Israelkritik, „um Juden überall auf der Welt zu kränken”

Von Frederik Schindler

Über „Israelkritik und die Grenzen der akademischen Diskussionsfreiheit“ wollte das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) der Freien Universität Berlin (FU) am vergangenen Mittwoch diskutieren. Zuvor hatte das Institut angekündigt, der Dozentin Eleonora Roldán Mendívil vorerst keine Lehraufträge mehr zu erteilen, da israelfeindliche Kommentare auf ihrem Blog aufgetaucht waren. Das Interesse an der Veranstaltung war sehr groß: Mehrere Hundert Studierende drängten sich in den Hörsaal, um die Stellungnahmen der hausinternen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu hören und darüber zu diskutieren.

Zuvor mussten die Verantwortlichen des OSI bereits Kritik verschiedener linksradikaler Gruppen einstecken: Sie hätten eine Vorverurteilung der kritisierten Wissenschaftlerin betrieben, die einem Berufsverbot nahekommen würde. Bernd Ladwig, Professor für Politische Theorie, stellte gleich zu Beginn klar, dass Roldán Mendívil zwar im nächsten Semester keinen Lehrauftrag erhält, sie allerdings nicht suspendiert sei – eine Entscheidung darüber werde erst nach der Fertigstellung eines Gutachtens gefällt, für das der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Wolfgang Benz, beauftragt wurde.


Nicht Israelhass ist das Problem, sondern dessen Thematisierung

Dennoch wurde Ladwig auf dem Podium auch von Kollegen kritisiert, vor allem von Cilja Harders, die die Arbeitsstelle Politik im Maghreb, Mashreq und Golf leitet. Die „scharf hervorgebrachten Vorwürfe“ zeigten, dass bezüglich dieses Themas „keine gute Debattenkultur“ herrsche – damit war offenbar die studentische Skandalisierung der israelfeindlichen Kommentare gemeint. „Mit Roldán Mendívil wurde zu spät gesprochen“, kritisierte sie. So würde die kritisierte Lehrbeauftragte, die „schließlich eine akademische Karriere anstrebt“, durch eine „aufgeheizte und polemische Debatte jetzt in sehr schwieriger Weise gelabelt“ werden. Zudem müsse es auch „eine nicht-eurozentristische Sicht auf den Nahostkonflikt“ geben. Was genau damit gemeint ist, ließ sie offen.

Nicht die Kommentare Roldán Mendívils, die beispielsweise die Unterstützung der antisemitischen Boykottkampagne BDS und die Verharmlosung palästinensischen Terrors zum Inhalt hatten, wurden also von Harders problematisiert, sondern lediglich die Kritik an diesen Kommentaren. Auch Shelley Harten übte Kritik an den Kritikern der Dozentin: In Richtung der Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus an der FU Berlin“ sagte sie, sie hielte ihre Äußerungen für unprofessionell, da sie „ohne Kenntnis über die israelischen und palästinensischen Debatten“ geäußert werden würden. Ob sie den Begriff „Apartheid“ für eine Beschreibung der Zustände in Israel und den palästinensischen Gebieten für angemessen hält, wollte sie nicht öffentlich beantworten, darüber könne allerdings „in Ruhe kontrovers diskutiert“ werden.


Stilisierung zum „Opfer einer Kampagne“

Lediglich Bernd Ladwig und die Vertreter des akademischen Mittelbaus, Carsten Koschmieder und Mirko Niehoff, übten deutliche Kritik an israelbezogenem Antisemitismus. Letztere hatten mit weiteren wissenschaftlichen Mitarbeitern und Lehrbeauftragten des OSI bereits zuvor in einer öffentlichen Stellungnahme kritisiert, dass Roldán Mendívil versuche, „sich als Opfer einer Kampagne zu inszenieren“:

„Vor dem Hintergrund der Komplexität der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu diesem Thema erscheint es uns merkwürdig, dass die Vorbringung der Vorwürfe pauschal als Angriff gewertet werden, gegen den sich vorbehaltlos solidarisiert werden muss – anstatt sich, dem eigenen Anspruch entsprechend, kritisch und selbstkritisch inhaltlich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen.“

Koschmieder stellte im Laufe der Diskussion die berechtigte Frage, ob es „bei Rassismusvorwürfen ähnlich viele Solidarisierungen gegeben hätte“, bedankte sich für die schnelle Reaktion der Studierenden und stellte klar, dass es sich bei der Ablehnung von Antisemitismus nicht „um die Exklusion von politischen Ansichten“ handelt.

