Islamischer Antisemitismus… gibt es nicht. Und wenn doch, trifft die Antisemiten keine Schuld

Ein deutsches Schulprojekt empfiehlt de facto, Probleme zu lösen, indem man aufhört, sie zu benennen.

Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen hat weniger mit dem Islam zu tun als mit der Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft – zumindest, wenn es nach einem Schulprojekt geht, das vom deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert wurde.

Drei Jahre lang beschäftigten sich Experten unter Federführung von Lamya Kaddor an zwei deutschen Schulen mit Antisemitismus im muslimischen Umfeld. Die 178 Seiten starke Abschlussdokumentation wurde nun der der Öffentlichkeit vorgestellt. „Extreme out! – Empowerment statt Antisemitismus“ ist keine Studie, sondern ein pädagogisches Projekt mit konkreten Handlungsempfehlungen, das nun – nach den Wünschen der Betreiber – bundesweit ausgerollt werden soll. Das Ziel definierte Kaddor auf ihrer Website schon im April 2018:

„In unserem innovativen Ansatz werden wir den re-importierten bzw. islamisierten Antisemitismus thematisieren und mit den Jugendlichen bearbeiten. Dabei soll deutlich werden, dass Antisemitismus nicht nur kein originärer Teil des Islam ist, sondern dass Frustration, Erlebnisse eigener (vorhandener und eingebildeter) Defizite, die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation, Ursachen für jedwede Form von gruppenbezogenen (sic!) Menschenfeindlichkeit sein können. Stark ist nicht der Antisemit, sondern stark ist derjenige, der bestimmte Mechanismen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit überwindet und zu seinen eigenen Stärken und Schwächen steht, an unserer Gesellschaft teilnimmt und mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten seine eigene Identität ausbaut. Raus aus dem Extrem, hin zu seinen eigenen Potentialen – das wird schon in unserem Projekttitel deutlich!“

Alan Posener sagt das kürzer: „Klar. Irgendein Knallkopf beschimpft mich als ‚Scheißmoslem‘, und ich reagiere, indem ich dem nächstbesten Kippa-Träger ‚Scheißjude‘ zurufe. Logisch, oder? Die Juden sind sowieso an allem schuld.“

Empowerment by IS

Ihre Anstrengungen zur muslimischen Selbstermächtigung enden nicht immer so, wie Frau Kaddor sich das vorstellt: 2016 haben fünf ihrer Schüler ihre eigenen Potenziale lieber beim IS verwirklicht als in unserer Gesellschaft. Als „persönliche Niederlage“ habe sie das empfunden, erzählte sie damals dem Bonner General-Anzeiger. Die Ursachen sah sie nicht in Religion oder Kultur, sondern in den Kränkungen der Jugendlichen durch eine Gesellschaft, „der sie es nie recht machen können, für die sie trotz deutschem Pass immer Ausländer bleiben. … Der IS ist für sie nur Mittel zum Zweck. Diese Jugendlichen könnten alles Mögliche werden, selbst Mitglied bei Scientology, sofern sie nur irgendjemand endlich und vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben in den Mittelpunkt stellt.“

Das mag sein. Dann sollte man allerdings lieber Scientology mit einem Schulprojekt beauftragen als Kaddors „Liberal-islamischen Bund“ – wenn’s schief geht, landet man besser in einem Tom Cruise Film als beim Islamischen Staat.

Die Leugnung jeglichen im Islam verwurzelten Antisemitismus zieht sich als roter Faden durch den gesamten Bericht: „Aus diesen Gründen, fällt es mir hier tatsächlich schwer von einem muslimischen Antisemitismus zu sprechen, ich halte die Bezeichnung nicht für zielführend. Passender erscheint mir der Begriff ‚islamisierter Antisemitismus‘, immer auch vor dem Hintergrund, um es nochmal auf einen Punkt zu bringen, dass Antisemitismus heute eigentlich ein flexibler Code ist, der problemlos in alle Religionen, Kulturen implementiert werden kann.“ Wird einer der befragten Experten zustimmend zitiert.

Islamischer Antisemitismus… gibt es nicht. Und wenn doch, trifft die Antisemiten keine Schuld

Antisemitismus existiert für Kaddor im Islam nur als politischer Missbrauch desselben, sei es durch Islamfeinde oder die Muslimbruderschaft: „Tatsächlich hätte sich aus den das Judentum in spezifischen Kontexten kritisierenden Passagen im Koran und in der Sunna eine Verfolgungssituation für Menschen jüdischen Glaubens ergeben können – die Realität zeigt (gerade heute), dass Suren und Verse aus jedem Zusammenhang gerissen werden können, um politischen Zwecken zu dienen.“

Aha. Bleibt die Frage, die man allen Islam-Experten stellen muss, die uns erklären, dass der wahre Islam der friedliche, und alles andere ein Missverständnis sei: Warum erzählt ihr uns das? Warum nicht den islamischen Autoritäten von Iran bis Saudi-Arabien, von Pakistan bis Indonesien, die den Islam falsch auslegen? Wären Diskussionen über die wahre Natur des Islam dort nicht besser aufgehoben?

