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Neue israelische Siedlung: „Zum ersten Mal seit 20 Jahren“

Wer die Medienberichterstattung über Israel verfolgt, muss Ende der vergangenen Woche über erstaunliche Meldungen gestolpert sein. „Zum ersten Mal seit 20 Jahren hat Israel den Bau einer völlig neuen Siedlung im Westjordanland genehmigt“, war im Kurier zu lesen. „Israel baut nach 20 Jahren neue Siedlung“, lautete die Überschrift in der Presse. Darunter hieß es: „Israels Regierung hat mehr als zwei Jahrzehnte lang vermieden, neue Siedlungen zu gründen, abgesehen von der nachträglichen Legalisierung von drei wild errichteten ‚Siedlungsvorposten‘.“

Und die Kronen Zeitung meldete: „Israels Regierung hat erstmals seit 25 Jahren eine neue Siedlung im besetzten Westjordanland beschlossen.“ Erstaunlich waren diese Berichte, weil sie völlig dem Bild widersprachen, das die Medien ansonsten von der beinahe täglich an den Pranger gestellten israelischen Siedlungspolitik zeichnen. Ein kurzer Rückblick hilft, sich den Widerspruch vor Augen zu führen.

In der Presse etwa, die jetzt konstatierte, dass Israel zum ersten Mal seit 20 Jahren den Bau einer neuen Siedlung genehmigt habe, waren in den vergangenen Jahren u.a. folgende Überschriften zu lesen: „Siedlungsbau geht weiter“ (5. April 2012) „Israel treibt Siedlungsbau voran“ (27. Dez. 2012), „Israel: Doch neue Siedlungen“ (10. Mai 2013), „Israel will neue Siedlungen bauen“ (13. Aug. 2013), „Streit um neue Siedlungen“ (3. Jan. 2014) und „Palästinenser kritisieren Bau neuer Siedlungen“ (11. Jan. 2014) – all das wohlgemerkt in einer Zeit, in der Israel so gut wie keine neuen Siedlungen gebaut hat.

Die Presse war allerdings keineswegs das einzige Medium, das über Jahre hinweg mit einer regelrechte Barrage an Fehl- und glatten Falschmeldungen zu glänzen vermochte. Auch der Kurier tat sich immer wieder einschlägig hervor: „Israel kontert UN-Votum mit neuen Siedlungen“ (1. Dez. 2012) war darin genauso zu lesen wie: „Neuer Siedlungsbau: Palästinenser drohen mit ‚beispielloser Aktion‘“ (6. Juni 2014) oder: „Neue Siedlungen im Palästinensergebiet“ (12. Aug. 2013). Im vergangenen Dezember brachte der Kurier eine besonders präzise Fantasiemeldung: Mitte der 1990er-Jahre habe Israel verkündet, keine neuen Siedlungen mehr zu errichten. „Dennoch entstanden seither 97 neue Siedlungen“. Worauf sich diese Zahl stützte, wurde nicht angeführt.

Mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun

Das Ö1-Abendjournal stach einmal mit einer besonders spektakulären Behauptung hervor, als darin von der angeblichen „Genehmigung von mehr als 1.000 jüdischen Siedlungen“ gesprochen wurde. Und in der Kronen Zeitung, die jetzt plötzlich davon zu berichten weiß, dass Israel seit 25 Jahren keine neuen Siedlungen gebaut habe, fanden sich Überschriften wie: „Neue Siedlungsoffensive nach UN-Votum“ (2. Dez. 2012) oder: „Europa, USA, UNO verurteilen aggressiven Siedlungsbau“ (4. Dez. 2012).

Die Krone brachte es darüber hinaus fertig, dem damaligen israelischen Präsidenten Schimon Peres in einem Interview die Frage zu stellen: „Was denken Sie darüber, dass die israelische Regierung die Palästinenser und den Rest der Welt ständig mit neuen Siedlungen auf Palästinensergebiet provoziert?“ (30. März 2014). Mit ständig neuen Siedlungen, die es in Wahrheit nicht gibt, soll Israel die ganze Welt provozieren – prägnanter kann man den Irrsinn, der sich regelmäßig in der Berichterstattung über die Siedlungspolitik abspielt, nicht zusammenfassen.

Dass in den vergangenen Tagen wenigstens in einigen Medien für einen kurzen Moment die Realität hinter der routinemäßigen Empörung zum Vorschein kam, wird am Irrsinn selbst vermutlich nichts ändern. Zu sehr will man an dem von Barack Obama und John Kerry bis hinab zu Kurt Seinitz vertretenen, tief verankerten Bild festhalten, wonach insbesondere Premier Netanjahu den Siedlungsbau aggressiv vorangetrieben habe – selbst wenn das mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat.

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