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Moderne Sklaverei: Gastarbeiter in Katar

Skyline von Doha (© Imago Images / Arabian Eye)

Arbeitsmigranten in Katar haben Anfang August an mindestens zwei Tagen trotz Verbots gestreikt und auf der Straße demonstriert. Im April hatte es bereits ähnliche Proteste gegeben, dabei waren auch Autos umgeworfen worden. Streiks sind ein seltenes Ereignis in dem Emirat, in dem 2,6 Millionen Menschen leben – 300.000 katarische Bürger und 2,3 Millionen Ausländer, zumeist Gastarbeiter. Der Ausstand und die Proteste richteten sich gegen die üblen Arbeitsbedingungen, u.a. auf den Baustellen für die Fußballweltmeisterschaft 2022.

Tausende hätten an zwei Demonstrationen teilgenommen, schrieb die britische Tageszeitung Daily Telegraph, die als eine der wenigen großen westlichen Zeitungen darüber berichtete. Mit den Protesten wollten die Arbeiter darauf aufmerksam machen, dass viele von ihnen seit Monaten keinen Lohn erhalten haben, zudem richteten sie sich gegen die Arbeitsbedingungen. Ein Video zeigt einen langen Umzug von Menschen in gelben Westen, der offenbar auf einer Schnellstraße in der Nähe der Hauptstadt Doha stattfand. Auf Twitter sind auf den 7. August datierte Fotos des Ereignisses zu sehen. „Wir sind seit vier Monaten nicht bezahlt worden und hatten seit 2013 keinen Urlaub“, zitiert der Telegraph einen Demonstranten. „Das Wasser, das wir bekommen, ist für menschlichen Verzehr untauglich.“

Ein System der Ausbeutung

Seit der umstrittenen Vergabe der Fußballweltmeisterschaft an Katar blickt die Welt etwas genauer auf das Emirat; immer wieder gibt es Berichte über sklavereiähnliche und mörderische Arbeitsbedingungen – ohne dass dies aber die Lage der Arbeiter in irgendeiner Weise verbessert hätte (von der Regierung angekündigter Reformen zum Trotz). Arbeiter müssen in sengender Hitze schuften, Löhne werden oft nicht gezahlt, trotzdem bleiben die Arbeiter der Firma weitgehend rechtlos ausgeliefert – oft für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren. Letztes Jahr gab es Reformen, die das sogenannte kafala-System lockern sollten, für viele Arbeiter aber bleibt es gültig.

Das kafala (Sponsoren-)-System wurde in den 1950er Jahren eingeführt, um das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Wanderarbeitnehmern in vielen Ländern Westasiens zu regeln und ist – laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – in Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Jordanien und dem Libanon weiterhin gängige Praxis. Das wirtschaftliche Ziel des Sponsoringsystems bestand laut der ILO darin, Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die bei wirtschaftlichem Aufschwung rasch ins Land gebracht und in weniger wohlhabenden Zeiten ausgewiesen werden konnten. Nach dem Kafala-System ist der Zuwanderungsstatus eines Wanderarbeitnehmers für die Dauer seiner Vertragslaufzeit gesetzlich an einen einzelnen Arbeitgeber oder Geldgeber (kafeel) gebunden, dem er seinen Pass geben muss. Der Arbeitsmigrant darf nicht in das Land einreisen, den Arbeitsplatz wechseln oder das Land verlassen, ohne zuvor die ausdrückliche schriftliche Genehmigung des kafeel eingeholt zu haben.

Letztes Jahr hatte die für ihre Schminktipps bekannte und von großen Kosmetikherstellern bezahlte kuwaitische Influencerin Sondos Alqattan weltweit für Empörung gesorgt, als sie in einem Instagram-Video gegenüber ihren 2,3 Millionen Fans sagte:

„Wie kann man einen Diener zu Hause haben, der seinen Reisepass behält? Und was noch schlimmer ist, sie bekommen einen Tag pro Woche frei! Ich möchte kein philippinisches Dienstmädchen mehr.“

Tausende Tote

Seit Jahren wird angeprangert, wie Arbeiter auf Baustellen in Kater sich regelrecht zu Tode schuften müssen. Nach offiziellen Zahlen der Regierung in Nepal, die diese dem WDR-Journalisten Benjamin Best für dessen Recherchen zu der Reportage „Ausbeutung vor der WM 2022 – Gefangen in Katar“ (ausgestrahlt im WDR am 5. Juni 2019) mitgeteilt hat, sind in den vergangenen zehn Jahren 1.426 Gastarbeiter aus Nepal in Katar ums Leben gekommen. 522 davon verstarben an plötzlichem Herztod, 148 bei Arbeitsunfällen. Wie viele dieser Todesfälle mit der WM in Zusammenhang stehen, ist nicht bekannt. „Ich habe mit Dutzenden Arbeitern aus Nepal, Indien oder Bangladesch sprechen können“, sagte Benjamin Best in einem Interview des Deutschlandfunks.