Nach Kaddor sei der Antisemitismus überhaupt erst mit dem Kolonialismus in den Nahen und Mittleren Osten gekommen, als sich der europäische Antijudaismus und Antisemitismus im Nahen und Mittleren Osten ausgebreitet hätten, insbesondere der christliche. Bis ins 19. Jahrhundert sei „das Zusammenleben von Muslimen und Juden in den (sunnitisch geprägten) Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ‚durch eine enge und weitgehend friedliche Verbindung ‚geprägt‘“ gewesen.

Das kann man so sehen, wenn man zum Beispiel die Eroberung Medinas durch Mohammed mit den Worten beschreibt: „Insgesamt kann man sagen, dass diese Begegnung für beide Seiten nicht immer von Harmonie und Frieden geprägt war.“ Besonders unharmonisch dürfte die Begegnung wohl der letzte in Medina verbliebene jüdische Stamm empfunden haben: Die Männer der Banu Quraiza wurden nämlich allesamt von Mohammeds Männern enthauptet, die Frauen und Kinder versklavt.

Die 2017 verstorbene Schriftstellerin Miriam Magall schildert die Ereignisse historisch korrekt, die den Auftakt der islamischen Eroberungsfeldzüge bis zur Niederlage gegen Karl Martell bei Tours und Poitiers im Jahr 732 bildeten.

Kein islamischer Islamismus, nirgends

Man sieht die Absicht und ist verstimmt: Der „antisemitische Diskurs im muslimischen Kontext“, wie Kaddor den islamischen Antisemitismus nennt, wurde vom Westen importiert, der Islam wird allenfalls politisch missbraucht. Antisemitische muslimische Jugendliche sind keine selbstbestimmt handelnden Subjekte, sie wurden Opfer unglücklicher Umstände. Opfer einer falschen Islam-Interpretation der Muslimbruderschaft, Opfer von Diskriminierungserfahrungen, Opfer von antimuslimischem Rassismus, Opfer einer naheliegenden Solidarisierung innerhalb der Communities aufgrund des Nahost-Konflikts. Ein absurder Wettbewerb um die Opferrolle: Wo nur mehr Opfer sind, gibt es keine Täter mehr. Man kennt das Muster bestens aus deutschen Nachkriegsgeschichten.

So fügt sich Kaddors Bericht nahtlos in die Strategie der Islamverbände, jeglichen Zusammenhang zwischen Islam und Judenfeindschaft zu leugnen.

Islamischer Antisemitismus… gibt es nicht. Und wenn doch, trifft die Antisemiten keine Schuld

Während der christliche Antisemitismus Gegenstand vieler Untersuchungen war, wie Nina Scholz in der Presse in anderem Zusammenhang ausführt, „wird eine durch die Jahrhunderte tradierte religiös begründete Judenfeindschaft im islamischen Kontext ausgeschlossen. Leichtfertig wird der europäische Antisemitismus zur eigentlichen Ursache von Antisemitismus unter Muslimen erklärt.“ Zurecht fordert Scholz, dass sich die islamische Welt ebenso der Auseinandersetzung mit ihrer antijüdischen Tradition stellen müsse wie die Kirchen. „Es liegt auf der Hand, dass eine über Jahrhunderte gesetzlich legitimierte Diskriminierung und alltägliche Herabsetzung Auswirkungen auf das Bild von Juden in der Gesellschaft hat. Diese Geschichte prägt, da sie nie aufgearbeitet wurde, die Sicht auf Juden bis heute.“

Im Projektbericht findet sich davon nichts. Er schließt mit Handlungsempfehlungen „für die (pädagogische) Bildungsarbeit“ und „den Umgang mit deutschen Jugendlichen im Kontext antisemitischer Einstellungen“. Trotz „selbst erfahrener Ausgrenzungen und ihrer gesellschaftlich marginalisierten Position“ seien Jugendliche muslimischen Glaubens „für andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu sensibilisieren. Viele Jugendliche rechtfertigen ihre antisemitischen und menschenfeindlichen Einstellungen dadurch, dass sie durch die zunehmende Islamfeindlichkeit selbst abgewertet und diskriminiert werden. Hier tritt ein Mechanismus in Kraft, der höchst bedenklich ist.“ Wir verstehen: Schuld am Antisemitismus sind nie die Antisemiten.

Konsequenterweise beschränken sich die Empfehlungen auf Forderungen an die Mehrheitsgesellschaft. Überhaupt, am besten löst man das Problem, indem man aufhört, es zu benennen: „Demzufolge ist es notwendig, Muslim*innen im Kontext von Antisemitismus nicht zu sehr hervorzuheben, um sie damit möglicherweise selbst zu marginalisieren.“ Kaddors pädagogisches Konzept leuchtet ein: Man darf einen Antisemiten nie einen Antisemiten nennen, sonst könnte er sich womöglich radikalisieren.

Es mag Zufall sein, dass der Chef des Zentralrats der Muslime, Adam Mazyek, kurz nach der Veröffentlichung des Berichts einen Bundesbeauftragten gegen Muslimfeindlichkeit fordert. Wahrscheinlicher ist freilich, dass er damit ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen will.

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