Professor Ladwig bezeichnete die dämonisierenden Diffamierungen Israels schließlich in einem leidenschaftlichen Plädoyer als „abstoßend“ und nannte die Notwendigkeit für einen starken Schutz israelischer und jüdischer Einrichtungen in Deutschland eine „Schande“. Israel sei für viele Juden weltweit mit der Hoffnung auf einen Platz ohne Antisemitismus verbunden – man greife Israel auch deshalb so massiv an, „um Juden überall auf der Welt zu kränken.“ Aus dem Publikum wurde der Professor deshalb teilweise lautstark kritisiert und angepöbelt: Immer wieder versuchten antiisraelische Aktivisten, seine Ausführungen zu unterbrechen und bezogen sich dabei beispielsweise auf den umstrittenen israelischen Historiker Ilan Pappe, der einen „Genozid in Gaza“ behauptet.

„Ladwigs klares Plädoyer und seine konsequente Ablehnung der Delegitimierung Israels haben wir als sehr positiv empfunden“, sagt ein Mitglied der Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus an der FU Berlin“ im Gespräch mit MENA-Watch. „Harders’ Sinnieren darüber, was denn das Existenzrecht Israels eigentlich sei, werten wir wiederum als befremdlich – jedoch ist es ja nichts neues, dass manche Adepten postkolonialer Theorien antiisraelische Einstellungen vertreten.“

Eine weitere Zuschauerin forderte, dass der Begriff Intifada „ganz neutral“ verstanden werden müsse und dieser lediglich für einen „Aufstand“ stünde. „Auch mit der Hamas“, die in ihrer Charta zum Mord an Juden aufruft, müsse eine Debatte geführt werden. Die antizionistische Gruppierung „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ verteilte derweil Flyer, auf denen von einer „Hexenjagd an der Freien Universität“ zu lesen war. Die Anschuldigungen gegen Roldán Mendívil seien „Teil einer rechtsgerichteten pro-israelischen Kampagne“, durch Einschüchterungen sollten „AkademikerInnen zum Schweigen“ gebracht werden, dies sei bei „einer jungen weiblichen Migrantin“ ein besonders leichtes Spiel.


Fragwürdiger Gutachter

Die genannte antisemitismuskritische Hochschulgruppe verwies auf vergangene Vorfälle am politikwissenschaftlichen Institut: Mehrfach wurden in den vergangenen Jahren Redner eingeladen, die antisemitische Verschwörungsideologien verbreiten würden. Über die konkreten Positionen Roldán Mendívils wurde auf dem Podium letztendlich wenig gesprochen – erst Studierende in der Diskussion mussten darauf hinweisen, dass diese Israel als „ein durch und durch Ashkenazim-Kolonialprojekt“ bezeichnet hat und kürzlich in einem Interview sagte, dass man die Hamas „nicht automatisch als Terroristen bezeichnen“ könne.

Warum für die angekündigte „wissenschaftliche Untersuchung der Vorwürfe einer israelfeindlichen oder gar antisemitischen Publikationspraxis der Lehrbeauftragten“ ausgerechnet Wolfgang Benz beauftragt wurde, wollte das OSI außer dem Hinweis, dass dieser „sehr renommiert“ sei, nicht weiter kommentieren. Die Frage ist allerdings sehr berechtigt: Erstens ist dieser im Ruhestand und zweitens in den vergangenen Jahren immer wieder durch eine Verharmlosung des Antisemitismus aufgefallen, zumal wenn es um islamistischen und israelbezogenen Judenhass geht. Nach den Morden an drei jüdischen Kindern und einem Rabbiner in Toulouse im Jahr 2012 stellte er beispielsweise die Frage, „ob die Morde wirklich ein antisemitisches Motiv hatten oder die Opfer von einem Terroristen zufällig ausgewählt worden sind“. Auch in Deutschland warnte er vor einer „Dramatisierung“ von Studien über antisemitische Einstellungen. Es ist also zu befürchten, dass Benz die Aussagen der kritisierten Lehrbeauftragten in dem bald erscheinenden Gutachten als „legitime Israelkritik“ relativieren wird.

Frederik Schindler ist freier Journalist und twittert unter @Freddy2805

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