riss und jene Fatah-Funktionäre, die sie nicht ermordet hatte, vertrieb. Jahre später wurde bekannt, dass Dahlan eine Schlüsselrolle in einem fehlgeschlagenen US-Komplott zur Entmachtung der Hamas spielte. 

Im Oktober 2007 setzte die amerikanische Bush-Regierung Berichten zufolge PA-Präsident Mahmud Abbas unter Druck, Dahlan, der mittlerweile aus Gaza ins Westjordanland emigriert war, zu seinem Stellvertreter zu ernennen. Da Abbas Dahlan als Rivalen um sein Amt ansah, beschuldigte er ihn im Juni 2011 öffentlich der Korruption und des Mordes und schloss ihn aus dem Führungsgremium der Fatah aus. Abbas ging noch weiter und beschuldigte Dahlan sogar des Mordes an Arafat; eine offizielle Anklage wurde allerdings nie erhoben.

Heute ist Dahlans internationaler Einfluss weitreichend. Er lebt seit vielen Jahren im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten und ist als Berater des Kronprinzen Mohammed bin Zayed al Nahyan tätig. Dahlan unterhält Beziehungen zu Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und der syrischen Opposition und ist eng mit Serbien und Montenegro verbunden.

Option für den »Tag danach«

Wie das Wall Street Journal berichtete, habe die Hamas ihren Widerstand gegen Mohammed Dahlan aufgeweicht und in den vergangenen Wochen gegenüber Vermittlern angedeutet, ihn als Teil einer Übergangslösung zur Beendigung des Kriegs zu akzeptieren. Dahlan selbst erklärte, zurzeit regelmäßig mit der Hamas Gespräche zu führen. Lautarabischen Beamten sieht eine derzeit erwogene Option für den »Tag danach« vor, dass Dahlan eine palästinensische Sicherheitsbehörde mit 2.500 Mitarbeitern leiten soll, die in Abstimmung mit einer internationalen Truppe arbeitet, sobald die israelischen Truppen aus dem Gazastreifen abgezogen sind.

Das palästinensische Gremium würde von den USA, Israel und Ägypten überprüft und besäße keine eindeutigen Loyalitäten gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde, von der Israels Premierminister Benjamin Netanjahu keine Kontrolle über den Gazastreifen wünscht. Bei einer erfolgreichen Umsetzung könnte die Truppe erweitert werden, um beim Wiederaufbau des Gazastreifens zu helfen.

Umfragen in der palästinensischen Öffentlichkeit zeigen allerdings wenig Begeisterung für Dahlan als potenziellen Anführer. Die bislang letzte, im Juni durchgeführte Umfrage ergab, dass Marwan Barghouti favorisiert wird, der wegen Terrors und Mordes zu einer fünfmal lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde und in einem israelischen Gefängnis sitzt. Barghouti erhielt 39 Prozent der Stimmen vor dem damals noch lebenden Hamas-Führer Ismail Haniyeh, der am 31. Juli in Teheran getötet wurde. Dahlans Beliebtheit lag mit acht Prozent ungefähr gleichauf mit jener von Yahya Sinwar, der nach dem Tod Hanyiehs zum Chef des Hamas-Politbüros ernannt wurde und somit nun sowohl die militärische als auch die politische Führung der Terrororganisation innehat.

Sollte Mohammed Dahlan, wie er in seinem Social-Media-Posting vom 24. Juli erklärte, auf einen »transparenten demokratischen Prozess« warten, bei dem die Wahl auf ihn fällt, »wird er wohl noch lange warten müssen«, wie Teller in seinem Jerusalem-Post-Artikel abschließend festhielt. Weitaus wahrscheinlicher sei, dass Dahlan durch Ernennung in eine Führungsposition gelangt, die multilateral unter den Nationen vereinbart und die über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln verhandeln wird.

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