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Wie die Menschenrechte auf den Kopf gestellt werden

Demonstration gegen den chinesischen Völkermord an den Uiguren
Demonstration gegen den chinesischen Völkermord an den Uiguren (Quelle: JNS)

In einer neuen Ära könnten autoritäre Staaten wie China und der Iran liberale demokratische Nationen vor den Internationalen Gerichtshof und den Internationalen Strafgerichtshof bringen. 

Ben Cohen 

Zwei aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass derzeit konzertierte Anstrengungen unternommen werden, um die aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene internationale Menschenrechtsarchitektur neu zu gestalten, indem der Schwerpunkt von der Gewissensfreiheit auf »wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« verlagert und der Begriff »Völkermord« neu definiert wird. Diese Veränderungen könnten den Beginn einer neuen Ära einläuten, in der autoritäre Staaten wie China und der Iran liberale demokratische Nationen vor den Internationalen Gerichtshof und den Internationalen Strafgerichtshof zerren und ihnen systematische Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, wobei Israel – als demokratischer Staat, der von Feinden umgeben ist, die seine Beseitigung anstreben – als bequemes und häufiges Ziel dient.

China als Agent der Menschenrechte?

Die Vereinten Nationen haben letzte Woche gemeinsam mit dem chinesischen Regime eine Menschenrechtskonferenz in der Stadt Huangzhou veranstaltet. Die Vorstellung von China als einem Leuchtturm der Menschenrechte ist natürlich eher einer Schlagzeile in einem Satiremagazin würdig als einer ernsthaften Behauptung. Allein die Tatsache, dass ein Regime, das in der jüngsten globalen Studie von Freedom House mit lediglich neun von hundert möglichen Punkten als »nicht frei« eingestuft wurde, diesbezüglich ernst genommen wird, ist ein beunruhigendes Zeichen dafür, wie weit sich internationale Institutionen von einer Agenda entfernt haben, die demokratische und rechenschaftspflichtige Institutionen sowie die individuelle Freiheit als Fundament jeder Menschenrechtsordnung betont.

In seiner Rede hob der chinesische Außenminister Wang Yi hervor, China habe bei der Verfolgung »wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte« große Fortschritte gemacht und schloss damit effektiv jene Bereiche aus, in denen Peking von Freedom House kritisiert wurde: die allgegenwärtige Präsenz der regierenden Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im täglichen Leben der Bürger, das Fehlen freier Medien und die Zerschlagung der Zivilgesellschaft: jener Gruppen und Vereinigungen, die frei von staatlicher Einmischung agieren. 

Wang wurde in seinen Behauptungen vom österreichischen Diplomaten Volker Türk, der den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen leitet, enthusiastisch unterstützt. Dieses UN-Gremium hat im vergangenen Jahr einige der schrillsten und ausgefallensten Anschuldigungen gegen Israel vorgebracht und behält weiterhin seinen jährlichen Tagesordnungspunkt bei, der sich auf angebliche Missbräuche allein durch Israel und keinen anderen Staat der Welt konzentriert.

Das dem Pekinger Spektakel zugrunde liegende Konzept besteht darin, dass Menschenrechte in der »Entwicklung des Staates« verankert sein sollten, die durch steigende Gehälter, Initiativen zur Armutsbekämpfung und staatlich bereitgestellten Wohnraum repräsentiert werde. Theoretisch ist es möglich, dass ein Staat bei der Verwirklichung dieser Ziele Fortschritte erzielt, während er seinen Bürgern grundlegende bürgerliche und politische Rechte verweigert. China hat diesen Ansatz nun zur Staatsdoktrin erhoben und versucht, andere Staaten, insbesondere Entwicklungsländer, zu bewegen, seinem Beispiel zu folgen.

Negative und positive Freiheit

Der renommierte »Ideengeschichtler« Isaiah Berlin schlug eine äußerst wichtige Unterscheidung zwischen »negativer Freiheit« und »positiver Freiheit« vor. Negative Freiheit betont dabei das Recht des Einzelnen, frei von staatlicher Einmischung in Gewissens-, Versammlungs- und Lebensentscheidungen zu leben. Positive Freiheit ordnet den Einzelnen dem Staat unter und präsentiert Freiheit als das Recht des Staates, als unabhängige Entität Entwicklungsziele festzulegen, durch die der Lebensstandard steigt – obwohl es dafür keine Garantie gibt –, im Austausch dafür, dass die Bürger sich seiner Autorität bei jenen Entscheidungen unterwerfen, die in liberalen demokratischen Staaten allein ihnen gehören würden.

