Jung-Grüne: Eine Iran-Reise als Karriere-Sprungbrett

Von Alex Feuerherdt

Drei Mitglieder der Grünen Jugend, darunter eine frühere Bundessprecherin, haben eine dreiwöchige Reise in den Iran unternommen. Seitdem ist für sie fast alles anders als vorher: Rohani ist plötzlich moderat und zu den vielen Hinrichtungen irgendwie gezwungen, der Atom-Deal mit dem Regime ist eine tolle Sache und die Bedrohung Israels kein Thema mehr. Einer Parteikarriere steht damit nichts mehr im Weg. Zur Geschichte einer – gar nicht so wundersamen – Wandlung.

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Selfie-Spaß in Teheran

Ein gutes Jahr ist es her, da unterstützte der Jugendverband der deutschen Grünen einen markanten und deutlichen Aufruf gegen die Iranreise von Sigmar Gabriel, die der Wirtschaftsminister und Vizekanzler nach dem Atom-Deal von Wien gar nicht schnell genug antreten konnte. „Deutsche Unternehmen und die Bundesregierung stehen 70 Jahre nach dem Ende der Shoah in der ersten Reihe, um Geschäfte mit dem antisemitischen iranischen Regime zu machen“, hieß es seinerzeit in dem Appell. Und weiter: „Repräsentanten des Regimes haben Israel während der Verhandlungen immer wieder mit der Vernichtung gedroht.“ Milliarden flössen nun als Ergebnis dieses Abkommens an das Regime in Teheran. Damit, so der Aufruf, werde die Förderung des islamistischen Terrors von Gruppierungen wie der Hisbollah oder der Hamas ebenso neue Ausmaße annehmen wie die Expansion des Regimes in der arabischen Welt. Zudem nehme der Terror gegen die iranische Bevölkerung nicht ab, sondern im Gegenteil sogar zu: „Unter dem vermeintlich ‚moderaten‘ Präsidenten Hassan Rohani wurden deutlich mehr Menschen hingerichtet als unter seinem Vorgänger Ahmadinejad.“ Also lautete die von der Grünen Jugend (GJ) mitgetragene Forderung: „Stoppt die Reise von Sigmar Gabriel in den Iran!“

Als einige Grünen-Politiker – darunter Claudia Roth, Jürgen Trittin und Omid Nouripour – den Parteinachwuchs daraufhin in einem offenen Brief kritisierten, bekräftigte der Verband seine Positionen in einem Antwortschreiben noch einmal. Man sei befremdet, hieß es darin, besonders über die Einschätzung, „dass Präsident Rohani und sein Umfeld ‚moderate politische Vertreter‘ seien“. Schließlich sei während seiner Regentschaft die Zahl der Hinrichtungen massiv gestiegen und liege bereits jetzt höher als während der Amtszeit von Mahmud Ahmadinejad. Die Rechte von Frauen und Homosexuellen würden zudem massiv missachtet. Darüber hinaus halte man es für einen Fehler, „reguläre Wirtschaftsbeziehungen mit einem Regime aufzunehmen, das pro Kopf die höchste Zahl an Exekutionen weltweit vorzuweisen hat und deren Führer sich durch antisemitische Äußerungen hervortun“. Es sei überdies bekannt, dass der Iran terroristische Organisationen wie die Hisbollah oder die Hamas finanziell unterstützt und das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Auch deshalb müsse „verhindert werden, dass der Iran zur Atommacht wird“. Mit dem Atom-Deal aber werde das Gegenteil erreicht und das Atomprogramm des Iran grundsätzlich legitimiert.

 

Warum die jungen Grünen Rohani plötzlich moderat finden

Unterzeichnet war die Antwort an Roth, Trittin & Co. unter anderem von Theresa Kalmer, der seinerzeitigen Sprecherin der Grünen Jugend. Jetzt, nur ein Jahr später, sieht die 25-jährige Studentin die Dinge offenkundig anders. Zusammen mit Jessica Messinger – Mitglied im Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg und früher Sprecherin der GJ in diesem Bundesland – und Michael Bloss, dem Sprecher der Vereinigung Junger Europäischer Grüner, war Kalmer im August drei Wochen lang im Iran. Nach ihrer Rückkehr veröffentlichten die drei auf ihren Facebook-Seiten eine gemeinsame Stellungnahme, in der von den Positionen aus dem Juli 2015 nicht mehr viel übrig geblieben ist. Nun heißt es beispielsweise, der Atom-Deal sei richtig, weil er „das Land geöffnet und der jahrelangen Isolation der iranischen Gesellschaft entgegengewirkt“ habe. Man verbinde mit dem Abkommen die Hoffnung einer „Stärkung der Vielfalt der iranischen Gesellschaft“ und einer „Veränderung des Irans von unten“. Dazu müsse man nun „aufhören, den Iran als Land zu dämonisieren“ und „differenziert Kritik üben“.

