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New York Times: Antisemitische Karikatur aus lauteren Motiven?

Von Florian Markl (New York)

Die Diskussion um die antisemitische Karikatur, die vergangene Woche in der internationalen Ausgabe der New York Times veröffentlicht wurde, geht in die nächste Runde. Nach einer knappen Entschuldigung via Twitter und nach deutlichen Worten des hauseigenen konservativen Kommentators Bret Stephens im Blatt selbst mag die Redaktion gehofft haben, dass nun wieder Ruhe einkehren würde. Die Tag für Tag veröffentlichten Zuschriften, in denen etliche Leser die Zeitung scharf kritisieren oder ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringen, dass sich ‚ihre‘ Times zur Plattform für die Verbreitung von offenem Antisemitismus gemacht hat, vermitteln nicht den Eindruck, dass die Beruhigungsmaßnahmen bislang von Erfolg gekrönt waren. Daraufhin hat sich gestern das Editorial Board der Times zu Wort gemeldet – und eine Erklärung abgegeben, die unfreiwillig verdeutlicht, wie tiefgehend das Problem ist.


Von wegen alter Unterstützer Israels

Indem sie die skandalöse Karikatur abdruckte, so das Editorial Board, habe die Times es verabsäumt, die „Lehren aus der Geschichte“ zu beherzigen. Der Antisemitismus sei gerade in einer Zeit „besonders gefährlich“, in der sich Angriffe auf Juden häuften. So zuletzt bei der Attacke auf eine Synagoge in Kalifornien. Es sei aber auch eine Zeit „steigender Kritik an Israel“, von der die Times freilich nicht lassen will, denn:

„Wir waren und sind entschiedene Unterstützer Israels und glauben, dass gutgemeinte Kritik dazu beitragen sollte, das Land auf lange Sicht zu stärken, indem sie ihm hilft, seinen demokratischen Werten treu zu bleiben.“

Wer sich, etwa anhand der höchst lesenswerten Studie von Jerold S. Auerbach, mit der Geschichte der Haltung der New York Times zu Israel vertraut gemacht hat, kann sich über diese Behauptung der Redaktion nur wundern. Denn tatsächlich war die Times ein entschiedener Gegner der Idee eines jüdischen Staates, dessen Haltung über das aus ihrer Sicht unglücklicherweise dann doch ins Leben gerufene Israel vor allem darin zum Ausdruck kam, dass sie sich jahrzehntelang zum Sprachrohr der fundamental anti-zionistischen Gruppierung „American Council for Judaism“ machte, die unter den amerikanischen Juden stets marginalisiert war und – trotz eifriger Befürwortung durch die Times – zunehmend in Bedeutungslosigkeit versank.

Auch wenn sich das Blatt im Laufe der Zeit wohl oder übel mit der Existenz Israels abfinden musste, sah es die aktuell so betonte Unterstützung des jüdischen Staates mehr als notwendiges Übel, denn als überzeugte Befürwortung. Das änderte sich kurzfristig mit dem Beginn des sogenannten Friedensprozesses in den 1990er Jahren, doch als Israel sich gegen zunehmenden palästinensischen Terror zur Wehr setzen musste, kehrte bei der Times wieder der altbekannte Tonfall ein: theoretische Unterstützung der Existenz Israels bei gleichzeitig vehementer Kritik an allen Maßnahmen, die der jüdische Staat ergreifen muss, um seine Existenz auch zu gewährleisten.


Die Pose des kritischen Freundes

New York Times: Antisemitische Karikatur aus lauteren Motiven?
Plakat gegenüber der Times-Zentrale, angebracht schon vor der aktuellen Karikatur-Affäre.

Wie die angebliche „entschiedene Unterstützung“ Israels durch die Times praktisch aussieht, hat Gilead Ini im Hinblick auf das Jahr 2018 untersucht. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass das Blatt auf höchst verzerrte Weise berichtet; Nachrichten herunterspielt, in denen die palästinensische Seite in unvorteilhaftes Licht gerückt würde; sich im Gegenzug dazu mit besonderer Verve auf angebliche israelische Untaten stürzt; und immer wieder auf beschönigende und verharmlosende Weise „Aktivisten“ ausführlich als vermeintliche „Experten“ zu Wort kommen lässt, die in Wahrheit auf die Vernichtung des jüdischen Staates abzielen.

Und bei alledem nimmt die Times eine Pose ein, die man auch von deutschen und österreichischen Journalisten zur Genüge kennt: die des Freundes, der angeblich besser als die Israelis selbst wüsste, was gut für Israel sei, und der deshalb gelegentlich auch laut werden müsse.


Bemerkenswerte Verkehrung

Das Editorial Board hatte schließlich auch etwas zum Verhältnis von Antisemitismus und Antizionismus zu sagen:

„(A)nti-Zionismus kann klarerweise als Deckmantel für Antisemitismus dienen – und wie die Karikatur zeigte, wird Kritik an Israel manchmal auf offen antisemitische Weise zum Ausdruck gebracht.“

Damit hat die Times es zustande gebracht, ihren Abdruck einer antisemitischen Karikatur zum Anlass zu nehmen, um Grund und Folge gründlich umzudrehen: In Wahrheit, so muss man den zitierten Satz verstehen, habe es sich beim strittigen Cartoon also nicht um Antisemitismus gehandelt, der sich am jüdischen Staat festmachte, sondern doch nur um „Kritik an Israel“, die in etwas unglückliche, weil eben antisemitische Form verpackt worden sei. Die Welt, so schließt die Times  ihr Editorial, stünde abermals einem „uralten Feind“, dem Antisemitismus, gegenüber. Ihr Beitrag zum Kampf gegen diesen Feind scheint vorerst darin zu bestehen, ihm lautere Absichten zu unterstellen.

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