„Offen reden vor der Kamera, davor hatten fast alle Angst. Angst vor Repressalien ihrer Vorgesetzten, Angst vor ihren Arbeitgebern. Was mir die Arbeiter sagten, waren immer wieder dieselben Klagen: ausbleibender Lohn, miserable Unterkünfte und abgenommene Reisepässe. Teilweise sprachen sie sogar von weiteren massiven Vorwürfen. Sie sprachen davon, dass Gastarbeiter von ihren Vorgesetzten verprügelt wurden oder, dass zum Beispiel die Sicherheitsvorkehrungen auf WM-Baustellen nur mangelhaft gewesen sein sollen.“

In den Camps, die er besucht habe, habe er „wirklich menschenunwürdige, schlimme Zustände“ gesehen, so Best:

„Kleine enge Zimmer, dunkel, acht bis zehn, manchmal 12 Schlafplätze in Doppelstockbetten auf engstem Raum, teilweise auch ohne Klimaanlage. Ich habe 125 Gastarbeiter aus Nepal angetroffen, die teilweise seit November kein Gehalt bekommen hatten, deren Pässe eingezogen wurden. Offenbar aufgeschreckt durch unsere Presseanfragen, brachte dann ein Fahrer die eingezogenen Pässe ins Camp und so konnten die Arbeiter dann ausreisen. Auf die ausstehenden Gehälter warten sie bis heute.“

In dem Film sagt der Gastarbeiter Dil Prasad in einer der Unterkünfte:

„Insgesamt sind wir 125 Arbeiter, die hier festsitzen. Jeden Tag ernähren wir uns von Wasser und Brot. Ohne Geld können wir uns nichts anderes leisten. Monat für Monat verschlimmert sich unsere Situation. Ich kann einfach nicht mehr. Ich will nur noch nach Hause. Wir können nicht einmal unsere Familien in Nepal anrufen. Wenn die Firma uns doch einfach nur das Geld zahlen würde, das uns zusteht.“

Neben ihm sitzt ein Mann namens Adi Gurung. Er sagt:

„Seit November erzählte uns der Firmenboss immer wieder, dass unser Gehalt kommen werde. Immer wieder verlangte er von uns, dass wir geduldig sein sollen. Am Anfang glaubten wir ihm und arbeiteten weiter. Im März, nach vier Monaten ohne Geld, hörten wir dann auf zu arbeiten. Wir alle zusammen verlangten unser Gehalt. Doch der Boss lehnte einfach ab. Er sagte, dass wir zu einer anderen Firma gehen sollen. Doch ohne unsere Papiere ist das nicht möglich. Aus diesem Grund wandten wir uns an das Arbeitsgericht, aber nichts passierte.“

Lob für Katar im UN-Menschenrechtsrat

Moderne Sklaverei: Gastarbeiter in Katar
Der UN-Meschenrechtsrat

Trotz seiner schrecklichen Menschenrechtsverletzungen wurde Katar im UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) erst kürzlich wieder sehr gelobt. Wie jedes Mitgliedsland muss Katars Regierung alle fünf Jahre einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in ihrem Land vorlegen. Das war am 15. Mai der Fall. Anschließend standen die Länder der Welt Schlange, um Katar zu gratulieren. Nach einer Zählung der der im UN-Menschenrechtsrat akkreditierten NGO UN Watch wurde Katar von 91 der 104 Länder, die sich zu Wort meldeten, für seine angeblich gute Menschenrechtsbilanz gelobt, sechs weitere Länder lobten zumindest angebliche „Fortschritte“. Laut UN Watch hätten nur sehr wenige Länder – unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Australien, Norwegen und Dänemark – Sorge über die Lage von Frauen und die Arbeiterrechte in dem Land zum Ausdruck gebracht. Schon zum vierten Mal seit der Gründung des UNHRC im Jahr 2006 wurde Katar letztes Jahr von einer Mehrheit der UN-Mitgliedsländer für eine Dauer von zwei Jahren in den Menschenrechtsrat gewählt.

Der australische muslimische Reformer Imam Mohamad Tawhidi nahm den Streik der Arbeiter in Katar zum Anlass, um auf Twitter Worte an Ilhan Omar und Rashida Tlaib zu richten, die beiden demokratischen Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses, die just zur selben Zeit ihre Koffer packten, um eine Reise nach „Palästina“ anzutreten:

„@IlhanMN und Rashida Tlaib sagen, Migranten seien ihnen wichtig. Sie reisen um die Welt, nach Afrika und bald nach Israel, um Leuten zu ‚helfen’. Ich fordere sie heraus, zu verurteilen, wie Katar seine Migranten misshandelt. Das wird niemals passieren.“

[Anmerkung der Redaktion: Sie können sich diesen Artikel vorlesen lassen, indem Sie auf das „Play“-Symbol über dem Text klicken. Das ist ein Pilotprojekt, die Software befindet sich in der Testphase. Wir freuen uns über Ihr Feedback an info@mena-watch.com.]

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