Warum sich Saudi-Arabien nicht mehr nur auf Ölreserven verlassen will

Von Stefan Frank

Warum sich Saudi-Arabien nicht mehr nur auf Ölreserven verlassen will
Logo von Saudi Aramco (Quelle: CorelDraw, Wikpedia)

Saudi-Arabiens Ölkonzern Saudi Aramco hat der Welt am Montag erstmals seit der Verstaatlichung in den Siebziger Jahren Einblick in seine Bücher gewährt. Jahrzehntelang waren jegliche Informationen über Saudi-Arabiens Ölförderung Staatsgeheimnisse gewesen. Niemand wusste etwa, wie viel Gewinn das Unternehmen macht oder wie groß der Ertrag der einzelnen Ölfelder ist.

Seit Montag weiß die Welt zweierlei: Mit einem Jahresprofit (2018) von 111,1 Milliarden US-Dollar macht Aramco so viel Gewinn wie kein anderer Konzern auf dem Globus, deutlich mehr als Apple (59,5 Milliarden Dollar im Jahr 2018) und ein Vielfaches von dem, was andere Ölkonzerne verdienen. Zum Vergleich: Bei Royal Dutch/Shell lag der Gewinn 2018 bei 21,8 Milliarden, bei Exxon Mobil waren es 20,8 Milliarden US-Dollar.

Aramco teilte diese Daten im Zusammenhang mit bevorstehenden Transaktionen an den Kapitalmärkten mit. Der Konzern strebt die Übernahme eines 70-Prozent-Anteils am saudi-arabischen Petrochemiekonzern Sabic an. Zu diesem Zweck will sich der Konzern verschulden und Anleihen begeben, die an internationale Investoren verkauft und an den Börsen gehandelt werden sollen. Das ist der Grund, warum Saudi Aramco nun den Ratingagenturen Moody’s und Fitch Einblick in die Bücher gegeben hat.

Ein für letztes Jahr geplanter Börsengang, der größte der Geschichte, war im August abgesagt und dann auf „Ende 2020, Anfang 2021“ verschoben worden. Vielleicht – doch das ist Spekulation –, weil Kronprinz Mohammed bin Salman angesichts des volatilen Marktumfelds, das Ende letzten Jahres herrschte, nicht mehr daran glaubte, beim Börsengang die zwei Billionen Dollar erlösen zu können, von denen er meint, dass das Unternehmen sie wert ist. Ein höherer Ölpreis wird sicherlich helfen, dieses Ziel realistischer zu machen. Für den Kronprinzen ist die Transaktion, bei der das eine Staatsunternehmen ein anderes Staatsunternehmen kauft, das dem von ihm verwalteten staatlichen Vermögensfond gehört, ein Weg, um an noch mehr Geld zu kommen – Geld, das er dazu benutzen möchte, die Wirtschaft des Königreichs umzubauen und die Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Aramco-Chef Amin Nasser sagt, sein Unternehmen halte weltweit nach interessanten Anlagemöglichkeiten Ausschau, etwa im Bereich der Verflüssigung von Erdgas (LNG).

Warum sich Saudi-Arabien nicht mehr nur auf Ölreserven verlassen willDas ist nicht nur für sich genommen keine unkluge Idee, sondern insbesondere auch vor dem Hintergrund sinkender Fördermengen. Das nämlich war am Montag die zweite große Nachricht von Aramco: Das Ghawar-Feld hat eine maximale Produktionskapazität von 3,8 Millionen Barrel pro Tag – deutlich weniger als die 5 Millionen, die westliche Beobachter oft geschätzt hatten. Laut einem Bericht der Tageszeitung Houston Chronicle hatte die amerikanische Energiebehörde die Förderkapazität von Ghawar in einem Bericht von 2017 sogar auf 5,8 Millionen Barrel taxiert. Diesem Ölfeld kommt so große Bedeutung zu, weil es das mit Abstand größte der Welt ist, ein sogenanntes „Elefantenölfeld“, von denen es weltweit nur wenige gibt. Es wurde 1948 entdeckt, produziert seit 1951 und ist für einen Großteil der saudi-arabischen Ölproduktion verantwortlich (darum knüpften sich an das Ghawar-Feld in der Vergangenheit Hypothesen über „Peak Oil“ – die These, dass die Weltölproduktion einen Zenit erreicht, von dem aus sie nur noch fallen wird).

„Da es Saudi-Arabiens größtes Feld ist, ist die überraschend niedrige Kapazitätszahl von Ghawar das Hervorstechende an diesem Bericht“, sagte Virendra Chauhan, Öl- und Gasexperte beim Unternehmensberater Energy Aspects Ltd. in Singapur, gegenüber dem Houston Chronicle.

Die Entwicklungen bei Aramco werden auch deshalb mit so großem Interesse verfolgt, weil die Vereinigten Staaten von Amerika, die dank neuer Technologien 2018 bereits zum größten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen sind, auch ihre Ölexporte immer weiter steigern und Saudi-Arabien in den nächsten Jahren immer näher kommen werden. Erst Ende 2015 hatte der Kongress im Zuge des Förderbooms das 40 Jahre zuvor erlassene Ölexportverbot aufgehoben. Nun erwartet die Internationale Energieagentur (IEA), dass die USA bis 2024 Russland als den weltweit zweitgrößten Exporteur von Öl und Raffinerieprodukten verdrängen und dann auch den Spitzenplatz Saudi-Arabiens bedrohen werden. Freilich ist es bloß Symbolik, ob ein Land der größte, zweitgrößte oder drittgrößte Ölexporteur der Welt ist. Aber es ist ein Symbol, das in der internationalen Politik etwas zählt. Als er gleichzeitig Sanktionen gegen die beiden Ölexporteure Iran und Venezuela verhängte, machte sich US-Präsident Donald Trump die Unabhängigkeit zunutze, die der einheimische Ölboom Amerika verleiht.

Saudi-Arabien wird unterdessen im nächsten Jahrzehnt zu einem sehr bedeutenden Standort der petrochemischen Industrie werden. „Saudi-Arabien betrachtet Petrochemie als einen Weg der Diversifizierung“, sagt Mustafa Ansari, Ökonom bei der Arab Petroleum Investments Corp, einer 1974 gegründeten multilateralen Entwicklungsbank mit Sitz in Dammam, Saudi-Arabien. „Sie hinken bei Raffinerien und Petrochemie hinterher, weil sie sich in der Vergangenheit so auf die Ölproduktion konzentriert haben. Also ist das eine niedrig hängende Frucht.“ Geld genug hat Saudi-Arabien jedenfalls.

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