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Erdogan schießt sich auf „Spekulanten, Zinslobbys und Türkeifeinde“ ein

Von Thomas von der Osten-Sacken

Erdogan schießt sich auf „Spekulanten, Zinslobbys und Türkeifeinde“ einHannah Arendt notiert in den „Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft“, dass viele Diktatoren ein „offensichtliches Desinteresse für wirtschaftliche Belange“ an den Tag legen würden. Und in der Tat verblüfft dieser Tage einmal mehr, wie sehr einerseits wirtschaftliche Probleme und soziale Not etwa im Iran und der Türkei den Alltag unzähliger Menschen dominieren, in beiden Ländern die Währung aufgrund politischer Fehlentscheidungen dramatisch an Wert verliert und die Sorge der Menschen im ihre Zukunft laut Umfragen kontinuierlich wächst, während die Regierungen keinerlei Bereitschaft zeigen, grundlegende Änderungen vorzunehmen.

Besonders fällt dies in der Türkei auf, wo Erdogan und die AKP zu Beginn ihrer Regierungszeit es noch mit großem Geschick verstanden haben, ökonomische Reformen voranzutreiben und bislang marginalisierte Bevölkerungsgruppen am nationalen Wohlstand zu beteiligen. Darin lag auch eines ihrer Erfolgsrezepte: in ihren ersten Regierungsjahren wuchs die türkische Wirtschaft rasant und Millionen profitierten von der Entwicklung.

Seit Jahren aber herrscht Stagnation, Statistiken müssen gefälscht werden, türkische Staatsanleihen gelten inzwischen als Ramsch und es besteht kaum Hoffnung auf Änderung. Spätestens seit Erdogan seine nationalistisch-islamische Ein-Mann Herrschaft anstrebt, stagniert die Wirtschaft und verfällt die Lira. Alle Versuche, lenkend einzugreifen sind bislang gescheitert. Entweder, und das lehnt der Präsident kategorisch ab, muss die türkische Nationalbank extrem hohe Zinsen anbieten oder ausländische Geldgeber bleiben weg. Hohe Zinsen gehen in der Regel mit einer hohen Inflation einher, die seit Einführung der Neuen türkischen Lira 2005 eigentlich mit allen Mitteln hätte verhindert werden sollen. Die Regierung befindet sich in einer Zwickmühle, denn die Kaufkraft des durchschnittlichen türkischen Bürger leidet enorm vor allem angesichts steigender Energiepreise. Derweil verspricht die Regierung großzügige Wahlgeschenke, weil sich neuerdings Erdogan ganz offenbar, trotz vorgezogener Neuwahlen, seines Sieges keineswegs mehr so sicher ist.

Was also tun? Einfach Ursache und Wirkung vertauschen, um den Zins zum Schuldigen zu erklären? Gute Idee:

„In einer Ansprache an Geschäftsleute bei einer Zeremonie in Ankara hatte Erdoğan sich am 11. Mai auf ‚ausländische Währungsspekulanten, Zinslobbies und Feinde der Türkei in der Gestalt von Rating-Agenturen‘ eingeschossen. ‚Ich halte Zinsen für den Ursprung allen Übels. Zinsen verursachen Inflation. Die Inflation ist ein Ergebnis, nicht die Ursache. Wir müssen die Zinssätze herunterdrücken‘, erklärte er auf der von der Türkischen Union der Industrie- und Handelskammern und der Rohstoffbörsen (TOBB) organisierten Veranstaltung.

Erdogan schießt sich auf „Spekulanten, Zinslobbys und Türkeifeinde“ einEs bedarf wohl keiner weiterführenden Erklärungen, welche finsteren Mächte hinter hohen Zinsen stehen: Es sind die üblichen Verdächtigen, die auch für alle anderen – in Wirklichkeit meist selbstgeschaffenen – Übel von Erdogan verantwortlich gemacht werden. Wenn der türkische Präsident sich seine Diktion allerdings schon vom verblichenen Saddam Hussein entleiht und Geschäftsleuten – die, wollen sie nicht bankrottgehen, ein paar Grundlagen der Finanzwirtschaft kennen müssen – derartig hahnebüchenden Unfug erzählt, spricht dies nicht gerade dafür, dass diese Regierung noch besonders fest im Sattel sitzt.

Entsprechend lakonisch kommentiert dann auch Hürriyet die Aussagen des Präsidenten: „Entgegen der landläufigen Auffassung der Ökonomen behauptet er seit langem, dass die hohe Inflation durch die hohen Zinssätze verursacht wird.“ Es ist diese „landläfuge Auffassung“, die die großen Führer, über die Hannah Arendt schrieb, so gerne als schnöde materialistische Weltsicht abtaten und stattdessen glaubten, auch die Ökonomie habe ihrem Diktat zu folgen. Einmal mehr merken sie gerade in Ankara und Teheran, dass sie dies in der Regel nicht tut.

Und dann müssen Schuldige gefunden werden, denn am eigenen Versagen kann es ja nicht liegen. Wer diese Schuldigen sind, nun, auch das ist leider hinlänglich bekannt.

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