Kronzeuge der Anklage gegen Israel

Von Alex Feuerherdt

In Baden-Württemberg hat eine Schule einen Gastreferenten sprechen lassen, der Israel Nazimethoden vorwirft, den Holocaust trivialisiert und der Ansicht ist, die Deutschen kritisierten den jüdischen Staat nicht genug. Ungewöhnlich daran ist: Der Mann ist ein jüdischer Überlebender der Shoa – und damit ein besonders gern gehörter Kronzeuge der Anklage gegen den jüdischen Staat.

moskovitzTheodor W. Adorno äußerte einmal mit Blick auf den Umgang der Deutschen mit dem Nationalsozialismus nach dessen Ende: Wenn sie schon zugäben, dass Verbrechen geschehen sind, wollten sie auch, dass das Opfer mitschuldig ist. Und dass es außerdem, wie der Publizist Wolfgang Pohrt schrieb, nicht rückfällig wird, weshalb sie sich gegenüber Israel wie Bewährungshelfer aufführten, die Lob und Tadel verteilen – „frei nach der jesuitischen Devise, dass nur ein großer Sünder das Zeug zum großen Moralisten habe: Je schrecklicher die Sünde, desto tiefer die Buße und Reue, je tiefer die Buße und Reue, desto strahlender am Ende die moralische Überlegenheit.“ Eine moralische Überlegenheit, die in Deutschland regelmäßig dazu führt, dass den israelischen Juden vorgehalten wird, aus dem Nationalsozialismus nicht die Konsequenzen zu ziehen, die die Täter und deren Nachfahren für sie vorgesehen haben, sondern sich stattdessen aufzuführen wie ihre vormaligen Peiniger.

Derlei wird gerne noch um den Hinweis ergänzt, „gerade als Deutscher“ habe man eine besondere Pflicht, Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Dass dabei vor allem die Israelis unnachgiebig ins Visier genommen werden, begründen nicht wenige ganz offen damit, dass „gerade die Juden“ doch aus eigener leidvoller Erfahrung wissen müssten, was Unterdrückung und Verfolgung sind – so, als wären Auschwitz, Majdanek und Treblinka keine Vernichtungslager gewesen, sondern Besserungsanstalten, deren Schüler jedoch leider nicht gut genug aufgepasst haben. Es liegt auf der Hand, dass das eine Form von Schuldabwehrantisemitismus ist, der sich als „Vergangenheitsbewältigung“ kleidet. Der 1997 verstorbene Publizist Eike Geisel bezeichnete diesen Antisemitismus deshalb auch als „Moralität von Debilen“ und „Vollendung der Inhumanität“.

Besonders viel moralischen Gewinn verspricht er abzuwerfen, wenn er von Juden selbst vertreten wird – und sogar noch mehr, wenn es sich dabei auch noch um Überlebende der Shoa handelt. Diese Schnittmenge ist aus sehr naheliegenden Gründen nicht sonderlich groß, doch die wenigen, die zu ihr gehören, lädt man in Deutschland besonders gerne ein, als Kronzeugen der gefeierten „Aufarbeitung der Geschichte“ und der Anklage gegen Israel zu sprechen. Reuven Moskovitz ist einer von ihnen. 1928 in Rumänien geboren, wurde er elf Jahre später in ein Ghetto gezwungen. Er überlebte den Holocaust und wanderte 1947 ins britische Mandatsgebiet Palästina ein, „musste dort aber erfahren, dass die von der Uno beschlossene Zweistaatenlösung nicht verwirklicht wurde und die Rechte der Palästinenser von der israelischen Politik missachtet wurden“.


Trivialisierung des Holocaust

So steht es in einem Beitrag der Badischen Zeitung über einen Auftritt von Moskovitz als „Zeitzeuge“ vor Schülern der Gewerblichen und Hauswirtschaftlich-Sozialpflegerischen Schulen in Emmendingen bei Freiburg im Breisgau. Warum es nach dem Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen nur zur Proklamation des israelischen Staates kam, nicht aber – wie ja ebenfalls vorgesehen – zur Gründung eines arabisch-palästinensischen, schreibt das Blatt nicht, und Moskovitz hat es vermutlich auch nicht gesagt. Dabei ist es entscheidend: Die arabischen Nachbarn Israels lehnten den Teilungsplan ab, ignorierten den Mehrheitsbeschluss der Uno und griffen den jüdischen Staat nur einen Tag nach dessen Ausrufung mit militärischer Gewalt an, um ihn zu vernichten. Bis heute ist diese Kein-Staat-Israel-Lösung das erklärte Ziel der weitaus meisten arabischen Regime und der politischen Führer der Palästinenser.

