Marokkanischer König leistete Widerstand gegen NS-Judenverfolgung

Von Thomas von der Osten-Sacken

Marokkanischer König leistete Widerstand gegen NS-Judenverfolgung
Al-Husseini und al-Gilani in Berlin (http://collections.yadvashem.org/photosarchive/en-us/18955.html, WikiCommons)

Wurde arabischer Antisemitismus jahrzehntelang weitgehend verschwiegen oder beschönigt, gibt es inzwischen eine Reihe von Publikationen, die zeigen, dass in den 30er und 40er Jahren wichtige politische und religiöse Führer in der arabischen Welt wie der Mufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini oder der irakische Politiker Raschid Ali al-Gailani sehr eng mit dem nationalsozialistischen Deutschland kooperierten und zugleich große Verehrer Hitlers waren. Als 1940 panarabische Offiziere im Irak einen Putsch gegen die britische Mandatsregierung initiierten, verbreiteten sie eine Erklärung, die in ihrer Sprache deutlicher nicht hätte sein können und unter anderem folgenden Passus enthielt:

Deutschland und Italien anerkennen das Recht der arabischen Länder, die Frage der jüdischen Elemente, die sich in Palästina und in den anderen arabischen Ländern befinden, so zu lösen, wie es den nationalen und völkischen Interessen der Araber entspricht, und wie die Judenfrage in Deutschland gelöst worden ist.“

Nachweislich forderte wenige Jahre später der nach Deutschland geflohene Mufti den Abtransport ungarischer Juden nach Auschwitz:

„Als Rumänien und Ungarn, zwei Verbündete des Nationalsozialismus, 2700 jüdische Kinder nach Palästina schicken wollten, beschloss der Mufti einzugreifen. Am 28. Juni 1943 schrieb er zwei identische Briefe an den rumänischen und den ungarischen Außenminister. In diesen Briefen stellte er klar, dass ‚dies die jüdische Frage nicht lösen wird‘ (die Bezeichnung der Nazis für die Massenvernichtung). Lukasz Hirszowicz schreibt: ‚Er argumentierte, dass die Juden stattdessen nach Polen geschickt werden sollten, […] wo sie unter professioneller Aufsicht stehen würden.‘ ‚Der Mufti arbeitete eng mit der Nazi-Maschinerie zusammen, die für die Vernichtung der Juden verantwortlich war.‘ Er wusste genau, was der Begriff ‚unter professioneller Aufsicht in Polen‘ im Sommer 1943 bedeutete. In dem von den Nazis besetzten Polen befanden sich die Vernichtungslager. Auch Auschwitz befand sich auf dem Gebiet, das ursprünglich polnisch war.“

Wäre es nach  diesen Politikern gegangen, hätten auch die Juden im Nahen Osten wohl kaum überlebt, sondern wären ebenfalls Opfer des Holocaust geworden.

Keineswegs aber waren alle arabischen Führer dieser Zeit glühende Antisemiten. So soll der damalige marokkanische  König Mohammed V. nach der Kapitulation Frankreichs im Dezember 1940 einer deutsch-vichyfranzösischen Delegation, die mit ihm die Einführung der Nürnberger Rassengesetze in seinem Königreich besprechen wollte, gesagt haben:

„Es gibt keine jüdischen Staatsbürger und keine muslimischen Staatsbürger, sie sind alle Marokkaner.“

Marokkanischer König leistete Widerstand gegen NS-Judenverfolgung
König Mohammed V. von Marokko

Viel zu sagen hatte der König allerdings nicht in dem französischen Protektorat, das der Verwaltung Vichy-Frankreichs unterstand und ihn zwang, antijüdische Gesetze in Kraft treten zu lassen. Anders als etwa im benachbarten Algerien wurden diese Maßnahmen in Marokko allerdings nur sehr halbherzig umgesetzt und der König soll mehrmals seinen Widerstand gegen diese Maßnahmen deutlich formuliert haben.

„Ein französisches Regierungstelegramm, das vier Jahrzehnte später in Pariser Archiven entdeckt wurde, gibt Auskunft, dass die Beziehungen zwischen Frankreich und Marokko‚ ‚seit dem Tag, an dem die Gesetze in Kraft traten‘, sehr viel angespannter waren. Im Jahr 1941 setzte Mohammed V. ein Zeichen, indem er hochrangige Vertreter der jüdischen Gemeinde zum jährlichen Bankett einlud, dass den Jahrestag seines Sultanats feierte. Er wies ihnen die besten Plätze zu, die sich direkt neben den Plätzen der französischen Beamten befanden.

‚Ich bin ganz und gar nicht mit den neuen antisemitischen Gesetzen einverstanden und verweigere strikt, mich einer Maßnahme anzuschließen, mit der ich nicht einverstanden bin‘, sagte er den französischen Beamten. ‚Ich wiederhole, was ich bereits in der Vergangenheit gesagt habe. Die Juden stehen unter meinem Schutz und ich lehne jegliche Unterscheidung ab, die zwischen meinen Bürgern gemacht werden soll.’

Obwohl sein Machtbereich begrenzt war, sorgte Mohammed V. dafür, dass es in Marokko niemals zu Razzien gegen jüdische Staatsbürger kam; es blieb soweit als möglich ein Zufluchtsort. Während der Vichy Herrschaft – die etwas mehr als zwei Jahre dauerte – wurden keine marokkanischen Juden deportiert oder getötet. Sie wurden auch nicht gezwungen, den gelben Stern zu tragen.“

Die Juden Marokkos hätten den Holocaust allerdings wohl kaum überlebt, wären nicht alliierte Truppen 1942 in Nordafrika gelandet und hätten das Land befreit. Der König hätte wohl kaum über die Macht verfügt, Deportationen zu verhindern. Trotz der mutigen Interventionen des Monarchen waren marokkanische Juden in dieser Zeit gezwungen, in eigenen Wohnvierteln – den Mellahs – leben zu müssen, die europäischen Ghettos ähnelten und in denen Zeitzeugen zufolge die Bedingungen oftmals katastrophal waren.

Noch 1945 lebten in Marokko um die 250.000 Juden, heute sind es gerade noch 5000. Nach der Staatsgründung Israels schloss sich der marokkanische Monarch der antiisraelischen Politik der arabischen Liga an. Die überwältigende Mehrzahl der Juden immigrierte entweder in den jüdischen Staat oder nach Kanada.

Allerdings haben sich die Beziehungen zwischen Marokko und Israel in den letzten Jahrzehnten verbessert. Angeblich plant Benjamin Netanjahu sogar einen Staatsbesuch in Rabat. Seit 1994 bestehen niedrigschwellige politische und ökonomische Beziehungen zwischen beiden Ländern. Außerdem ist Marokko eines der ersten derjenigen arabischen Länder, die die Geschichte des Holocaust inzwischen offiziell in die Lehrpläne für Schulen integriert haben.

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