Syrien: Angst und Terror in Aleppo

Von Thomas von der Osten-Sacken

Syrien: Angst und Terror in AleppoWas eigentlich geschieht in jenen Gebieten Syriens, die einst unter Kontrolle von Rebellen standen und inzwischen vom Regime und seinen Verbündeten, Russen und Iraner, „befreit“ wurden, wie es im offiziellen Jargon heißt? Kehren dort Frieden und Stabilität ein, beruhigt und entwickelt sich die Lage so, dass bald Millionen von Flüchtlingen zurückkehren können, wie es europäische Regierungen wohl ebenso hoffen wie die der Nachbarländer?

Kaum übernimmt das Regime eine Region versiegen jedenfalls die Nachrichten. Hörte man zuvor noch täglich aus Orten wie Duma, De’ra oder Aleppo, so liest man über sie inzwischen nur noch selten etwas. Das liegt vor allem an der strikten Zensur des Regimes, wohl aber auch am allgemeinen Desinteresse am Schicksal der Menschen in Syrien.

Erst kürzlich hörte ich von einer Syrerin, die eine Woche zu Besuch in Aleppo war, wie die Lage sich dort entwickelt. Sie war entsetzt: Ein paar Kriegsgewinnler bauten zwar wie verrückt in den Ruinen, aber wer vorher dort gelebt hatte, sei enteignet worden. Die Menschen, mit denen sie sprach, waren so frustriert und hoffnungslos, dass es eigentlich nur ein Thema gab: Wie möglichst schnell das Land verlassen? Eine funktionsfähige Verwaltung gebe es nicht mehr, Korruption dominiere jeden Aspekt des öffentlichen Lebens und Milizen hätten freie Hand zu tun, was immer sie wollten. Von Terror und Willkür dieser Milizen berichtet auch ein Artikel aus dem Syrian Observer:

In der vom Regime kontrollierten Stadt Aleppo macht sich öffentlicher Ärger über die Straftaten Luft, die von Angehörigen regierungstreuer Milizen Tag für Tag begangen werden. Dem Al-Modon-Korrespondenten Khalid al-Khatib zufolge geht das Problem in manchen Stadtteilen so weit, dass die Milizionäre Menschen entführen und Kinder töten. (…)

Im Industriegebiet von al-Arqoub ist es wiederholt zu Entführungen und sexuellen Übergriffen gegen Kinder gekommen, die von Angehörigen der al-Baqr-Brigade begangen wurden. Diese Miliz ist außerdem für den Stadtteil Karam al-Jabal und die Gegend um die Hananou-Barracken zuständig. Im Laufe der letzten beiden Monate sind dort mindestens zehn Kinder in nahegelegene Ruinen gelockt und sexuell missbraucht worden. Nachdem es zu Beschwerden darüber kam, dass die Sicherheitskräfte auf Anzeigen von Menschen aus der Gegend nicht reagierten, klagte die Polizei einen einzigen Angehörigen der Miliz an, um die Gemüter zu beruhigen. Während der Verhöre habe der Beschuldigte zugegeben, die Opfer in al-Arqoub angelockt und mit Messern bedroht zu haben.

In Aleppo herrscht weit verbreitete Angst und Bewohner haben in den sozialen Medien Informationen über die Entführerbanden verbreitet. Außerdem achten sie sorgfältiger auf ihre Kinder und grenzen deren Bewegungsfreiheit erheblich ein. Die Bewohner der Stadt haben das Bildungsdezernat von Aleppo aufgefordert, angesichts der Umstellung auf die Winterzeit die Schulzeiten anzupassen, da manche Schulkinder jetzt abends im Dunkeln nach Hause gehen müssen. Das Dezernat hat auf diese Forderungen nicht reagiert. Daher bringen viele Bewohner ihre Kinder nun in die Schule und holen sie von dort auch wieder ab.

Das Polizeipräsidium in Aleppo erklärte, es werde seine nächtlichen Patrouillen verstärken, doch ist allgemein bekannt, dass die Polizei gegen die regierungstreuen Milizen und bewaffneten Banden, die den Sicherheitsdiensten unterstehen, nichts ausrichten kann. In anderen Städten des Landes sieht es kaum anders aus. In Syrien, acht Jahre nach Ausbruch der Demonstrationen gegen Assad, liegen nicht nur ganze Regionen in Trümmern, staatliche Strukturen, wie es sie vor 2011 zumindest in der ba’athistischen Diktatur noch rudimentär gab, haben de facto aufgehört zu existieren. Milizen und andere bewaffnete Banden dominieren den Alltag. Die Menschen, egal ob sie in Regimegebiet oder in den verbleibenden von der Opposition kontrollierten Regionen leben, sind zerstört und haben jedwede Hoffnung verloren. Auswanderung und Flucht sind das beherrschende Thema, auch in Orten, die vom Krieg kaum oder wenig betroffen sind.

Die UN schätzen, dass über 400 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um Syrien wieder aufzubauen. Niemand wird in absehbarer Zeit auch nur einen Bruchteil dieser Summe zur Verfügung stellen. Und selbst wenn, die Zerstörungen, die die letzten Jahre mit und in den Menschen in Syrien angerichtet haben, können auch mit Unsummen nicht ungeschehen gemacht werden. Fachleute sprechen inzwischen von einer ganzen „Generation Trauma“ syrischer Kinder, die dieser Krieg hinterlassen hat.

Und auch dort, wo die Waffen inzwischen schweigen, geht der Terror ungebremst weiter: Verhaftungen, Entführungen und Folter bestimmen weiterhin den Alltag von Millionen Menschen. „Und die Polizei kann nichts tun“.

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