„Moskowitz sagte bei seinem Vortrag in der Schule, dass gerade viele Deutsche sich erneut schuldig machten, indem sie keine Stellung zu dem in Israel begangenen Unrecht bezögen“, so die Badische Zeitung weiter. Der 88-Jährige konsumiert offenbar keine deutschen Medien und schaut auch nicht ins Internet, denn sonst dürfte ihm kaum entgehen, dass die „Israelkritik“ im Nachfolgestaat des „Dritten Reiches“ geradezu volkssportartig betrieben wird – oft genug explizit mit der Begründung, gerade die deutsche Geschichte verpflichte dazu, „israelisches Unrecht“ anzuprangern. Anders gesagt: Aus den Verbrechen an Juden soll sich der moralische Auftrag ergeben, vermeintliche Verbrechen von Juden zu geißeln.

Reuven Moskovitz macht sich diese bizarre Logik nicht nur zu eigen, er spitzt sie sogar noch zu, indem er behauptet, die Deutschen würden „erneut schuldig“, wenn sie zu den angeblichen Missetaten des jüdischen Staates schweigen. „Erneut“ heißt: wie damals – womit die israelische Politik gegenüber den Palästinensern unversehens auf eine Stufe mit der Vernichtung der Juden gestellt wird. Moskovitz formuliert das mit Blick auf die Geschichte auch gänzlich unverblümt, wenn er fordert, „Israel müsse endlich anerkennen, dass auch die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser, eine Shoa, eine Katastrophe, sei“ – eine Holocaust-Trivialisierung reinsten Wassers, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Moskovitz selbst ein Überlebender der Shoa ist. Denn die Gleichsetzung ist unabhängig davon, wer sie vornimmt, offensichtlich völlig falsch und ausschließlich dazu geeignet, den jüdischen Staat zu dämonisieren und zu delegitimieren, ihn zum absolut Bösen zu erklären und Opfer zu Tätern zu machen, die den Nationalsozialisten in nichts nachstünden.


Wozu Moskovitz‘ Vortrag diente

Damit hatten Moskovitz‘ hanebüchene Auslassungen in Emmendingen allerdings immer noch kein Ende: Selbst auf die haarsträubende Behauptung, wer sich für die Palästinenser einsetze, könne gar kein Antisemit sein, schließlich seien die Palästinenser ebenfalls Semiten, mochte er nicht verzichten. Was Moskovitz dabei außer Acht lässt (und mit ihm die Vielzahl an „Israelkritikern“, die diesen unsäglichen Schluss ziehen): Antisemitismus – so unscharf und vordergründig irreführend der Begriff auch sein mag – richtet sich seit jeher ausnahmslos gegen Juden (und wen die Antisemiten dafür halten); das Wort kam im späten 19. Jahrhundert auf und war der pseudo-wissenschaftliche Versuch, dem uralten religiösen Judenhass einen neuen, modernen Anstrich zu geben. Der Terminus „semitisch“ wiederum wird lediglich in der Linguistik für eine Sprachfamilie verwendet. „Semiten“ gibt es somit nicht – es sei denn, man denkt in völkisch-rassistischen Kategorien. Abgesehen davon können nicht nur Araber, sondern sogar Juden Antisemiten sein, wie es auch Frauen gibt, die Frauen hassen, und Migranten, die rassistisch sind.

Ausweislich des Berichts der Badischen Zeitung fanden der Leiter der Emmendinger Schule und die beiden Koordinatorinnen der Veranstaltung den Vortrag von Reuven Moskovitz „beeindruckend“. Einen Vortrag, wohlgemerkt, in dem der jüdische Staat nicht nur an den Pranger gestellt, sondern sogar nazistischer Methoden bezichtigt wurde und in dem der Referent die Schüler aufforderte, ein „antifaschistisches“ Engagement gegen Israel zu entwickeln. Mag sein, dass Moskovitz sich an der Bagatellisierung der Shoa und der antisemitischen Dämonisierung Israels beteiligt, weil er in der Verarbeitung seiner eigenen Verfolgung zu dem Schluss gekommen ist, dass ihm (nur) so in Deutschland Sympathie zuteilwird. Wer ihn einlädt, weiß jedenfalls von vornherein, was er bekommt, und will auch genau das: eine flammende Anklage gegen Israel, dargeboten von einem jüdischen Holocaust-Überlebenden, um die eigenen Ressentiments moralisch zu salvieren und veredeln zu lassen. Das ist der eigentliche Skandal – umso mehr, wenn man ihn auch noch vor Schülern ins Werk setzt.

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