Erdogan: Israel ist (vielleicht) barbarischer als die Nazis

Der türkische Präsident Erdogan
Der türkische Präsident Erdogan (© Imago Images / Depo Photos)

Von Florian Markl

Recep Tayyip Erdogan ist stolz auf sein Land. Noch nie, so erklärte er unlängst in einem Interview, habe es in der Türkei so viel Freiheit, Frieden und Wohlstand gegeben. Mit der Realität hat diese Behauptung wenig zu tun. Der Krieg gegen die Kurden wird mit aller Härte geführt, die Unterdrückung der Opposition hat ungeahnte Ausmaße erreicht, und die Türkei befindet sich auf direktem Wege in die Präsidialdiktatur Erdogans, der seine Amtszeit per Verfassungsreform gleich bis 2029 verlängern will. Und während die türkisch-israelische Wiederannäherung Schritt für Schritt voranzugehen scheint, verharmlost Erdogan den Holocaust, dämonisiert Israel und wirft sich für die islamistische Terrororganisation Hamas ins Zeug.


Eine beispiellose Unterdrückungswelle

Geht es nach Erdogan, ist alles paletti: „Wir haben Demokratie neu definiert und der Welt gezeigt, wie Muslime Politik machen.“ In der Praxis sieht das so aus:

Die vorwiegend kurdischen Gebiete des Landes sind de facto Kriegsgebiet, durch die türkische Armee „befreite“ Städte wie Sirnak ein einziges Trümmerfeld. Hochrangige kurdische Politiker, darunter Bürgermeister, Abgeordnete sowie die Führung der kurdischen HDP, wurden abgesetzt bzw. sitzen im Gefängnis, wo sie auf ihre Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen warten.

Die Repressionswelle in Folge des gescheiterten Putschversuchs von Mitte Juli übersteigt alles bisher Dagewesene. Erst vorgestern wurden per Notstandsdekret weitere 9977 Angehörige der Sicherheitskräfte und 5419 zivile Staatsbedienstete abgesetzt, dazu noch 375 Vereine sowie mehrere Medien verboten. Insgesamt wurden laut der von türkischen Journalisten betriebenen Webseite Turkey Purge bereits über 115.000 Menschen entlassen, fast 80.000 zumindest vorübergehend festgenommen und über 30.000 verhaftet; dazu wurden rund 200 Medien geschlossen und knapp 150 Journalisten ins Gefängnis geworfen.

Die Gefangenen werden misshandelt und sind unterernährt, immer wieder ist von Folter die Rede. 21 Menschen haben in Gewahrsam Selbstmord begangen. Um Platz für die Opfer der Verhaftungswelle zu machen, wurden rund 38.000 Kriminelle aus den Gefängnissen entlassen. Da das noch immer nicht ausreicht, plant die Regierung die Errichtung von rund 150 neuen Haftanstalten.


Erdogan gegen die „israelische Barbarei“

Währenddessen ergriff Präsident Erdogan die Gelegenheit eines Interviews mit einem israelischen Fernsehsender, um – wieder einmal – gegen den jüdischen Staat zu hetzen. „Ich stimme dem nicht zu, was Hitler getan hat, und ich stimme auch dem nicht zu, was Israel in Gaza getan hat. Daher hat es keinen Sinn zu vergleichen, was davon barbarischer war“, erklärte Erdogan – womit er nicht ausschloss, dass die Selbstverteidigung des jüdischen Staats gegen den Raketenterror der Hamas „barbarischer“ sei als der systematische Massenmord an den Juden Europas durch die Nationalsozialisten. (Während des Gaza-Kriegs 2014 hatte Erdogan Israel des systematischen Völkermords an den Palästinensern seit 1948 bezichtigt und auf Israel Bezug nehmend verkündet: „Sie haben kein Gewissen, keine Ehre, keinen Stolz. Jene, die Hitler Tag und Nacht verurteilen, haben Hitler in Sachen Barbarei übertroffen.“)

Erdogan - Meshal
Erdogan beim Händedruck mit dem Hamas-Politbürochef Meshal

Während Erdogan stets den Kampf gegen den Terror bemüht, um seine Allmachtansprüche zu untermauern, kann er in der islamistischen Hamas keine Terrororganisation erkennen. Diese sei vielmehr eine „legitime politische Partei“ und eine „Bewegung von Flüchtlingen“, die Teil eines künftigen Friedensabkommens sein müsse. Er sei jedenfalls „in ständigem Kontakt“ mit der Hamas. Dass es ihm nur recht wäre, wenn die palästinensischen Moslembrüder nach dem Gazastreifen auch das Westjordanland übernähmen, ist kein Geheimnis.

Mit der von ihm als „ineffektiv“ erachteten palästinensischen Führung von Mahmud Abbas eint Erdogan nur die religiös aufgeladene Hetze gegen Israel. Wie Abbas verbreitete nun auch Erdogan die Propagandalüge, die Israelis wollten den Tempelberg übernehmen. Dass für Erdogan einzig und allein Israel für das Scheitern des Friedensprozesses verantwortlich ist, braucht nicht gesondert erwähnt werden. (Dass die von ihm protegierte Hamas diesen Friedensprozess grundsätzlich ablehnt sowie für die Vernichtung Israels eintritt, ließ er natürlich unerwähnt.)

Und er bestritt, was für jeden Menschen anhand von Videoaufnahmen offensichtlich ist: Keinesfalls seien israelische Soldaten attackiert worden, als sie 2010 die türkische Mavi Marmara enterten, um den angekündigten Bruch der Seeblockade des Gazastreifens zu verhindern. Es sei „unmöglich“, dass die Soldaten in Selbstverteidigung zu ihren Waffen gegriffen hätten. „Leider wurden 10 unserer Brüder zu Märtyrern“, meinte Erdogan in Bezug auf die an Bord der Mavi Marmara getöteten türkischen Aktivisten – von denen manche zuvor ihren expliziten Wunsch festgehalten hatten, im Dschihad gegen Israel zu sterben.

Anlass des Interviews mit Erdogan war der Wiederannäherungsprozess Israels und der Türkei, der bald zur Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen führen soll. Erst in der vergangenen Woche wurde Eitan Na’esh als neuer israelischer Botschafter in Ankara vorgestellt; sein Vorgänger war 2011 aus der Türkei ausgewiesen worden. Wie das Interview Erdogans zeigt, mag der diplomatische Prozess vorangehen – an der aggressiven Ablehnung Israels durch den türkischen De-Facto-Diktator hat sich aber nichts geändert.

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