„Die Reformen Prinz Mohammeds sind den Frauen zweifelsfrei zugutegekommen und sie haben mit der Einführung moderner Unterhaltungsformen, darunter die Eröffnung des ersten saudischen Kinos diesen Monat und die Veranstaltung von Konzerten, Theater- und Tanzaufführungen, neue Gelegenheiten für gesellschaftlichen Verkehr geschaffen. Anekdotische Hinweise deuten darauf hin, dass Prinz Mohammeds Entscheidungen beliebt sind, auf jeden Fall bei der städtischen Jugend. Doch ruht sein von oben verordnetes Vorgehen gegen den religiösen Extremismus auf wackeligen Fundamenten. Er schreibt die Geschichte eher um, als dass er für sie die Verantwortung übernimmt. Die Reformen werden dem ultrakonservativen sunnitischen Establishment aufgezwungen, und dessen öffentliches Bekenntnis zu ihnen ist wenig glaubwürdig. Religiöse und säkulare Kräfte, die neben religiösen auch soziale und politische Reformen fordern, werden unterdrückt. Prinz Mohammed hat die saudische Annahme des Ultrakonservatismus auf das Jahr 1979 zurückgeführt, das Jahr, in dem ein Volksaufstand den Schah stürzte und die iranische Monarchie durch eine Islamische Republik ersetzt wurde. Damals übernahmen Eiferer auch die Kontrolle über die Große Moschee in der heiligen Stadt Mekka.
Daran, dass das Königreich auf diese beiden Ereignisse reagierte, indem es dem ohnehin schon einflussreichen ultrakonservativen religiösen Establishment noch größere Macht zugestand, steht außer Zweifel. Doch scheint Prinz Mohammed die saudische Geschichte dabei zu ignorieren. Die Macht des Establishments und die Vorherrschaft des Wahhabismus besteht in Saudi-Arabien seit 1744. Damals schloss Mohammed bin Saud, der Begründer der al Saud-Dynastie, ein Abkommen mit dem muslimischen Gelehrten Mohammed bin Abd al-Wahhab. Das Abkommen sah eine Teilung der Macht zwischen ihnen vor und verlieh bin Saud die religiöse Legitimation, derer er bedurfte, um die einander bekriegenden arabischen Stämme zu vereinigen und über sie zu herrschen. Auch die weltweite Propagierung des sunnitischen Ultrakonservatismus wurde durch die Entwicklungen seit 1979 zwar intensiviert, begann aber schon zwei Jahrzehnte zuvor. (…) Prinz Mohammed wurde erst vierzehn Jahre nach den Ereignissen von 1979 geboren. Seine Darstellung, der zufolge der Liberalismus des Königreichs durch die Erfordernisse des Kalten Kriegs und fehlgeleitete muslimische Gelehrte geentert wurde, kann der nächstälteren Generation gegenüber kaum Glaubwürdigkeit beanspruchen. Sie erinnern sich an eine gesellschaftliche Entwicklung, in der die ultrakonservativen Regeln nach 1979 dann in einem Gesetzes- und Regelwerk systematisch kodifiziert wurden. (…)
Um seine Reformen auf eine solide Grundlage zu stellen, wird Prinz Mohammed die Dämonen seines Landes anerkennen und sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Er muss strukturelle Reformen einleiten und unter anderem das religiöse Bildungswesen umgestalten. Dazu ist mehr erforderlich als das Abschleifen der schlimmsten Exzesse, etwa der religiös motivierten Hasstiraden. Damit, dass er die Rolle seiner Familie verharmlost, deren vormalige Verbündete unterwirft und jeden Dissens unterdrückt, ist es schwerlich getan. Vielmehr muss eine neue Generation unabhängiger und kritischer muslimischer Gelehrter herangezogen werden.“ (James M. Dorsey: „Moderating Islam: Saudi Prince Mohammed walks on shaky ground“)