Das Problem der Türken in Deutschland und Österreich

So knapp das Ergebnis des türkischen Referendums in der Türkei selbst ausfiel, so eindeutig war es in vielen Ländern außerhalb. Aus heimischer Sicht interessiert vor allem die Frage, warum die Zustimmung zur möglichen Transformation der Türkei in eine islamische Autokratie bei uns signifikant höher ausfiel als in der Türkei selbst.

Besonders auffällig ist die Diskrepanz der Ergebnisse in den anglo-amerikanischen Ländern und manchen europäischen Sozialstaaten. Auf Ja entfielen in Belgien 75%, in Österreich 73%, in den Niederlanden 71%, in Frankreich 65% und in Deutschland 63% der abgegebenen Stimmen. In diesen fünf Ländern wurden 2,3 der insgesamt 2,9 Millionen Stimmen außerhalb der Türkei abgegeben. Hingegen kam Erdogan in Großbritannien nur auf 20% und in den USA auf 16%.

Wer den liberal-demokratisch verfassten Rechtsstaat als Maßstab setzt, wird wohl jedes Nein tendenziell als ein Zeichen für gelungene Integration deuten und jedes Ja als Warnsignal für eine unvollendete oder gescheiterte. Da sich Wahlfälschungen, Einschüchterungen und sonstige verzerrende Faktoren überall die Waage halten dürften, können signifikant unterschiedliche Abstimmungsergebnisse nur auf Unterschiede in der Einwanderungs- und Integrationspolitik zurückzuführen sein.

Am Beispiel Österreich und USA                                           

Amerika ist ein selektives Einwanderungsland, das eine völlig andere Klientel anzieht als die Sozialstaaten Österreichs oder Deutschlands. Während seit den 1970er Jahren immer mehr gebildete Türken in die USA kamen und dort eine Karriere in Wissenschaft oder Industrie anstrebten, rekrutierten Deutschland und Österreich vor allem Angehörige türkischer Unterschichten, die überwiegend einem extrem konservativen islamischen Milieu entstammten. Aus den so genannten „Gastarbeitern“ wurden Einwanderer, die ihre Familien nachholten und sich dauerhaft ansiedelten. Die Gäste gingen nicht nach dem Nachtisch, sie kamen um zu bleiben. Der erste signifikante Unterschied lässt sich also einfach an der unterschiedlichen Struktur der türkischen Migranten festmachen. Im Vergleich zu Europa sind die türkischen Migranten in den USA im Durchschnitt höher gebildet.

Aus der selektiveren Migrationspolitik resultiert eine erfolgreichere Integrationspolitik. Migranten assimilieren sich in den USA ganz ohne Integrationsbeauftragte, weil sie sich schon aufgrund des wirtschaftlichen Drucks durch die niedrigen Sozialleistungen in den Arbeitsmarkt integrieren müssen. In seiner Integrationskraft schlägt das Arbeitsethos der USA den europäischen Sozialstaat um Längen. Eine Gesellschaft, die sich über Leistung definiert, definiert sich weniger über Herkunft – entsprechend seltener sind ethnische Diskriminierungen.

Soziale und kulturelle Integration begünstigen die wirtschaftliche und umgekehrt. Sprachkenntnisse und der Konsum einheimischer Medien helfen bei interkulturellen Kontakten und der Arbeitssuche. Wer assimiliert ist, ist seltener arbeitslos. Für türkische Migranten in Österreich ist der Anreiz zur Assimilierung verhältnismäßig gering. Mangelnde Integration in den Arbeitsmarkt wird durch Sozialleistungen abgefedert. Die türkischen Diasporagemeinden sind in den Ballungszentren groß genug, um alle sozialen Bedürfnisse innerhalb der eigenen Community zu stillen. Tägliche Besorgungen, Zeitungen, Fernsehen, der Tratsch mit Freunden und Nachbarn – außerhalb der Arbeitswelt gibt es wenig Notwendigkeit, sich Sprache und Kultur des aufnehmenden Landes anzueignen. Die Anzahl echter sozialer Interaktionen ist typischerweise auf ungefähr 150 Menschen beschränkt. Der Anreiz zu Interaktionen mit der Mehrheitsgesellschaft sinkt im gleichen Ausmaß wie die Größe der Diasporagemeinde steigt.

Was für deutsche Rentner in Mallorca kein Problem sein mag, ist für die Integration von Einwanderern fatal. Türkische Frauen und Mütter sind in vergleichsweise geringem Maße erwerbstätig und haben dementsprechend häufig sprachliche Defizite. Die islamische Herkunftskultur schränkt soziale Kontakte von Frauen zur Mehrheitsgesellschaft ein. Kurz: Viele Frauen sprechen nicht Deutsch, und selbst wenn sie es sprechen, haben sie kaum jemanden, mit dem sie sich unterhalten können.

„‚Wenn ein Kind in einer Familie aufwächst, in der nur Türkisch gesprochen wird, es vor allem mit türkischsprechenden Kindern spielt und die ganze Zeit türkisches Fernsehen läuft, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Kind auf einer deutschen Schule Probleme bekommt‚‘, bringt der Migrationsforscher Ruud Koopmans den Teufelskreis auf den Punkt. Koopmans konstatiert einen Zusammenhang zwischen ‚kultureller Assimilation und struktureller Integration in den Arbeitsmarkt‘ und identifiziert den Islam als Integrationshindernis.“

Zusammengefasst: In Österreich sind Menschen mit türkischem Migrationshintergrund im Durchschnitt schlechter qualifiziert und häufiger arbeitslos als die Mehrheitsbevölkerung. Mangelnde Sprachkenntnisse und Qualifikation, der Islam und die Größe der Diasporagemeinde verhindern die Assimilierung. Die dritte Generation fehlinterpretiert ihre mangelnden Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg als Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft und flüchtet in eine identitäre Subkultur. (Details zu einzelnen Aspekten kann man in den Studien ‚Muslime in Österreich‘ des Instituts ecoquest und ‚migration & integration‘ der Statistik Austria nachlesen.)

In der Vergangenheit haben die konservativen Parteien die Entwicklung einer pro-aktiven Einwanderungspolitik verhindert, weil sie gegen jede Faktizität darauf beharrten, dass Österreich kein Einwanderungsland sei. Die links-grünen Kräfte wiederum forcieren eine Integrationspolitik, die sich aus ideologischen Gründen gegen Assimilierung wehrt, also gegen die strukturelle und kulturelle Annäherung der Migranten an die Mehrheitsgesellschaft. Die Parallelgesellschaften von heute sind das Ergebnis dieser doppelten Realitätsverweigerung. Dass die ideologischen Scheuklappen im Diskurs über die künftige Immigrations- und Integrationspolitik abgelegt werden, wäre zwar wünschenswert, ist aber wenig wahrscheinlich.

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