Wer den Iran eigentlich „als Land dämonisiert“, sagen Kalmer, Messinger und Bloss nicht. Dafür zeigen sie nicht zuletzt an ihrer Positionierung zu Hassan Rohani, was sie unter Differenzierung verstehen: Ihn halten sie nun für einen „als moderat geltenden Präsidenten“. In der Kommentarspalte zu ihrem Eintrag auf ihrer Facebook-Seite präzisiert Theresa Kalmer: „Nach den Gesprächen, die wir geführt haben, wird Rohani vor Ort als moderat eingeschätzt. Die dennoch hohen Hinrichtungszahlen wurden uns so erklärt, dass er aufgrund seiner moderaten Politik innenpolitische Härte zeigen muss, um auch die Konservativen hinter sich zu bekommen.“ Eine Erklärung, mit der Kalmer offensichtlich zufrieden ist und die sie teilt – denn weder widerspricht sie ihr noch kommentiert sie sie. Die Logik ist ja auch bestechend: Gerade weil Hassan Rohani so gemäßigt ist, lässt er noch mehr Menschen hinrichten als sein Vorgänger, um die nicht ganz so Gemäßigten von seinem Kurs zu überzeugen. Wer dann ganz moderat am Baukran baumelt, kann sich immerhin damit trösten, nicht von Hardlinern aufgeknüpft worden zu sein. Und damit, dass der Atom-Deal, wie Kalmer in ihrem Kommentar weiter schreibt, „sicherlich Verbesserungen gebracht [hat], allein schon durch den Anstieg an Tourist_innen und durch den erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung im Land“. Wer will da schon über ein paar Exekutionen streiten?

Von der Bedrohung, die vom Atom-Abkommen für Israel ausgeht, ist in dem Statement der drei jungen Grünen keine Rede, auch nicht von der Förderung des islamistischen Terrors und der Expansion des Iran im Nahen Osten mit den Milliarden, die nun infolge des Deals ins Land und an die dortigen Machthaber fließen. Reguläre Wirtschaftsbeziehungen mit einem Regime, das pro Kopf die höchste Zahl an Hinrichtungen weltweit vorzuweisen hat und deren Führer sich durch antisemitische Äußerungen hervortun? Nicht mehr das Problem. Okay, das Regime „ist ohne Zweifel autoritär“, wie die Mitglieder der Grünen Jugend einräumen, es richtet Menschen hin, unterdrückt Kritiker und lässt keine Oppositionsparteien zu. Doch „das Leben im Iran ist unter der Oberfläche vielfältig und lebendig“ – was nicht nur nie jemand bestritten hat, sondern die Machthaber ja gerade veranlasst, den Repressionsapparat immer weiter auszubauen –, und „gerade deswegen ist der Austausch mit der iranischen Zivilgesellschaft besonders wicht
ig“. Vor allem offenbar mit jenem Teil, der Verständnis für Rohanis „innenpolitische Härte“ hat.

 

Kein Zeichen der Solidarität mit iranischen Frauen

Das Schweigen von Kalmer, Messinger und Bloss zu der Gefahr, die das iranische Regime für den jüdischen Staat darstellt – etwas, das zumindest Kalmer vor einem Jahr noch außerordentlich wichtig war –, wird beredt, wenn man liest, was einer ihrer Gastgeber im Iran dazu zu sagen hat. Auf Theresa Kalmers Facebook-Seite schreibt er beispielsweise von „palästinensischen Kindern hinter der Apartheidmauer“, von einem „Faschismus“, der sich im israelischen „Morden in Palästina“ äußere, und von der „rassistischen Doktrin der Zionisten“. Bezeichnend ist zudem, dass in der Stellungnahme der drei jungen Grünen auch über die Lage von Frauen und Homosexuellen im Iran nichts zu lesen ist. Dafür lächeln sie – allesamt mit einem Kopftuch bekleidet – anlässlich eines „Selfies“ glücklich in die Kamera. Dass iranische Feministinnen schon länger mit Kampagnen gegen den Hijab an die Öffentlichkeit treten und gegen Politikerinnen wie Claudia Roth protestieren, die bei Iranreisen ihren Kopf bedecken, scheint die Feministinnen aus Deutschland nicht weiter gekümmert zu haben. Die Haltung der grünen Aktivistinnen und -Aktivisten ist wahrlich bemerkenswert: Einen Atom-Deal finden sie plötzlich gut, während sie für unterdrückte Frauen kein sichtbares Zeichen der Solidarität übrig haben.

Der Bundesvorstand der Grünen Jugend hat sich derweil in einem Tweet von den Iran-Reisenden distanziert. „Die private und unabhängig von der Grünen Jugend geplante Reise“, so heißt es dort, „steht nicht im Zusammenhang mit der inhaltlichen Positionierung unseres Verbands. Die Grüne Jugend lehnt den Atomdeal mit dem menschenrechtsverletzenden iranischen Regime weiterhin ab und bleibt solidarisch mit Israel.“ Auf die Nachfrage, ob es angesichts der öffentlichen, politischen Erklärung von Kalmer, Messinger und Bloss organisationsinterne Konsequenzen geben werde, antwortete der derzeitige Bundessprecher der GJ, Moritz Heuberger, via Twitter leicht gereizt: „Eine Klarstellung ist eine Konsequenz. Außerdem herrscht bei uns im Verband Meinungsfreiheit.“ So wichtig scheint der Grünen Jugend ihre eigene Positionierung also doch nicht zu sein. Außerdem sind die Jugendorganisationen von Parteien ohnehin vor allem Sprungbretter für spätere Parteikarrieren. Insofern haben Theresa Kalmer, Jessica Messinger und Michael Bloss mit ihrer Reise in den Iran und dem anschließenden Statement eine entsprechende Bewerbung abgegeben und sind beim Marsch in den Arsch der Partei erstaunlich schnell am Ziel angekommen. Claudia Roth jedenfalls, so viel ist sicher, wird stolz auf sie sein.

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