Man könnte vernünftigerweise argumentieren, dass der ideale Staat Elemente sowohl der negativen als auch der positiven Freiheit miteinander verbindet, sodass der Einzelne seine Religionsfreiheit ausüben kann, während er eine staatlich subventionierte Ausbildung erhält. Aber das ist nicht das, was China tut. Stattdessen haben die regierenden Kommunisten in den letzten Jahrzehnten die große Mehrheit der Bevölkerung aus der Armut befreit, während sie politisch immer repressiver wurden und ganze Minderheiten wie die hauptsächlich muslimischen Uiguren im Nordwesten brutal bestraften mit dem Ziel, eine ethnisch und religiös vielfältige Bevölkerung zu homogenisieren.

Während das US-Außenministerium Chinas Verfolgung der Uiguren unter anderem als »Völkermord« bezeichnet hat, gab es bei den von den Vereinten Nationen geförderten Gesprächen in Huangzhou keine einzige Erwähnung ihrer Notlage, zu der auch mehr als eine Million in Konzentrationslagern internierte Uiguren gehören.

Völkermordkonvention pervertiert

Gleichzeitig ist das Verständnis des Begriffs Völkermord, das seit dem Inkrafttreten der Völkermordkonvention im Jahr 1951 vorherrscht, aktuell bedroht, was möglicherweise bedeutet, dass Staaten wie China, die dieses Verbrechen begehen, dem Vorwurf entgehen, während diejenigen, die dies nicht tun, so wie Israel, auf der Anklagebank landen.

In seinem jüngsten Bericht über Israel und die Palästinenser, in dem der Krieg Israels gegen die Vergewaltiger und Mörder der Hamas im Gazastreifen fälschlicherweise als Vernichtungskrieg gegen alle Palästinenser dargestellt wurde, beklagte Amnesty International, dass die Völkermordkonvention unzureichend sei und behauptete, sie berücksichtige nicht die Tatsache, dass Staaten sich auf die nationale Sicherheit berufen können, um ihre völkermörderischen Absichten zu verschleiern.

Dieses Argument wurde nun von der Republik Irland aufgegriffen, die in den vierzehn Monaten seit den von der Hamas angeführten Gräueltaten im Süden Israels am 7. Oktober 2023 zu einem wahren Sammelbecken des antizionistischen Antisemitismus geworden ist.

Der irische Außenminister Micheál Martin verkündete die Entscheidung Dublins, die von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof erhobene haltlose Anklage gegen Israel zu unterstützen und plädierte für eine Überarbeitung des rechtlichen Verständnisses von Völkermord. Er argumentierte, dass »eine sehr enge Auslegung dessen, was als Völkermord gilt, zu einer Kultur der Straflosigkeit führt, in der der Schutz der Zivilbevölkerung minimiert wird«. 

Anders ausgedrückt: Hat ein Staat einen Feind wie eine terroristische Organisation, die ihre Waffen und Kämpfer absichtlich unter Zivilisten versteckt, riskiert dieser, des Völkermords beschuldigt zu werden, wenn er als Reaktion auf Terrorangriffe sein Militär einsetzt. Wäre der Massenmörder Yahya Sinwar, der durch die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte im Gazastreifen getötet wurde, noch am Leben, gäbe es kaum Zweifel daran, dass er diese Entwicklung als eine seiner größten Errungenschaften betrachten würde.

Die jüdische Erfahrung des Antisemitismus wurde als ein Muster beschrieben, das von »Ihr habt kein Recht, (als Juden) unter uns zu leben« bis zu »Ihr habt kein Recht zu leben« reicht. Dasselbe Muster lässt sich mehr oder weniger auf die Fälle von Völkermord seit dem Zweiten Weltkrieg anwenden. In Ruanda beispielsweise waren die weitgehend schutzlosen Tutsi 1994 Gegenstand aller möglichen dämonischen Verschwörungstheorien, die sie als »Kakerlaken« darstellten, als die Zeit der Massentötungen in den Sommermonaten desselben Jahres näher rückte.

Würde sich ein solcher Völkermord heute wiederholen, wären seine Befürworter gut beraten, sich als staatliche Autorität darzustellen, die das lobenswerte Ziel der kollektiven sozialen Entwicklung verfolgt und die bestehende Völkermordkonvention als ein Produkt westlichen imperialistischen Denkens über Menschenrechte zu kritisieren, das es Ländern wie Israel – und damit auch den USA und anderen Nationen mit demokratischen Verfassungen, welche die verschiedenen Befugnisse des Staates einschränken – ermögliche, sich der Anklage zu entziehen. 

Während wir auf dieses Ergebnis zusteuern, herrscht dröhnendes Schweigen bei unseren eigenen Staats- und Regierungschefs zu der grundlegenden Bedrohung, die dieser Ansatz für unsere Freiheiten und unsere Werte darstellt.

Ben Cohen ist ein in New York lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.

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